Gletscherschmelze und Starkregen: Begünstigt der Klimawandel Erdbeben?
Angeblich beeinflusst der Klimawandel, wie häufig es Erdbeben gibt. Das stimmt so nicht, aber Zusammenhänge gibt es dennoch. Wir erklären, was Starkregen und Gletscherschmelze durch den Klimawandel für die Häufigkeit von Erdbeben bedeuten.

Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien und ehemalige Grünen-Vorsitzende schrieb nach dem Erdbeben in Myanmar und Thailand Ende März 2025 in einem X-Beitrag: „…wir wissen, dass Erdbeben mit der Klimakrise weiter zunehmen“. Unter ihrem X-Beitrag häufen sich Kommentare wie: „Kein Leid der Welt ist einem Grünen zu schade, um es nicht für seine nicht existierende Klimakrise zu missbrauchen“ oder „Wären sie in der Schule gewesen, würden sie wissen, dass Erdbeben mit der Plattentektonik zusammenhängen. Die entsteht da, wo die Sonne nicht hinscheint.“
Für Desinformation bekannte Webseiten wie Apollo News und Achgut griffen die Behauptung auf. Bei Apollo News heißt es in einer Bildunterschrift sogar, Peter befürchte mehr Erdbeben in Deutschland. In ihrem Beitrag ist davon allerdings nichts zu lesen.
Peter führt in den Kommentaren ihres X-Beitrags mehrere Quellen an, unter anderem einen Artikel der Taz. Darin kommen mehrere Experten zu Wort, die darlegen, dass Starkregen, abschmelzendes Eis an den Polen, aber auch beispielsweise Fracking das Entstehen von bestimmten Erdbeben begünstigen können.
Erdbeben ist nicht gleich Erdbeben
In dem Artikel wird klargestellt: Der Klimawandel kann die Bewegung der Erdplatten, die die Ursache für große Erdbeben sind, nicht relevant beeinflussen, weil die Spannungen und Verschiebungen, die diese Erdbeben auslösen, gewöhnlich in zehn oder mehr Kilometern Tiefe stattfinden. Anders ist das jedoch bei Spannungen, die nah an der Oberfläche liegen. Lösen sie sich, entstehen ebenfalls Erdbeben, aber mit viel geringerer Kraft, wie es im Taz-Artikel heißt.

Wir haben Thomas Plenefisch von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zu dem Thema befragt. Auch er bestätigte, dass der Klimawandel die Plattentektonik nicht beeinflussen kann. Aber: Nicht jedes Erdbeben entsteht durch Plattentektonik. Das Erdbebengeschehen in geringer Tiefe könne laut Plenefisch durchaus von Ereignissen an der Oberfläche beeinflusst werden, wenn auch nur indirekt und lokal begrenzt. Als potenziell wesentliche Faktoren nennt er abschmelzende Gletscher, den Anstieg des Meeresspiegels und Starkregen.
Anstieg des Meeresspiegels als Ursache für Erdbeben denkbar
Dass der Anstieg des Meeresspiegels einen Einfluss auf Erdbeben haben könnte, sei bislang lediglich ein „Gedankenexperiment“, so Plenefisch. In der Theorie könnte der steigende Meeresspiegel Erdbeben früher geschehen lassen. Das bestätigt uns auch Marco Bohnhoff, Leiter der Sektion Geomechanik am Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam (GFZ) per E-Mail: „Der Mechanismus dahinter ist, dass durch die steigende Wassersäule in den Ozeanen der Druck auf den Untergrund erhöht wird. […] Theoretisch reichen wenige Dezimeter mehr Wassersäule aus, das heißt aber im Umkehrschluss nicht, dass immer und überall mehr Erdbeben auftreten werden.“ In den letzten zehn Jahren stieg der Meeresspiegel um durchschnittlich 4,3 Millimeter pro Jahr, wie die Tagesschau 2024 berichtete. Allerdings steigt er immer schneller und könnte sich bis zum Jahr 2100 um einen Meter oder mehr erhöhen.
Es gibt zu dieser Theorie bereits Untersuchungen, etwa eine Studie des GFZ aus dem Jahr 2024. Demnach wurde sogar schon vereinzelt beobachtet, dass auch ein großer Tidenhub bei den Gezeiten zu seismischen Aktivitäten führen kann, jedoch sind nicht alle davon vom Menschen überhaupt wahrnehmbar. Auch eine Schwankung des Meeresspiegels um etwa 80 Zentimeter an einem bestimmten Punkt der türkischen Küste führt laut Bohnhoff dazu, dass bei hohem Wasserstand die seismische Aktivität vor Ort leicht steigt, und zurückgeht, wenn der Wasserspiegel wieder sinkt.
Schmelzende Gletscher führen zur Hebung der darunterliegenden Landmasse
Wie abschmelzende Gletscher Erdbeben begünstigen können, ist laut Thomas Plenefisch von der BGR noch nicht vollständig verstanden, weil es dazu bislang wenig Studien gebe. Vereinfacht gesagt, lastet auf der Erdkruste immer weniger Druck, je mehr der daraufliegende Gletscher oder Eisschild abschmilzt. Die darunter liegende Landmasse steigt dann im Laufe von tausenden Jahren nach oben. Das geringere Gewicht verändert die Spannungsverhältnisse in der Erdkruste und kann so Erdbeben begünstigen. Zu dem Ergebnis kommt auch die Studie des GFZ.
Das ist, so Plenefisch, auch geologisch nachvollziehbar: Als nach der letzten Eiszeit die großen Eismassen schmolzen, sei es zu Verwerfungen in Skandinavien und auch in Norddeutschland gekommen. Dabei gehe es jedoch im Vergleich zu menschlichen Zeiträumen um langanhaltende Prozesse, „eine erhöhte Erdbebentätigkeit ist noch heute vorhanden“ – 10.000 Jahre nach Ende der letzten Eiszeit.
Das Abschmelzen der Gletscher in den letzten 20 Jahren habe dagegen laut Plenefisch bislang nicht vermehrt zu stärkeren Erdbeben geführt. Durch das Abschmelzen des Grönlandeises und des arktischen Eisschilds sei es jedoch denkbar, „dass dort lokal in hunderten bis tausenden von Jahren verstärkt Erdbeben auftreten“.
Starkregen sind als Ursache von Erdbeben belegt
Dass starke Regenfälle Erdbeben begünstigen können, ist bewiesen. So wird im Artikel der Taz etwa von einem Monsun in Taiwan berichtet, der 2009 durch gewaltige Wassermassen 10.000 Erdrutsche verursachte, die wiederum die Spannungsverhältnisse im Erdreich veränderten und so kleine und größere Erdbeben verursachten. Hier wurde jedoch auch beobachtet, dass kleine Erdbeben sozusagen die Energie von größeren bevorstehenden Erdbeben entziehen können. Das bestätigt auch Marco Bohnhoff. Er merkt jedoch an, dass es eine extrem große Zahl kleiner Erdbeben bräuchte, um einem großen Erdbeben die Energie komplett zu entziehen.
Thomas Plenefisch berichtet beispielhaft von der Gegend um den Hochstaufen, einen Alpengipfel im Südosten Bayerns, der aus Karstgestein besteht. Dort kann bei starkem Regen sehr viel Wasser in die Erde eindringen.

