Fotovergleiche führen in die Irre – der globale Meeresspiegel steigt
Auf Tiktok geht ein Video mit Bildern viral, die den Meeresspiegelanstieg bezweifeln. Solche Vergleiche kursieren seit Jahren. Im aktuellen Fall zeigt eines der Bilder Sydney, ein anderes ist KI-generiert. Beide widerlegen den Meeresspiegelanstieg nicht.
Rio, New York, Sydney, und nun scheinbar auch Rügen. Geht es nach Beiträgen in Sozialen Netzwerken, sind diese Orte vom globalen Anstieg des Meeresspiegels nicht betroffen. Belegen sollen das in allen Fällen Vergleiche aktueller Fotos mit Aufnahmen, die 100 oder mehr Jahre zurückliegen sollen. Die Masche kursiert seit Jahren im Netz.
2023 widerlegten wir die Behauptungen über New York, 2024 die über Rio de Janeiro. Nun stellt ein Tiktok-Account die Städte in eine Reihe mit zwei weiteren Collagen. Eine davon zeigt einen Strand in Sydney, die andere einen Bunker an einer Küstenlinie. Das Bild aus Sydney ist echt, das des Bunkers KI-generiert. Wir zeigen, weshalb die Fälle Erkenntnisse über den globalen Anstieg des Meeresspiegels nicht widerlegen.
Von Kreidefelsen auf Rügen inspiriertes Bunkerbild ist KI-generiert
Schauen wir uns als erstes das KI-generierte Bild aus dem Tiktok-Beitrag an. Es gibt vor, eine historische schwarz-weiß Aufnahme eines Bunkers mit einem aktuellen Bild zu vergleichen. Darauf zu sehen ist ein verfallener Bunker an einer Steilküste mit hellen Felsen. In den Bunker eingemeißelt ist ein großer Adler, der an die Emblematik des Dritten Reichs erinnert. In der vermeintlich historischen Aufnahme sind Menschen in Uniform, in der aktuellen Menschen in Freizeitkleidung zu sehen.

Wir haben mit einer Bilder-Rückwärtssuche nach dem Aufnahmeort gesucht und stießen dabei auf den Facebook-Account „The global Lens“. Im Facebook-Beitrag des Accounts heißt es, die Aufnahme zeige einen Bunker an Kreidefelsen auf Rügen. Der Account verbreitet seit 2024 KI-generierte Aufnahmen. Diese kennzeichnet er seit einiger Zeit nicht mehr und führt so Nutzende in die Irre. So verhält es sich auch mit dem Bild des Bunkers.
Schwebender Soldat und komische Proportionen – woran sich der KI-Fake erkennen lässt
Wie uns Stefanie Besch, Pressesprecherin des Landkreises Vorpommern-Rügen auf Anfrage mitteilte, wurde die Aufnahme „nicht auf der Insel Rügen“ gemacht. Den Fake verraten auch Details im Bild selbst. Einer der Männer in Uniform schwebt frei in der Luft. In der farbigen Aufnahme sind zwei Personen zu sehen, die sich offenbar ein Bein „teilen“, eine andere hat scheinbar zwei Köpfe.
Ebenfalls seltsam sind die Größenverhältnisse: Auf der schwarz-weiß Aufnahme sind die Soldaten im Vergleich zu den Personen auf dem Farbfoto zu groß. Und auch der Bunker sieht auf den Bildern nicht identisch aus. So ist auf dem schwarz-weiß Bild hinter dem herabgestürzten Teil eine Öffnung in der Mauer zu sehen, die sich im farbigen Bild an einer anderen Stelle befindet.

Der Account verbreitet weitere KI-Fakes von Bunkeranlagen auf Rügen. In einem Fall ist die Fälschung noch offensichtlicher: In der farbigen Version der Szene ist ein riesiger Adler auf dem Bunker zu sehen, der in der schwarz-weiß Aufnahme fehlt. In den Kommentaren weisen Nutzerinnen und Nutzer immer wieder darauf hin, dass die vermeintlich historischen Aufnahmen Fälschungen sind.

Neben den Kreidefelsen auf Rügen scheinen die Bilder an den sogenannten Atlantikwall angelehnt zu sein: Eine Reihe von über 8.000 Bunkern, die die Nationalsozialisten entlang der Küste Norwegens bis nach Frankreich errichteten. Die Fotografin Annet van der Voort hat viele Aufnahmen der Bauwerke gemacht.
Auf unsere Anfrage antwortete der Facebook-Account bis zur Veröffentlichung nicht.
Meeresspiegel steigt auch im deutschen Teil der Ostsee
Unabhängig davon steigt der Meeresspiegel an der deutschen Ostseeküste, wenn auch regional unterschiedlich. Konkrete Daten über den Anstieg des Meeresspiegels im deutschen Teil der Ostsee stellt der Meeresspiegel-Monitor des Helmholtz-Zentrums „hereon“ bereit. Messstationen in Warnemünde, Travemünde und Kiel zeigen alle einen Anstieg des Meeresspiegels. An der Messstation in Kiel lag der Anstieg bei 7 Zentimetern in den letzten 50 Jahren, in Travemünde bei 10 Zentimetern.
Im Klimareport Mecklenburg-Vorpommern schreibt der Deutsche Wetterdienst (DWD), dass man zu diesen Anstiegen die Landsenkung oder Landhebung der entsprechenden Orte hinzurechnen muss. Als Ausgleichsbewegung nach der letzten Eiszeit heben sich laut Report weite Teile Skandinaviens an, während sich ein Großteil der deutschen Nordseeküste senkt. Die Ostseeküste befindet sich „im Übergangsbereich zwischen Landhebung und Landsenkung“ so der DWD, daher die regionalen Unterschiede. Der absolute Meeresspiegel seit 1960 sei etwa um 1,4 bis 2,0 Millimeter pro Jahr angestiegen.
Die Hafencity Universität Hamburg zeigt mit einer interaktiven Karte, was der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 1,8 und 3,7 Grad Celsius für den Anstieg des Meeresspiegels und in der Konsequenz für deutsche Inseln und die Küsten bedeuten könnte. Darauf ist auch zu sehen, welche Teile Rügens von den Folgen betroffen wären:

