Stichwahl in Rumänien: Simion macht unbelegte Behauptung zu „Millionen Toten“ im Wählerverzeichnis
Die Namen von Millionen Toten sollen in den Wählerverzeichnissen gestanden haben, behauptet der bei der rumänischen Präsidentschaftswahl unterlegene George Simion. Tausende Beweise will er haben. Die liefert er jedoch nicht und auch die Wahlbehörde in Rumänien hat von seiner angeblichen Mitteilung dazu an die Behörde nie gehört.

Der pro-europäische Kandidat, Nicușor Dan, gewann am 18. Mai 2025 im zweiten Wahlgang die Präsidentschaftswahl in Rumänien. Doch schon Tage vor dem ersten Wahlgang am 4. Mai kursierten Behauptungen über angeblichen Wahlbetrug – verbreitet unter anderem vom später unterlegenen Kandidaten der rechtsextremen Partei AUR (Allianz für die Vereinigung der Rumänen), George Simion.
In Rumänien wird der Präsident direkt vom Volk gewählt: Bekommt ein Kandidat im ersten Wahlgang keine absolute Mehrheit, erfolgt in einem zweiten Wahlgang eine Stichwahl der zwei führenden Kandidaten. In diesem Fall waren das Dan und Simion.
Schon vor dem ersten Wahlgang behauptete Simion in einem Tiktok-Video vom 1. Mai, dass die Namen von vier Millionen Toten auf den Wählerlisten stehen würden. In einer Pressekonferenz, die mutmaßlich am 4. Mai stattfand, sprach er dagegen von 1,7 Millionen. Auch in einem weiteren Video vom 18. Mai, also dem Tag des zweiten Wahlgangs, spricht er von 1,7 Millionen. Ausschnitte seiner Aussagen kursieren international auf X, Youtube und Tiktok. Er habe „ausreichend Beweise“ und „tausende Fälle“, die das belegen, behauptet Simion. Die liefert er aber nicht.
Keine Belege für Millionen von Toten auf Wählerlisten
Konkret geht die Erzählung so: Simion und sein Team hätten eine Wählerliste von nicht näher genannten rumänischen Behörden erhalten und dann Wählerbriefe an die darin aufgelisteten Haushalte von älteren Personen geschickt. Viele Familien hätten sich anschließend gemeldet und erklärt, dass die Haushalte Briefe für Personen erhalten hätten, die schon seit teilweise 20 Jahren tot seien.
Wir haben bei Simion per E-Mail nachgefragt, ob er eine Quelle für seine Behauptung nennen könne. Eine Antwort erhielten wir nicht. Auch welche Beweise Simion oder sein Team angeblich haben, bleibt offen. Von den behaupteten tausenden Familien, die einen Wahlbrief für tote Personen erhalten haben sollen, finden sich keine Berichte.
Wahlbehörde in Rumänien dementiert Simions Anschuldigungen
Das Innenministerium von Rumänien wies die Behauptung von Simions Partei bereits vor dem ersten Wahltag am 1. Mai zurück. Die rumänische Wahlbehörde widersprach den Anschuldigungen über Ungenauigkeiten in den Wählerlisten nach den Wahlen unter anderem in einem Statement vom 18. Mai. Dass sie, wie von Simion behauptet, über die Vorwürfe informiert worden sei, ist offenbar ebenfalls falsch. Es liege „keine offizielle Mitteilung einer politischen Partei über Fälle verstorbener Personen, die in den Wählerlisten für die Wahl des rumänischen Staatspräsidenten am 18. Mai 2025 aufgeführt sind“ vor.
Die Wahlbehörde verweist zudem auf die Zuständigkeit der einzelnen Gemeinden: Die Bürgermeister und deren zuständige Mitarbeiter seien für die Aktualisierung der Wählerlisten verantwortlich. Wir haben einige Gemeinden in Rumänien gefragt, ob sie Kenntnis davon haben, dass Verstorbene auf den Listen stehen. Keine der Gemeinden konnte das bestätigen. Sie verwiesen darauf, dass die Namen von Verstorbenen spätestens binnen 48 Stunden nach dem Ausstellen der Sterbeurkunde von den Wählerlisten gestrichen würden.
Auffällig ist auch: Den ersten Wahlgang, den Simion gewann, focht die Partei nicht an: „‚Wir haben heute gemeinsam Geschichte geschrieben‘, sagte Simion in einer in der AUR-Parteizentrale ausgestrahlten Videobotschaft“, wie es bei der Tagesschau heißt.
Es gibt also keinerlei Belege für Simions Anschuldigungen. Das rumänische Verfassungsgericht lehnte seinen Antrag auf Annullierung des zweiten Wahlgangs einstimmig ab.
Trump-Fan Simion wiederholt Falschbehauptung von gestohlener Wahl
Das Verfassungsgericht hatte die erste Präsidentschaftswahl von November 2024 im Dezember annulliert, weil vermutet wurde, dass der Gewinner, ein bis dahin praktisch unbekannter Politiker und Nationalist namens Călin Georgescu aus Russland unterstützt worden war und dadurch unter anderem eine große Präsenz auf Tiktok erreicht hatte, die ihm zum Sieg verhalf.
Bei der Wiederholungswahl kam Simion im ersten Wahlgang auf 41 Prozent der Stimmen und sein stärkster Konkurrent, Nicușor Dan, auf lediglich 21 Prozent. Beim zweiten Wahlgang am 18. Mai erhielt Dan dann etwa 54 Prozent der Stimmen und verwies Simion auf den zweiten Platz mit 46 Prozent. Grund für den Anstieg war unter anderem eine höhere Wahlbeteiligung: Beim ersten Wahlgang hatte nur etwa die Hälfte der Bevölkerung gewählt, im zweiten Wahlgang kamen jedoch fast zwei Millionen Menschen mehr an die Urnen. Zudem mussten sich die Wähler, die sich im ersten Wahlgang für einen anderen Kandidaten, als die aus der späteren Stichwahl, entschieden hatten, für einen der beiden entscheiden, was die Stimmverteilung erneut zugunsten von Dan verschob. Wir haben hier darüber berichtet.
Der starke Anstieg der Stimmen für Dan im zweiten Wahlgang ist seither von Rechtskonservativen in Rumänien, wie auch in Deutschland, als vermeintlicher Beleg für Wahlbetrug gehalten worden. Das Narrativ der angeblich gestohlenen Wahl passt zum Bild Simions, der mehrfach geäußert hat, er wolle der erste MAGA-Präsident Rumäniens werden – eine Anspielung auf den Wahlslogan „Make America Great Again“ des US-Präsidenten Donald Trump.
Mitarbeit: Kimberly Nicolaus
Redigatur: Sophie Timmermann, Max Bernhard
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Statement der rumänischen Wahlbehörde vom 18. Mai 2025: Link
- Rumänischer Medienbericht mit Statement des Innenministeriums vom 1. Mai 2025: Link
- Pressemitteilung des rumänischen Verfassungsgerichts zur Ablehnung des Annullierungsantrags von Simion vom 22. Mai 2025: Link
- Pressemitteilung des rumänischen Verfassungsgerichts zur Annullierung der Wahl vom 6. Dezember 2024: Link
- Wahlbeteiligung und Wahlergebnis der beiden Wahlgänge im Mai 2025: Link (rumänische Wahlbehörde), Link (Statista)