Faktencheck

Emissionshandel: Was über die zukünftige Entwicklung der CO2-Preise bekannt ist

Ab 2027 wird der nationale Emissionshandel in Deutschland durch ein europäisches Emissionshandelssystem abgelöst. Wie sich die Preise für CO2 dann entwickeln werden, ist schwierig vorherzusagen. Wir erklären im Faktencheck, welche Einflussfaktoren es gibt und welche Preise Expertinnen und Experten erwarten.

von Matthias Bau

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Ende Januar 2025 beschloss der Bundestag, den Emissionshandel zu reformieren. Im Netz verbreiteten sich daraufhin Spekulationen darüber, wie sich die CO2-Preise dadurch entwickeln werden. (Symbolbild: Katerina Sulova / CTK / Picture Alliance)
Behauptung
CDU, SPD und Grüne hätten am 31. Januar 2025 eine Steuererhöhung beschlossen, die die CO2-Preise um bis zu 500 Prozent steigen lassen werde.
Bewertung
Unbelegt. Der Bundestag hat beschlossen, den nationalen Emissionshandel ab 2027 in ein europäisches System zu überführen. Wie sich die Preise im europäischen Emissionshandelssystem entwickeln werden, ist unklar. Aktuell liegt der CO2-Preis bei 55 Euro pro Tonne. Expertinnen und Experten gehen nicht von einer Versechsfachung der Preise im Jahr 2027 aus, und auch laut verschiedenen Studien ist das höchst unwahrscheinlich. Die meisten Prognosen sehen ein Steigerung von aktuell 55 Euro auf 100 bis 250 Euro. Der Durchschnitt liegt bei 189 Euro im Jahr 2030.

Am 31. Januar hat der Bundestag eine Reform des Emissionshandels beschlossen. In den Sozialen Netzwerken verbreitet sich daraufhin die Behauptung, die „CO2-Steuer“ könne nun um bis zu 500 Prozent steigen. Was genau beschlossen wurde, was die „CO2-Steuer“ eigentlich ist und wie sich zukünftig der Preis für CO2 entwickeln könnte, erklären wir im Faktencheck.

Auf Tiktok verbreitet sich dieses Sharepic über den angeblichen Anstieg des CO2-Preises. Wie sich der Preis genau entwickeln wird, ist unklar. Expertinnen und Experten gehen jedoch nicht von einer Steigerung um 500 Prozent aus.
Auf Tiktok verbreitet sich dieses Sharepic über den angeblichen Anstieg des CO2-Preises. Wie sich der Preis genau entwickeln wird, ist unklar. Expertinnen und Experten gehen jedoch nicht von einer Steigerung um 500 Prozent aus. (Quelle: Tiktok; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Bundestag hat den Emissionshandel reformiert, Änderungen treten 2027 in Kraft

Mit dem Ausdruck „CO2-Steuer“ ist die CO2-Bepreisung gemeint. Einen Preis für CO2 gibt es in der EU seit 2005, in Deutschland seit 2021. Das ist der nationale Emissionshandel. Bürgerinnen und Bürger nehmen am Emissionshandel nicht direkt teil, sondern die sogenannten „Inverkehrbringer“ von Brennstoffen, also Unternehmen, die mit Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel handeln. Der Preis pro Tonne verursachtem CO2 lag 2024 bei 45 Euro, im Januar 2025 stieg er auf 55 Euro. Die Deutsche Emissionshandelsstelle schreibt auf ihrer Webseite, dass der CO2-Preis im Jahr 2026 beim nationalen Emissionshandel zwischen 55 und 65 Euro pro Tonne betragen wird.

Am 31. Januar beschloss das Parlament, dass der nationale Emissionshandel ab dem Jahr 2027 in den neuen europäischen Emissionshandel für Verkehr und Wärme (ETS-2) übergeht. Wie viel eine Tonne CO2 dann kosten wird, ist aber noch unklar, denn der Preis bildet sich, anders als bisher, frei durch den Handel mit CO2-Zertifikaten, erklärt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) auf seiner Webseite. Das System soll dabei helfen, die Nachhaltigkeitsziele der EU zu erreichen. Die will 2025 klimaneutral sein.

