Faktencheck

Covid-19: Nein, die EU hat den Astrazeneca-Impfstoff nicht verboten

Im Netz heißt es, dass der Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca in Europa verboten wurde und der Konzern zugeben musste, dass der Impfstoff „gefährlich“ sei. Doch das Ende der Zulassung wurde vom Hersteller selbst beantragt.

von Johannes Gille

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Online werden irreführende Behauptungen über den Impfstoff-Hersteller Astrazeneca verbreitet (Quelle: Markus Mainka / Zoonar / Picture Alliance)
Behauptung
Die EU habe den Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca verboten. Außerdem habe der Konzern vor dem Obersten Gerichtshof in London zugeben müssen, dass der Impfstoff gefährlich sei.
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Die Zulassung für den Covid-Impfstoff von Astrazeneca wurde Anfang 2024 auf Antrag des Herstellers zurückgezogen. Die britische Zeitung Telegraph berichtete im Februar 2024, dass Astrazeneca in einem Gerichtsdokument erstmals zugegeben habe, dass der Impfstoff eine seltene Nebenwirkung auslösen kann. Astrazeneca widerspricht dieser Darstellung.

In Beiträgen in Sozialen Netzwerken heißt es, die EU habe den Covid-19-Impfstoff Vaxzevria von Astrazeneca verboten, und der Konzern habe vor einem britischen Gericht zugegeben, dass der Impfstoff „gefährlich“ sei. Die Beiträge wurden allein auf Facebook mehr als dreitausend Mal geteilt. Aber stimmt das?

Unsere Recherche zeigt, dass diese Aussagen so teils nicht richtig sind. Der Impfstoff wurde nicht verboten. Die Zulassung wurde auf Antrag des Herstellers zurückgezogen, nachdem die Produktion eingestellt worden war. Bei dem Gerichtsverfahren geht es um eine Schadensersatzforderung von Geschädigten einer Impfkomplikation, die seit 2021 bekannt ist.

Screenshot des Telegram-Beitrags.
Angeblich habe die EU den Covid-19-Impfstoff von Astrazeneca verboten. Doch von einem Verbot kann hier nicht die Rede sein. (Quelle: Facebook; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Kein Verbot: Astrazeneca beantragte Widerruf der Impfstoff-Zulassung selbst 

Einige Nutzerinnen und Nutzer merken in den Kommentaren an, dass die Meldung schon über ein Jahr alt ist. Das Beitragsbild ist ein Screenshot von einem Telegram-Beitrag aus dem Mai 2024 und stammt von Lion-Media. Der Account ist insbesondere für die Verbreitung von QAnon-Verschwörungsmythen in Deutschland bekannt.

Die Zulassung des Impfstoffs von Astrazeneca wurde im Mai 2024 von der EU-Kommission widerrufen. Doch wie aus dem Beschluss hervorgeht, wurde der Impfstoff nicht, wie in den Beiträgen behauptet, durch die EU verboten, sondern die Zulassung auf Antrag vom Hersteller Astrazeneca selbst zurückgezogen. In einer Pressemitteilung schrieb die EU-Kommission laut Medienberichten, dass „die Entscheidung nicht auf Zweifeln an Sicherheit oder Wirksamkeit des Impfstoffes beruht“.

In der Datenbank der EU-Kommission sind Medikamente aufgeführt, deren Zulassung zurückgezogen wurde. Dort finden sich Verbote von Medikamenten, aber auch viele Vorgänge, die die Hersteller selbst beantragt haben. Ein Sprecher des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller erklärte im Mai 2024 gegenüber der Welt, welchen Grund das haben könnte: Arzneimittelhersteller müssen für den Erhalt der Zulassung jährliche Sicherheitsberichte ablegen und eine Jahresgebühr zahlen. Die Zulassung für ein Medikament aufrecht zu erhalten kostet also Geld, weshalb sich der Erhalt nicht immer lohnt.