„Das eingedrungene Wasser führt zu einer Herabsetzung des Reibungswiderstandes“ und begünstige somit Erdbeben, erklärt Plenefisch uns per E-Mail. Das Regenwasser funktioniert also wie ein Schmiermittel. Um den Hochstaufen sei nach Starkregen eine Erhöhung der Erdbebenaktivität beobachtet worden, deren Magnitude jedoch gering sei.
Abgesehen davon füllen starke Regenfälle gegebenenfalls auch Stauseen auf oder erhöhen den Grundwasserspiegel, was ebenfalls Erdbeben begünstigen kann, etwa bei einem Staudamm in Indien, wie Marco Bohnhoff in einem Vortrag von Dezember 2024 erklärt (ab Minute 34:30). Während des Monsuns steige der Wasserstand in dem Stausee um 20 bis 30 Meter, woraufhin es in dem Gebiet seismische Aktivität gebe, die dort sonst gar nicht vorkäme. Die so entstandenen Erdbeben hätten in der Vergangenheit zu Verletzten und sogar Toten geführt, so Bohnhoff. Sinke der Wasserspiegel im Staudamm, hörten die Erdbeben wieder auf.
Starkregen hat also einen Einfluss auf die Erdbebenaktivität, jedoch nur lokal und er sorgt gewöhnlich nur für schwache Beben.
Plattentektonik löste Erdbeben in Myanmar und Thailand aus
Da durch den Klimawandel Extremwetterereignisse zunehmen und durch die schmelzenden Gletscher mehr Wasser in der Luft ist, das als Regen niedergehen kann, begünstigt der Klimawandel im Umkehrschluss theoretisch Erdbeben.
Simone Peters Argumentation auf X führt dennoch am Thema vorbei: Myanmar und Thailand liegen auf jener Linie, auf der die Indische Kontinentalplatte auf die Eurasische trifft. Der Auslöser dieses Erdbebens war also Plattentektonik. Und genau die kann der Klimawandel nicht beeinflussen.
Allerdings, so ergänzt Bohnhoff, können sich auch flache, zum Beispiel durch Fracking in wenigen Kilometern Tiefe verursachte Erdbeben weiter nach unten ausbreiten. Dass der Klimawandel oder der Mensch also ausschließlich Erdbeben verursachen können, die kaum Schaden anrichten, sei ein Fehlschluss.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Folgen des Klimawandels sind nach bisherigem Wissensstand auf die Erdoberfläche begrenzt und können lokal begrenzte Erdbeben begünstigen. Diese Erdbeben haben gewöhnlich eine geringe Zerstörungskraft und sind teilweise nicht mess- oder wahrnehmbar, können sich aber in die Tiefe ausbreiten.
Solche Erdbeben sind laut Bohnhoff auch nichts Neues: Der Bergbau, Fracking, die Förderung von Erdöl und Erdgas, all diese Eingriffe ins Erdreich veränderten die Spannungsverhältnisse in der Erdkruste und könnten leichte Erdbeben auslösen.
Unterm Strich bleibt die Häufigkeit von Erdbeben aber für den Moment gleich: Es gab durch den Klimawandel „bisher keinen nennenswerten Einfluss auf die Erdbebentätigkeit“ und es werde auch in den nächsten Jahrzehnten nicht mit einem Anstieg der globalen Seismizität gerechnet, so Plenefisch. Zu dem Schluss, dass hier von potenziellen Ereignissen in ferner Zukunft die Rede ist, kommt auch die Studie des GFZ: „Dieser Prozess beschleunigt sich und wird in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten wahrscheinlich noch ausgeprägter sein.“
Redigatur: Matthias Bau, Max Bernhard