Faktencheck

Stichwahl in Rumänien: Kein „wundersamer Zuwachs“, aber höhere Wahlbeteiligung

Nach dem zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Rumänien kursiert online das Gerücht, der hohe Stimmenzuwachs für den pro-europäischen Wahlsieger Nicușor Dan sei „wundersam“. Dabei wird missachtet, dass die Wahlbeteiligung stieg.

von Kimberly Nicolaus

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Der proeuropäische Präsidentschaftskandidat Nicușor Dan gewann die Stichwahl am 18. Mai 2025 (Foto: Andreea Alexandru / Associated Press / Picture Alliance)
Behauptung
Der rumänische Präsidentschaftskandidat Nicușor Dan habe im zweiten Wahlgang am 18. Mai 2025 rund 54 Prozent der Stimmen erhalten. Das sei ein „wundersamer Zuwachs“ von 155 Prozent.
Bewertung
Fehlender Kontext
Über diese Bewertung
Fehlender Kontext. Der Stimmenanteil von Nicușor Dan stieg von rund 21 Prozent im ersten Wahlgang auf rund 54 Prozent im zweiten Wahlgang. Das ist ein Anstieg um etwa 155 Prozent. Das war unter anderem möglich, weil die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang höher war. An der Stichwahl beteiligten sich rund zwei Millionen mehr Menschen.

Der pro-europäische Bürgermeister Bukarests, Nicușor Dan, gewann am 18. Mai 2025 im zweiten Wahlgang die Präsidentschaftswahl in Rumänien. Das rumänische Verfassungsgericht bestätigte, dass die Wahl gültig ist. Dan erhielt rund 54 Prozent der Stimmen. George Simion, Chef der rechtsradikalen AUR-Partei, unterlag mit rund 46 Prozent der Stimmen. 

Weil der Stimmenanteil für Dan im zweiten Wahlgang um 155 Prozent gestiegen war, sprechen Nutzerinnen und Nutzer in Sozialen Netzwerken von einem „wundersamen Zuwachs“. Manche schreiben in den Kommentaren, „das stinkt doch gewaltig zum Himmel“ und andere behaupten, das sei Wahlbetrug.

Nutzerinnen und Nutzer Sozialer Netzwerke bezeichnen den Wahlsieg von Nicușor Dan als „wundersam“. Doch der hohe Stimmenzuwachs hängt unter anderem mit der gestiegenen Wahlbeteiligung bei der Stichwahl zusammen. (Quelle: X / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Nutzerinnen und Nutzer Sozialer Netzwerke bezeichnen den Wahlsieg von Nicușor Dan als „wundersam“. Doch der hohe Stimmenzuwachs hängt unter anderem mit der gestiegenen Wahlbeteiligung bei der Stichwahl zusammen. (Quelle: X / Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Auch Petr Bystron, AfD-Politiker und Mitglied des EU-Parlaments, fragt auf X, ob der Stimmenzuwachs für Dan „aus dem Nichts“ gekommen sei.

Der Stimmenzuwachs für Dan kam jedoch nicht aus dem Nichts: Er war möglich, weil unter anderem die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang höher war. Dieser Aspekt wird in den Behauptungen missachtet. 

Stichwahl um Präsidentschaft Rumäniens: Pro-europäischer Kandidat Dan erhielt rund 54 Prozent der Stimmen

Beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl am 4. Mai waren die Verhältnisse noch umgekehrt: Der pro-europäische Kandidat Nicușor Dan unterlag deutlich (rund 21 Prozent der Stimmen) dem rechtsradikalen Kandidaten George Simion (rund 41 Prozent der Stimmen). Doch weil keiner der Kandidaten eine Mehrheit von über 50 Prozent erhielt, war ein zweiter Wahlgang erforderlich.

Bei der Stichwahl, zwei Wochen später, erhielt Dan knapp 54 Prozent der Stimmen, sein Stimmenanteil stieg demnach um rund 155 Prozent. Simions Stimmenanteil stieg hingegen nur um rund 13 Prozent. 

An sich ist das nicht ungewöhnlich, wie zum Beispiel ein Blick auf die Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017 zeigt. Emmanuel Macron trat in der Stichwahl gegen Marine Le Pen an. Im ersten Wahlgang erhielt Macron rund 24 Prozent der Stimmen, Le Pen rund 21 Prozent. In der Stichwahl konnte Macron seinen Stimmenanteil mit rund 66 Prozent mehr als verdoppeln, Le Pen erhielt rund 34 Prozent.

