Europa

Aktionsplan gegen Desinformation: Nein, die EU verhängt keine Geldstrafen für „Kritik am Islam“

Mit Blick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament legte die EU im Dezember 2018 einen „Aktionsplan gegen Desinformation“ vor. Eine Webseite behauptet, der Aktionsplan sei eine Umsetzung des UN-Migrationspakts. „Kritik am Islam“ würde mit Geldstrafen geahndet. Stimmt das? CORRECTIV hat recherchiert.

von Caroline Schmüser

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Am 13. Dezember 2018 nahm der Europäische Rat den „Aktionsplan gegen Desinformation“ an. (Symbolbild NakNakNak / pixabay)
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Falsch. Der UN-Migrationspakt und der „Aktionsplan gegen Desinformation“ stehen in keiner Verbindung zueinander. Keines der Programme fordert Geldstrafen für „Kritik am Islam“.

Desinformationskampagnen, Bots und Trolle – ihnen möchte die Europäische Union entgegenwirken. Am 13. Dezember 2018 nahm der Europäische Rat den „Aktionsplan gegen Desinformation“ an. Dieser legt konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Desinformationen fest. Vorgelegt wurde der Aktionsplan vom Europäischen Auswärtigen Dienst und der Europäischen Kommission in Kooperation mit den EU-Mitgliedsstaaten.

Der Blog Philosophia Perennis veröffentlichte am 10. Februar 2019 einen Artikel über den Aktionsplan der EU mit der Überschrift: „EU beginnt Migrationspakt umzusetzen: Kritik am Islam soll finanziell bestraft werden“. Der Artikeltext erschien unter dem Titel „EU: Going Full Orwell“ zuerst auf Englisch auf der Webseite Gatestone Institute. Als Autorin wird auf beiden Seiten Judith Bergmann angegeben.

Bergmann zählt im ursprünglichen Artikel verschiedene Vorhaben der EU auf, die ihrer Auffassung nach zur „Erhöhung von Zensur“ beitragen sollen: den im September 2018 zwischen der EU und großen Online-Plattformen vereinbarten Verhaltenskodex gegen Desinformation, den am 10. Dezember 2018 in Marrakesch beschlossenen UN-Migrationspakt, den Aktionsplan gegen Desinformation, sowie das EU-finanzierte Projekt „Respect Words“.

Falsche Behauptungen zu angeblichen Geldstrafen für „Kritik am Islam“

Auf Philosophia Perennis erschien Bergmanns Artikel mit neuer Überschrift und eigener Einleitung, die sich nicht mit dem Inhalt des ursprünglichen Artikels decken und laut Autorenvermerk vom Betreiber des Blogs, David Berger, stammen. In der Überschrift wird der „Aktionsplan gegen Desinformation“ als Umsetzung des UN-Migrationspakts beschrieben. Außerdem wird behauptet, „Kritik am Islam“ würde mit Geldstrafen geahndet. In der Einleitung steht, die in einem Handbuch für Journalisten niedergeschriebene Leitlinien im Rahmen des Projektes „Respect Words“ seien Teil des Aktionsplan gegen Desinformation. Diese Behauptungen sind falsch.

In welchem Zusammenhang stehen die oben genannten Projekte der EU? Müssen Personen, die „Kritik am Islam“ äußern, Geldstrafen fürchten?

Was ist der UN-Migrationspakt und will er „Kritik am Islam“ bestrafen?

Der UN-Migrationspakt legt globale Richtlinien für internationale Migrationspolitik fest, soll für „sichere, geordnete und geregelte“ Migration sorgen. Insgesamt 164 Staaten nahmen den Pakt auf einer Konferenz am 10. und 11. Dezember 2018 im marokkanischen Marrakesch an – darunter auch Deutschland. Zuvor hatte der Migrationspakt für heftige Debatten im Deutschen Bundestag gesorgt. Warum? Die AfD und Teile der Union hatten sich gegen den Pakt ausgesprochen.

Das Gerücht, der UN-Migrationspakt wolle „Kritik am Islam“ unter Strafe stellen, ist kein neues. Bereits im Dezember 2018 beschäftigten wir uns in einem Faktencheck mit dieser Behauptung. Unser Ergebnis: Das Dokument enthält kein Verbot, negativ über Migration zu sprechen oder zu berichten. Es heißt darin lediglich, irreführende Narrative, zum Beispiel Falschmeldungen, sollten vermieden werden, da sie negative Wahrnehmungen von Migranten auslösen können. Was laut dem Pakt jedoch bestraft werden soll, sind Hassstraftaten. Dazu später mehr.

Wurde der Aktionsplan gegen Desinformation in Folge des Migrationspakts vorgelegt?

Nein. „Der Aktionsplan gegen Desinformation hat insbesondere die bevorstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament im Blick“, antwortete eine Pressesprecherin der Europäischen Kommission auf Nachfrage von CORRECTIV. Diese stehen im Mai an – außerdem wird es bis 2020 in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten nationale Parlaments- und Kommunalwahlen geben. „Ziel ist es, in Europa und über Europas Grenzen hinaus verstärkt gegen Desinformation vorzugehen“, so die Sprecherin.

Will die EU anhand des Aktionsplans Geldstrafen verhängen?

Nein. Die EU möchte Desinformation bekämpfen. Die Maßnahmen des Aktionsplans stützen sich auf vier Säulen. Geldstrafen gehören nicht dazu.

