Lösungen und Netzwerke gegen Desinformation: So war die Faktencheck-Fachtagung 2025
Desinformation wird komplexer, der Druck im professionellen Faktenchecken wächst. Die dritte Fachtagung von CORRECTIV zeigte, wie wichtig nachhaltige Strukturen, qualitatives Monitoring und starke Netzwerke gegen Desinformation sind.
Die Faktencheck-Fachtagung von CORRECTIV am 5. Dezember stand ganz im Zeichen aktueller Entwicklungen: Während im Berliner Publix knapp 70 Vertreterinnen und Vertreter aus Journalismus, Forschung, Medienbildung und Aufsicht zusammenkamen, um über die drängendsten Herausforderungen im Kampf gegen Desinformation zu diskutieren, lief über die Nachrichtenticker das EU-Urteil gegen X. Dem Twitter-Nachfolger droht eine Millionenstrafe wegen Transparenzmängeln auf der Plattform.
Schon zu Beginn des Jahres hatten sich zunehmende Spannungen um den digitalen Informationsraum abgezeichnet: Meta-Chef Mark Zuckerberg läutete am 7. Januar das Ende des Faktencheckprogramms in den USA ein – ein verheerendes Signal für den Kampf gegen Desinformation. „Zuckerbergs Ankündigung war nicht nur eine Abkehr von dem Faktencheck-Programm auf Meta“, sagte Caroline Lindekamp, Director CORRECTIV.Faktencheck, in ihrer Begrüßung bei der Fachtagung. „Es war auch ein Angriff auf Europa und unsere Demokratie. Dem müssen wir starke Netzwerke entgegensetzen – länder- und disziplinübergreifend.“
Der Appell Lindekamps formulierte den Anspruch, der die Faktencheck-Fachtagung prägte: Sie wollte nicht bloß Entwicklungen nacherzählen, sondern gemeinsame Antworten entwickeln – darauf, wie ein resilienter, deutschsprachiger Informationsraum aussehen kann und welche Rolle der Faktencheck darin spielt. CORRECTIV organisierte die Fachtagung zum dritten Mal als Teil des German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO), ein Bündnis aus führenden Faktencheck-Organisationen und Forschungseinrichtungen im deutschsprachigen Raum.
Europa im globalen Spannungsfeld: Wo steht der deutschsprachige Faktencheck?
Das Auftaktpanel richtete den Blick auf den europäischen Kontext. Sophie Timmermann, Chefredakteurin von CORRECTIV.Faktencheck, diskutierte mit Stephan Mündges, Koordinator des European Fact-Checking Standards Network (EFCSN), und Lena Böswald, Senior Policy Researcher bei Interface, über die Rolle von Meta, X und Co. und den Stand europäischer Regulierung. Unbestritten sind die Tech-Plattformen für Reichweite und Folgen von Desinformation mitverantwortlich, aber dieser Verantwortung kommen sie kaum nach. Die Vorgaben aus dem Digital Services Act (DSA) sah das Panel längst nicht erfüllt. Bei den freiwilligen Maßnahmen aus dem DSA wie dem Verhaltenskodex zur Bekämpfung von Desinformation sind die Plattformen in diesem Jahr sogar noch weiter zurückgefahren.
Böswald hob die Bedeutung konsequenter Durchsetzung existierender Regeln hervor – und die Rolle von Monitoring, das weit über einzelne Posts hinausgeht: „Wir brauchen ein klares Bild davon, welche Kampagnen sich über Landesgrenzen hinweg bewegen und welche Strukturen hinter ihnen stehen.“
Die Bedeutung von Monitoring betonte auch EFCSN-Koordinator Stephan Mündges: „Wir müssen Trends früh erkennen, um zu verstehen, wie wir Desinformation begegnen können.” Die Daten, Erkenntnisse und systematischen Beobachtungen von Faktencheck-Organisationen müssten stärker an Regulierer, Tech-Unternehmen und Industrieverbände zurückgespielt werden. Mündges ergänzt: „Entscheidungen über digitale Informationsräume dürften nicht auf Vermutungen basieren, sondern müssten auf empirischen Grundlagen stehen.”
Blinde Flecken, neue Fronten und alte Muster
Das Panel machte deutlich: Faktenchecken ist die Grundlage für wirkungsvolle Maßnahmen gegen Desinformation und steht im Spannungsraum zwischen Regulierung, Technologie und politischer Kommunikation. Das gab den Ton für die anschließenden Thementracks bei der Fachtagung vor. Die Beiträge zeigten die Breite der aktuellen Herausforderungen – und zugleich, wie viele Disziplinen und Akteure an der Bekämpfung von Desinformation beteiligt sind.