Teil der Wählerschaft anderer Kandidaten stimmte im zweiten Wahlgang für Dan 

In Sozialen Netzwerken wird argumentiert, der hohe Stimmenzuwachs für Dan sei ein „Stimmenwunderregen“, da sich die Kandidaten auf Platz drei und vier aus der ersten Wahlrunde nicht für Dan ausgesprochen hätten. Die Argumentation unterstellt, die Wählerinnen und Wähler dieser Kandidaten hätten sich ohne eine entsprechende Empfehlung nicht für Dan entschieden. Doch diese Schlussfolgerung geht aus mehreren Gründen nicht auf: 

So sprach sich zum Beispiel der Präsidentschaftskandidat auf Platz vier, Victor Ponta, vor dem zweiten Wahlgang zumindest indirekt für einen Kandidaten aus – und zwar gegen Dan und für Simion. Wie die Tageszeitung Libertatea berichtete, veröffentlichte Ponta einen Facebook-Beitrag, in dem er schrieb, er wünsche sich von den beiden verbliebenen Kandidaten Respekt für seine Wählerschaft. Doch das Video, das er dazu teilte, zeigt ausschließlich Simion, der behauptet, die Leute würden Dan nicht als Präsidenten wollen. 

Doch wie der Nachrichtensender Digi24 wenige Tage vor der Stichwahl berichtete, zeigten Umfragewerte eines Meinungsinstituts, dass die Mehrheit der Personen (etwa 70 Prozent), die zuvor Ponta wählten, nun Dan wählen würden.

Medienberichten zufolge hat der Präsidentschaftskandidat auf Platz drei, Crin Antonescu, tatsächlich keine Empfehlung ausgesprochen, weder für Dan noch für Simion. Eine solche brauchte es offenbar aber auch nicht. Laut den Umfragewerten des Meinungsinstituts sprach sich auch hier eine Mehrheit der befragten Wählerschaft nach dem ersten Wahlgang für Dan aus – eine Beobachtung, die es bei fast allen Wählergruppen der anderen Kandidaten gab.

Dan erhielt im zweiten Wahlgang gut vier Millionen Stimmen mehr als im ersten Wahlgang

Ein weiteres Argument, das sich in Sozialen Netzwerken verbreitet: Der Stimmenzuwachs von über 150 Prozent wäre nur möglich gewesen, wenn Dan 87 Prozent der Wähler für sich gewonnen hätte, die in der ersten Runde weder für ihn noch für Simion stimmten.

Doch diese Rechnung geht nicht auf – selbst dann nicht, wenn Dan 100 Prozent dieser Wählerschaft für sich gewonnen hätte. Dafür muss man sich die absoluten Zahlen anschauen:

Im ersten Wahlgang wurden insgesamt 9.430.274 gültige Stimmen abgegeben. 3.862.761 Stimmen entfielen auf Simion und 1.979.767 Stimmen auf Dan. Die Zahl der Stimmen, die auf die andere Kandidaten entfielen, beläuft sich also auf 3.587.746. Doch der Stimmenzuwachs für Dan im zweiten Wahlgang beträgt 4.188.875 Stimmen.

Das heißt, Dan hat sogar mehr Stimmen erhalten als zuvor auf die anderen Kandidaten entfielen. Wie kann das sein?

Stimmenzuwachs im zweiten Wahlgang war unter anderem durch gestiegene Wahlbeteiligung möglich

Das Argument, das für den angeblich „wundersamen Zuwachs“ außer Acht gelassen wird, ist die Wahlbeteiligung. Diese war im zweiten Wahlgang höher als im ersten. Bei der Wahl am 4. Mai wurden rund 9,4 Millionen gültige Stimmen abgegeben. Bei der Stichwahl am 18. Mai waren es hingegen rund 11,5 Millionen. 

Konkret gab es im zweiten Wahlgang 2.077.421 mehr gültige Stimmen, die abgegeben wurden. Das erklärt, warum Dan einen so hohen Stimmenzuwachs verzeichnen konnte. Die genauen Wählerwanderungen sind nicht bekannt.

Redigatur: Matthias Bau, Paulina Thom