Impfnebenwirkungen sind seit 2021 bekannt

Der vorangegangene Rückgang der Nachfrage war laut Medienberichten insbesondere durch eine Nebenwirkung begründet. Der Vaxzevria-Impfstoff erhielt Ende Januar 2021 erstmals eine bedingte Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) und wurde ab Anfang März von der Ständigen Impfkommission (Stiko) empfohlen. In den Wochen danach erschienen die ersten Berichte, die den Impfstoff in seltenen Fällen mit dem Thrombosen-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) in Verbindung brachten.

Bei TTS kommt es bei Patienten zu Thrombosen – also Blutgerinnseln innerhalb eines Gefäßes – bei einer gleichzeitigen Gerinnungsstörung. Nach der Impfung mit Vaxzevria traten solche Thrombosen mit erhöhter Häufigkeit in Gefäßen im Gehirn auf. Diese sogenannten Sinusvenenthrombosen können zu lebensgefährlichen Hirnblutungen führen.

Im April 2021 wurde TTS als unerwünschte Nebenwirkung von der EMA in der Packungsbeilage ergänzt. In Deutschland war die Empfehlung für den Impfstoff noch im März von der Stiko auf Menschen über 60 Jahre eingeschränkt worden. Seit Ende 2021 ist der Impfstoff in Deutschland nicht mehr verfügbar.

Auch in den restlichen EU-Ländern wurde der Impfstoff nach 2022 kaum noch verabreicht, und viele Dosen über die COVAX-Initiative der WHO an ärmere Länder gespendet. Eine Sprecherin von Astrazeneca schreibt CORRECTIV.Faktencheck, dass der Impfstoff nicht mehr hergestellt oder geliefert werde.

Rechtsstreit um Schadensersatz

In den Beiträgen heißt es außerdem, „Astrazeneca musste vor dem Londoner High Court zugeben, dass ihr Impfstoff gefährlich ist“. In Großbritannien läuft tatsächlich eine Sammelklage gegen Astrazeneca um Schadensersatz für Impfgeschädigte oder deren Angehörige. Aber musste Astrazeneca darin gestehen, dass der Impfstoff nicht sicher ist?

Die Kanzlei Leigh Day vertritt 50 Einzelpersonen und Familien, die behaupten, sie oder Verwandte wären durch den Astrazeneca-Impfstoff krank geworden oder gestorben. Auf ihrer Website schreibt Leigh Day, dass sich die Klage nicht gegen Impfungen richte. Es gehe hingegen um die Fairness der finanziellen Entschädigung von Impfgeschädigten, die laut den Klägern durch die britische Regierung zu gering angesetzt sei. Deshalb wolle man vor Gericht einklagen, dass der Impfstoff weniger sicher war, als die Geschädigten hätten erwarten dürfen. Es geht also weniger um den Impfstoff selbst, als um die Höhe des Schadenersatzes.

Im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens bestätigte Astrazeneca laut einem Bericht des Telegraph im Februar 2024 erstmals, dass der Impfstoff in seltenen Fällen TTS verursachen kann. Die Anwaltskanzlei Leigh Day kritisiert in einer Pressemitteilung, dass der Konzern sich zuvor über ein Jahr lang geweigert habe, den wissenschaftlich anerkannten kausalen Zusammenhang zuzugeben.

Die Sprecherin von Astrazeneca widerspricht dieser Darstellung. Auch bei der britischen Arzneimittelbörde seien die Produktinformationen „gut dokumentiert und öffentlich verfügbar“ mit einem Hinweis versehen worden, als die EMA im April 2021 TTS in die Liste der möglichen Nebenwirkungen aufnahm. Sie schreibt uns weiter, der Bericht des Telegraph „war nicht neu und spiegelte nicht die Fakten wider“. In einer Pressemitteilung von März 2021 hatte Astrazeneca zwar die Nebenwirkung erwähnt, jedoch noch geschrieben „ein kausaler Zusammenhang mit dem Impfstoff ist nicht nachgewiesen worden“. Das Verfahren läuft noch, auf eine Nachfrage zu den Vorwürfen der Anwaltskanzlei erhielten wir keine Rückmeldung.

Redigatur: Max Bernhard, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Entscheidung über die Zulassung von Vaxzevria, EU-Kommission, 27. März 2024: Link (Englisch, archiviert)
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