Aufnahme des Balmoral Beach widerlegt den Meeresspiegelanstieg vor Sydney nicht
Die zweite Aufnahme, die im Tiktok-Video genutzt wird, um den Anstieg des Meeresspiegels in Zweifel zu ziehen, soll den Balmoral Beach zeigen. Dabei wird, wie bei dieser Art Desinformation üblich, ebenfalls eine historische einer aktuellen Aufnahme gegenübergestellt. Diesmal sollen sie aus den Jahren 1905 und 2019 stammen.
Beide Aufnahmen zeigen einen Strandabschnitt mit Menschen, eine Landzunge und eine scheinbar vorgelagerte Insel. Auf beiden ist ein Stein rot eingekreist – offenbar um zu zeigen, dass sich der Meeresspiegel nicht geändert hat.

Anders als im Falle des Bunkers, gibt es den Balmoral Beach tatsächlich. Er liegt in Sydney, im Osten Australiens, und wird durch die Rocky Point Island, wie die Landzunge heißt, vom Edwards Beach getrennt.

Eine Suche auf Google-Maps zeigt, dass die Aufnahmen die linke Seite der Rocky Point Island zeigen, also eigentlich am Edwards Beach aufgenommen wurde, nicht am Balmoral Beach. Das ist an der Felsformation und dem in den Beiträgen eingekreisten Stein zu erkennen.
Die österreichische Faktencheckorganisation Mimikama fand heraus, dass es vor den beiden Stränden eine Station des Permanent Service for Mean Sea Level gibt, die seit 1987 Messungen durchführt. Die Daten zeigen, dass der Meeresspiegel im Schnitt seitdem gestiegen ist.

Meeresspiegel bei Sydney seit 1914 um etwa acht Zentimeter gestiegen
Auch das australische Bureau of Meteorology hat Daten zum Meeresspiegel, die das Royal Melbourne Institute of Technology (RMIT) für einen Faktencheck auswertete. Sie zeigen für den Hafen von Sydney einen Meeresspiegelanstieg von acht Zentimetern zwischen 1914 und 2019. Eine Auswertung der Wetter- und Ozeanografiebehörde der Vereinigten Staaten bestätigt diese Zahlen.

Auf unsere Fragen an den Tiktok-Account, der die Bilder verbreitete, antwortete dieser inhaltlich nicht. Er schrieb uns lediglich: „In den Kommentaren tauschen sich die Leute fleißig aus und jeder sagt frei seine eigene Meinung.“ Dort schreiben Nutzerinnen und Nutzer zum Beispiel: „Wohne an der Ostsee. Hier steigt kein Meeresspiegel an“ oder „Der Meeresspiegel (ebenso wie die Polkappen) hat sich während der Jahrmilliarden (!!!) der Erdgeschichte schon vielfach – und auch noch viel dramatischer – verändert. Das sind ganz normale Klimazyklen der Erde!!!“.
Worin sich der Klimawandel von anderen Klimaphasen der Erdgeschichte unterscheidet, haben wir hier erklärt.
Gezeiten und Klimawandeln haben wesentlichen Einfluss auf den Meeresspiegel
Die online kursierenden Bildvergleiche lassen stets außer Acht, dass der Meeresspiegel über das Jahr hinweg und auch an einem Tag stark schwanken kann. Deswegen sind solche Fotovergleiche nicht sinnvoll. Im Fall von Sydney zeigen mehrere Webseiten, dass der Unterschied durch Ebbe und Flut dort aktuell an einem Tag etwas mehr als einen Meter betrug.
Darüber hinaus gilt der globale Meeresspiegelanstieg als Folge des Klimawandels mittlerweile als gesichert. 2023 schrieb der Weltklimarat dazu, dass der Meeresspiegel zwischen 1901 und 2018 im globalen Mittel um 20 Zentimeter gestiegen sei. Zudem habe sich der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt. Stieg er zwischen 1901 und 1971 noch um 1,3 Millimeter pro Jahr, seien es zwischen 2006 und 2018 bereits 3,7 Millimeter gewesen. Als Ursache dafür macht der Weltklimarat den Einfluss des Menschen aus.
CORRECTIV beschäftigte sich bereits 2019 umfangreich mit dem Anstieg des Meeresspiegels. Alle Artikel der Serie „steigende Meere“ finden Sie hier.
Redigatur: Steffen Kutzner, Paulina Thom