  1. Säule: „Organe der EU“ sollen Desinformation besser erkennen, untersuchen und enthüllen. Dazu gehört  der Ausbau von EU-Kommunikationseinheiten, wie der East StratCom Task Force. Sie soll in den östlichen Partnerländern der EU – das sind Ukraine, Moldau, Georgien, Belarus, Armenien und Aserbaidschan – durch Medienkampagnen EU-Politik besser erklären und Desinformation seitens Russlands analysieren und korrigieren.

 

  1. Säule: Die Reaktion der EU-Organe und der Mitgliedstaaten auf ausländische Desinformationskampagnen soll koordiniert werden. Dazu plant die EU die Einführung eines „speziellen Frühwarnsystems“ und eine digitale Austauschplattform.

 

  1. Säule: Der Privatsektor soll Desinformation bekämpfen, wie zum Beispiel durch den im September 2018 vereinbarten Verhaltenskodex gegen Desinformation. Unterschrieben haben ihn große Online-Plattformen wie Facebook, Google, Twitter und Mozilla. Die Unternehmen verpflichten sich, Scheinkonten von den Plattformen zu entfernen oder die Sichtbarkeit von Webseiten, die Desinformation verbreiten, einzuschränken. Außerdem sollen sie mit Faktenprüfern und Wissenschaftlern zusammenarbeiten, um Desinformationskampagnen aufzudecken.

 

  1. Säule: EU-Organe und die Mitgliedstaaten sollen spezielle Programme zur Förderung der Medienkompetenz und Sensibilisierung gegen Desinformation durchführen.

Keine der Maßnahmen sieht Geldstrafen vor. „Die EU hat in diesem Zusammenhang nicht die Kompetenz, um Geldstrafen zu verhängen“, so die EU-Sprecherin gegenüber CORRECTIV mit. Eine strafrechtliche Ahndung von Desinformation obliege den EU-Mitgliedstaaten.

Dürfen Journalisten Begriffe wie „Islam“ oder „Muslim“ nicht mehr in einem negativen Kontext nennen?

Die im Aktionsplan angeblich festgelegten „Richtlinien“ für Journalisten sollen, heißt es im Philosophia Perennis-Artikel, dem Projekt „Respect Words“ entstammen.

Richtig ist: Das Projekt „Respect Words“ ist nicht Teil des Aktionsplans gegen Desinformation. „Mit dem Ziel, Grundwerte und Demokratie als solche zu schützen, teilt der Aktionsplan gegen Desinformation das Kernziel des EU-Programms ‘Rights, Equality and Citizenship’, ist aber nicht direkt damit verbunden“, so die Sprecherin der Europäischen Kommission auf Nachfrage.

Finanziert wird „Respect Words“ aus den Fonds des im Jahr 2014 gestarteten EU-Förderprogramms „Rights, Equality and Citizenship“. Das Projekt „Respect Words“ steht unter dem Motto „Ethischer Journalismus gegen Hassreden“ und veröffentlichte einen „Ethikkodex“, ein 45 Seiten langer Leitfaden, der Möglichkeiten zur „Verbesserung“ der Berichterstattung über Migration und Minderheiten aufzeigen soll. Um verbindlich festgelegte Regelungen handelt es sich hierbei, entgegen der Darstellung von Philosophia Perennis, nicht.

Falsch ist auch die Behauptung, der Ethikkodex würde empfehlen, Begriffe wie „Islam“ oder „Muslim“ nicht mehr „mit negativen Dingen in einen Zusammenhang“ zu bringen. Im Kodex heißt es stattdessen: „Achten Sie darauf, Begriffe wie ‘Muslim’ oder ‘Islam’ nicht noch weiter zu stigmatisieren, indem Sie sie mit bestimmten Taten in Verbindung setzen“.

Der relevante Absatz aus dem Ethikkodex des EU-finanzierten Projekts „Respect Words“. (Screenshot CORRECTIV)

Der Ethikkodex weist an verschiedenen Stellen darauf hin, Muslime oder andere Minderheiten nicht als homogene Gruppe darzustellen und Verallgemeinerungen zu vermeiden.

Kritik am Islam, Hassrede, Desinformation – wann drohen strafrechtliche Konsequenzen?

Kritik am Islam ist, wie bereits erwähnt, nicht strafbar oder verboten. Weder der UN-Migrationspakt, noch der Aktionsplan gegen Desinformation fordern Geldstrafen bei „Kritik am Islam“.

Mit dem UN-Migrationspakt haben die teilnehmenden Staaten zugestimmt, Hasskriminalität gegen Migranten zu bestrafen. In Deutschland ist das bereits der Fall. Das Justizministerium schrieb auf Anfrage von CORRECTIV im Dezember, „dass Hasskriminalität selbstverständlich nach zahlreichen Strafvorschriften des Strafgesetzbuchs strafbar ist“. Dazu zählen Volksverhetzung, Gewalt- und Beleidigungsdelikte.

„Desinformation ist strafbar, wenn zum Beispiel der Tatbestand der Verleumdung oder der üblen Nachrede erfüllt ist“, teilte das Justizministerium CORRECTIV auf Nachfrage mit. Die Strafverfolgung obliege in Deutschland den Staatsanwaltschaften und den unabhängigen Gerichten.