Wie der Emissionshandel genau funktioniert, erklärt die EU-Kommission in diesem Video (Englisch):

Menge der Emissionszertifikate im ETS-2 wird mit der Zeit immer weiter abgesenkt

Um dieses Ziel zu erreichen, wird die Menge der Emissionszertifikaten im ETS-2 mit der Zeit immer weiter abgesenkt, sodass die Unternehmen, die sie ersteigern, theoretisch höhere Preise dafür zahlen müssen. Denn das Ziel ist es, dass die Sektoren, die das ETS-2 umfasst, ihre Emissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 2005 senken. 

In einer Studie des Umweltbundesamtes (UBA) heißt es zu diesem Ziel: „Um die Obergrenzen des ETS-2 einzuhalten, müssen die betroffenen Sektoren ihre Emissionen in einem noch nie dagewesenen Tempo reduzieren: Zwischen 2005 und 2021 betrug die durchschnittliche jährliche Emissionsreduktion etwa 11 Tonnen CO2. Die ETS-2-Obergrenze wird um etwa 62 Tonnen CO2 pro Jahr sinken, also mehr als fünfmal so schnell.“

Die EU hat mehrere Mechanismen vorgesehen, die einen schnellen Preisanstieg verhindern sollen. So werden zu Beginn des ETS-2 30 Prozent mehr Zertifikate ausgegeben, als benötigt würden. Hinzu kommt die sogenannte Marktstabilitätsreserve. Die enthält 600 Millionen Zertifikate, die dann ausgegeben werden, wenn auf dem Markt zu wenige Zertifikate vorhanden sind oder der Preis eine bestimmte Obergrenze übersteigt, beziehungsweise wenn er sich sehr schnell erhöht. Diese zusätzlichen Zertifikate verlieren jedoch im Jahr 2031 ihre Gültigkeit. 

Wenn die Aussage im Sharepic richtig wäre, müsste der CO2-Preis auf 330 bis 390 Euro steigen. Wie realistisch das ist, haben wir das BMWK, die Deutsche Emissionshandelsstelle und einen Experten gefragt.

Wie sich die Preise im ETS-2 entwickeln werden, ist unklar

Ein Sprecher des BMWK schrieb uns über die möglichen Preise: „Wie sich die Preise für die CO2-Zertifikate exakt entwickeln werden, lässt sich zwar noch nicht sicher vorhersagen, wir rechnen aber damit, dass sich der Preis in der ersten Phase, also ab 2027, wahrscheinlich um die 60 Euro pro Zertifikat bewegen könnte.“ Das hieße, der Preis würde sich in etwa auf dem Niveau bewegen, das 2026 gilt. Drastische Preissteigerungen seien „reine Spekulation oder entzogen sich seriöser Berechnungsgrundlagen“, so das BMWK.

Michael Pahle vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung schrieb uns, dass die Preise im Jahr 2030 zwischen 71 und 261 Euro pro Tonne CO2 liegen könnten. In einer Forschungsarbeit schreiben er und seine Kolleginnen und Kollegen dazu, dass vor allem die Klimapolitik der EU-Staaten einen Einfluss darauf habe, wie sich der Preis für die CO2-Zertifikate entwickeln werde. Denn je weniger CO2 in den Sektoren, die am ETS-2 teilnehmen (Wärme und Verkehr) produziert wird, desto weniger Zertifikate müssen gekauft werden. 

Für ihre Preisberechnung haben die Forscherinnen und Forscher drei verschiedene Szenarien entwickelt, in denen unterschiedlich starke Maßnahmen in den Bereichen Industrie, Transport und Gebäude vorgenommen werden. Dabei geht es zum Beispiel um Sanierungen von Gebäuden, um diese energieeffizienter zu machen, die Wiederverwendung von Abwärme in der Industrie oder den Umstieg auf E-Mobilität. 

