Nach Messerangriff in Bielefeld: Nein, der Verdächtige hatte keine acht Identitäten
Ein Syrer, der im Mai mutmaßlich vier Menschen in Bielefeld mit einem Messer angegriffen hat, soll angeblich acht Identitäten haben, mit denen er mehrfach Bürgergeld bezog. Das stimmt nicht.

„Wie kann es sein dass der Attentäter von Bielefeld 8 Identitäten hat vom Staat 8x Bürgergeld und 8 Wohnungen bezahlt bekommt […]“, fragt eine Benutzerin am 23. Mai 2025 auf Facebook. Auch auf X kursiert die Behauptung. Quellen werden nicht genannt, in einigen Beiträgen wird jedoch ein Screenshot eines Nachrichtenbeitrags der Welt gezeigt, etwa in diesem Facebook-Beitrag der AfD-Bundestagsabgeordneten Carolin Bachmann.
Wir haben nachgefragt, ob der festgenommene Syrer, der im Mai in Bielefeld vier Menschen mit einem Messer angegriffen haben soll, wirklich mehrere Identitäten hatte.

Der Fernsehbeitrag der Welt beruft sich als Quelle auf die Bild. Die hatte am 21. Mai folgendes berichtet: „Aus Sicherheitskreisen erfuhr BILD, dass Mhemed acht verschiedene Identitäten benutzte. Ob er sich so auch mehrfach Sozialleistungen erschlich, wird derzeit geprüft.“ Wer genau die Quelle ist, und wie die Angabe überprüft wurde, bleibt bei Bild offen. Eine Anfrage dazu an den Springer Verlag blieb bis zur Veröffentlichung dieses Textes unbeantwortet.
Eine Sprecherin des Innenministeriums Nordrhein-Westfalen (NRW) erklärte uns zu der Angelegenheit, dass es in den verschiedenen Erfassungssystemen nicht acht sondern insgesamt zehn technische Datensätze zu dem Mann gegeben habe, wovon aber immer zwei identisch waren; es lagen also fünf inhaltlich unterschiedliche Datensätze vor. Diese Mehrfacherfassung ließe sich „im Wesentlichen auf technische, administrative und transkriptionsbedingte Gründe zurückführen“, so die Sprecherin.
Mehrfache Datensätze sind nicht ungewöhnlich und entstehen behördenintern
Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass beispielsweise ein weiterer Datensatz entsteht, wenn die Akte des Verdächtigen vom Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zum BKA geschickt wird. Mehrere der Datensätze seien jedoch schon vor dem Angriff entstanden, als das BAMF bei der Beantragung des Asyls eine sogenannte Herkunftslandprognose durchführte. Dabei wird geschaut, in welchen Ländern der Name der Person häufig vorkommt. „Dies führte zur Zuweisung weiterer Herkunftsländer (Jordanien, Ägypten, Iran), obwohl Syrien als Herkunftsland bestätigt wurde.“ Für jedes dieser Länder werde ein weiterer Datensatz mit dem Namen des Mannes angelegt, so die Sprecherin des NRW-Innenministeriums.
Das BAMF widerspricht dieser Darstellung: Bei der Herkunftslandprognose würde zwar überprüft, aus welchem Land eine Person kommt, dabei würde aber nicht für jedes Land ein eigener Datensatz erstellt, erklärt uns ein Sprecher telefonisch.
Dennoch können offensichtlich bei der Einreise nach Deutschland im Rahmen des Asylverfahrens, oder im Falle einer Straftat bei den Polizeibehörden zusätzliche Datensätze entstehen; sie entstehen dann jedoch behördenintern und ohne das Zutun der Person, die einreist.
Die verschiedenen Datensätze sind also kein Beleg dafür, dass sich der Verdächtige von Bielefeld mehrere Identitäten schuf, geschweige denn mit diesen mehrfach Bürgergeld bezog. Das bestätigt uns auch die Sprecherin des Innenministeriums NRW: „Es liegen keine Hinweise auf eine […] missbräuchliche Nutzung vor.“
Zudem lassen sich all diese Personalien auf eine einzige Identität zurückführen: Die, die von der Bundespolizei bei der Einreise angelegt wird. Dort sei auch der Fingerabdruck hinterlegt, womit Mehrfachidentitäten ausgeschlossen seien, da die am Asylverfahren beteiligten Behörden auf diesen Datensatz zugreifen, schreibt uns das BAMF. Sollten zu der Person mehrere Namen beziehungsweise mehrere Namensschreibweisen bekannt sein oder werden, würden diese als Alias-Namen in der Akte vermerkt. Da in der Akte auch die biometrischen Daten hinterlegt sind, sind auch alle eventuellen Alias-Namen, die etwa an verschiedenen Stellen bei der Übersetzung des arabischen Namens entstehen könnten (zusätzliche oder fehlende Bindestriche, ähnlich klingende Vokale, etc.), mit dieser spezifischen Person verknüpft.
Mehrere Medien berichteten irreführend: Alias-Namen sind keine verschiedenen Identitäten
Auf Nachfrage beruft sich der Axel-Springer-Verlag, zu dem Bild gehört, als Quelle auf eine Aussage des NRW-Innenministers Herbert Reul. Der sagte aber nicht, dass der Mann acht Identitäten habe, sondern acht „Alias-Namen“. Nicht nur Bild setzte die Alias-Namen mit mehreren Identitäten gleich, auch der WDR oder RTL sprachen beispielsweise von acht Identitäten.
Dass eine Person, ob Asylbewerber oder nicht, mit gefälschten Identitäten mehrfach Bürgergeld bezieht, ist nicht auszuschließen, aber es gibt mehrere Sicherheitsvorkehrungen, die so etwas unterbinden sollen, schreibt uns ein Sprecher der Bundesagentur für Arbeit. So müsse sich jeder Antragsteller durch entsprechende Nachweise authentifizieren; die Personaldokumente würden dann mittels eines vom bayerischen Landeskriminalamt entwickelten Online-Systems auf Echtheit geprüft. „Auch im weiteren Verlauf besteht regelmäßiger Kontakt mit dem Jobcenter. Ein Betrugsversuch dieser Art würde daher ein hohes Maß an krimineller Energie und die Umgehung mehrerer Prüfmechanismen erfordern.“
Redigatur: Max Bernhard, Matthias Bau