Fremdstaatliche Manipulation und Monitoring:
Wir sehen viel, aber sehen wir alles? Dieser Track schaute auf Desinformationskampagnen aus dem Ausland und richtete den Blick auch nach Innen. Er sollte blinde Flecken im Monitoring offenlegen – und stellte die Frage, wie wir diese Lücken schließen können. Der Tenor: Manipulation ist zunehmend automatisiert, adaptiv und orchestriert. Wer ihr begegnen will, braucht robuste Monitoring-Strukturen, belastbare Daten – und die Fähigkeit, Narrative über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen.
- Sarah Thust, CORRECTIV: Über Desinformation berichten: Learnings aus der Russland-Taskforce
- Ennio Noél Brandt, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW): Jenseits von FIMI und hybriden Bedrohungen – Meinungsmanipulation und Desinformation made in Germany
- Pablo Maristany de las Casas, Institute for Strategic Dialogue: Wenn Chatbots russische Staatsmedien zitieren
- Richard Schwenn, Polishphere: Blinde Flecken und taube Ohren: Monitoring von multimodaler Desinformation
Faktenchecken und Künstliche Intelligenz (KI):
Der Track zeigte, welche Partner, welche Daten, welche Voraussetzungen es braucht, damit KI-basierte Ansätze im Faktencheck einen Unterschied machen – und wo sie ihre Grenzen haben.
- Martin Boyer, Austrian Institute of Technology (AIT), & Florian Schmidt, Austria Presse Agentur (APA): Media Intelligence gegen Desinformation: Einblicke aus GADMO 2.0
- Omed Abed, Hochschule Rhein-Waal: Erkennung und Analyse sprachlicher Bedrohungsmuster in politischen Texten
- Michael Schmidt, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena (IDZ): Der Schwarm als Faktenchecker. Community Notes und der politische Streit um Fakten
- Philipp Lorenz-Spreen, TU Dresden: Ausweitung der inhaltsgestützten Erkennung von Falschinformationen auf Politiker und Politikerinnen sowie Plattformen
Medienkompetenz neu denken:
Wie bleibt Medien- und Informationskompetenzbildung wirkungsvoll und kann mehr als Tools und Handwerk vermitteln? Nötig ist ein Verständnis dafür, warum Menschen anfällig für Narrative werden, wie Emotionen Informationsverhalten steuern und welche sozialen Dynamiken Falschinformationen verstärken.
- Anna Süß und Nadia Westerwald, CORRECTIV: Was soll eigentlich Medienkompetenz?
- Lea Frühwirth, CeMAS: Medienkompetenz allein wird’s nicht richten: Werteresilienz als blinder Fleck der FIMI-Bewältigung
- Charlotte Lohmann, Amadeu Antonio Stiftung: Wenn die Antwort immer ‚Bilderrückwärtssuche‘ ist, stellen wir vielleicht die falschen Fragen.
- Anna Lob, More in Common: Vertrauen als Aufmacher: Impulse für ein tragfähiges Verhältnis zwischen Medien und Gesellschaft
In einem anschließenden Barcamp vertieften Teilnehmende die Diskussionen über die Grenzen und möglichen Chancen durch KI; Ansätze für ein gut funktionieres Community-Notes-Modell und Community-Programme für das Faktenchecken.
Wichtiger denn je: Eine Plattform für Austausch und gemeinsame Standards
Faktenchecken ist unverzichtbar, um Orientierung im digitalen Raum zu schaffen. Zugleich steht die Branche unter so starkem Druck wie nie zuvor. Gerade deshalb zeigt sich der Wert der Faktencheck-Fachtagung als zentrale und einzigartige Plattform im deutschsprachigen Raum: Die Tagung bringt Journalistinnen und Journalisten, Vertreter und Vertreterinnen aus Forschung und Medienbildung sowie zivilgesellschaftliche Akteure und Aufsicht zusammen und schafft einen Raum für unterschiedliche Perspektiven, gemeinsame Standards und neue Kooperationen.
CORRECTIV organisiert die jährliche Faktencheck-Fachtagung als Mitglied des German-Austrian Digital Media Observatory (GADMO). GADMO ist Teil des EU-weiten EDMO-Netzwerks und vereint führende Faktencheck-Organisationen mit Forschungseinrichtungen. GADMO wird von der EU-Kommission gefördert. Die diesjährige Faktencheck-Fachtagung wurde von der Cyberagentur unterstützt.
Im GADMO-Netzwerk kooperieren die Faktencheckorganisationen Deutsche Presse-Agentur (dpa), Agence France-Presse (AFP), Austria Presse Agentur (APA) und CORRECTIV mit Forschenden der Technischen Universität Dortmund sowie des AIT Austrian Institute of Technology. Die technische Umsetzung liegt beim Athens Technology Center.