Christof Wisniewski, Sprecher des Umweltbundesamtes, schrieb uns „Prognosen zum Preisniveau zukünftiger Versteigerungen“ könnten das UBA und die Deutsche Emissionshandelsstelle nicht abgeben. Eine vom UBA in Auftrag gegebene Studie zeige aber, „dass die Emissionsobergrenze im EU-ETS-2 durchaus ambitioniert“ sei. „Demnach müsste sich der jährliche Emissionsrückgang im Gebäude- und Straßenverkehrssektor auf EU-Ebene im Vergleich zu den Vorjahren rechnerisch verfünffachen.“ 

Wisniewski wies uns darüber hinaus auf eine Meta-Studie hin, die einen Überblick dazu liefert, zu welchen Preisen andere Studien gekommen sind. Dort findet sich in 15 betrachteten Studien nur eine, die einen Preis von 360 Euro pro Tonne CO2 prognostiziert. Das angenommene Szenario aus dem Jahr 2022 wirkt jedoch sehr pessimistisch: Zwar würden die Emissionen darin EU-weit um 52,1 Prozent bis 2030 reduziert, weitere Klimaschutzmaßnahmen, außer dem Ausstieg aus der Kernkraft, gebe es aber nicht. 

In einer Forschungsarbeit der Hochschule Niederrhein geben Mira Gerlach-Günsch und Andreas Seeliger einen Überblick darüber, welche Preise verschiedene Studien für CO2-Zertifikate im ETS-2 für das Jahr 2030 prognostizieren
In einer Forschungsarbeit der Hochschule Niederrhein geben Mira Gerlach-Günsch und Andreas Seeliger einen Überblick darüber, welche Preise verschiedene Studien für CO2-Zertifikate im ETS-2 für das Jahr 2030 prognostizieren (Quelle: Gerlach-Günsch, Seeliger; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Klimaschutzmaßnahmen können Preise im ETS-2 senken

Der Sprecher des UBA weist, wie auch Michael Pahle und seine Kolleginnen und Kollegen, jedoch darauf hin, dass die Preise für CO2-Zertifikate durch Klimaschutzmaßnahmen sinken können: „Ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen in den Bereichen Gebäude und Verkehr, insbesondere der beschleunigte Umstieg auf Elektromobilität und klimafreundliche Wärme, können die Preise dämpfen“. Das sei der entscheidende Faktor, um hohe Preise zu vermeiden, so Wisniewski. Das UBA empfehle zudem, „ein Klimageld in Kombination mit spezifischen Förderprogrammen für besonders betroffene Bevölkerungsgruppen einzuführen“, um Privathaushalte zu entlasten. Ein Klimageld wollte die Koalition aus SPD, Grünen und FDP einführen, umgesetzt wurde es jedoch nicht.

Was die Parteien zum CO2-Preis planen:

Der Sprecher des BMWK äußert sich auf Anfrage ähnlich wie das UBA. Man müsse eine „sozialverträgliche Ausgestaltung des ETS-2 bei der Preisentwicklung“ mitdenken. „Dafür sollen die Einnahmen aus dem ETS-2 genutzt werden, um Haushalte beim Umstieg auf klimafreundliche Alternativen zu unterstützen und soziale Härten abzufedern“, so der Sprecher. Das sei zum Beispiel durch einen Klimasozialfonds auf EU-Ebene möglich. In Deutschland solle die Einführung der Europäischen CO2-Bepreisung aus Sicht des BMWK auch mit der Einführung eines Klimageldes für alle Privathaushalte verbunden werden.

Wie gut die europäischen Staaten insgesamt auf das neue Emissionshandelssystem vorbereitet sind, hat CORRECTIV.Europe hier zusammengetragen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass eine CO2-Preissteigerung von 500 Prozent in hohem Maße unwahrscheinlich ist. Die meisten Prognosen sehen eine Steigerung von aktuell 55 Euro auf 100 bis 250 Euro. Der Durchschnitt liegt bei 189 Euro im Jahr 2030. 

Redigatur: Steffen Kutzner, Max Bernhard

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes, „Supply and demand in the ETS 2“, Dezember 2023: Link (Englisch, PDF)
  • Mira Gerlach-Günsch und Andreas Seeliger, „Ein wirkungsvolles, kosteneffizientes und sozial gerechtes EU-weites Emissionshandelssystem für den Gebäude- und Verkehrssektor?“: Link (PDF)
  • Claudia Günther, Michael Pahle, Kristina Govorukha, Sebastian Osorio und Theofano Fotiou, „Carbon prices on the rise? Shedding light on the emerging second EU Emissions Trading System (EU ETS 2)“: Link (Englisch)
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