Gesellschaft

Armut in Deutschland: Welche Zahlen stimmen?

Im Netz schlägt ein Bild der Facebook-Seite „Gelbe Westen - Deutschland“ hohe Wellen. Darauf zu sehen: Zahlen zu Kinderarmut sowie dem Rentenniveau in Deutschland. Außerdem wird die finanzielle Entschädigung von Bundestagsabgeordneten als unverhältnismäßig dargestellt. CORRECTIV hat die Angaben überprüft.

von Simon Wörz

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Kinder- und Altersarmut sind in Deutschland flächendeckende Probleme. (Bild: congedesign/pixabay)
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Größtenteils richtig. Beim Thema Kinderarmut fehlen eindeutige Belege – die restlichen Zahlen stimmen.

Am 21. Februar verbreitete die Seite „Gelbe Westen – Deutschland“ ein Bild auf Facebook, das verschiedene Behauptungen enthält – über die Diäten von Bundestagsabgeordneten, Kinderarmut, Tafeln und dem Rentenniveau in Deutschland. Außerdem zählt die Montage Einwohner- sowie Abgeordnetenzahlen von Russland und den USA auf. Dann heißt es: Deutschland hat nur 82 Mio. Einwohner, aber leistet sich 709 Abgeordnete mit min. 10.000€ Gehalt pro Monat.“

Im unteren Abschnitt steht: „Es gibt aber auch 940 Tafeln im Land und jede zweite Rente liegt unter 800€ pro Monat, 4,4 Mio. Kinder leben in Armut.“ Der Verfasser des Posts nennt keine Quellen für diese Aussagen.

Die Seite sieht sich selbst als deutscher Ableger der Gelbwesten-Proteste in Deutschland. (Screenshot CORRECTIV)

Was Bundestagsabgeordnete verdienen 

Zunächst behauptet der Facebook-Beitrag, Bundestagsabgeordnete würden mindestens 10.000 Euro im Monat verdienen. Das stimmt fast: Den Abgeordneten steht seit dem 1. Juli 2018 eine monatliche Entschädigung von 9780,28 Euro zu.

Das steht in einem Dokument des Bundestags von April 2018. Auf diese Entschädigungen, auch Diäten genannt, entfällt die reguläre Einkommensteuer.

Außerdem erhalten Abgeordnete zusätzlich zu der Entschädigung eine steuerfreie Kostenpauschale von 4.418,09 Euro pro Monat. Mit der Summe sollen anfallende Kosten zur Mandatsausübung und Amtsausstattung abgedeckt werden. Dazu zählen laut der Webseite des Bundestags unter anderem „die Einrichtung und Unterhaltung eines oder mehrerer Wahlkreisbüros, Fahrten im Wahlkreis, Wahlkreisbetreuung und die Ausgaben für die Zweitwohnung am Sitz des Parlaments.“ Das Abgeordnetengesetz bildet hierbei die rechtliche Grundlage für die beschriebenen Abläufe und Normen. Das zählt allerdings nicht zum Verdienst.

Die Behauptung von „min. 10.000 Euro Gehalt”, welche die 709 Bundestagsabgeordneten der Fotomontage nach monatlich beziehen, ist demnach korrekt.

Ja, es gibt etwa 940 Tafeln in Deutschland

Weiter heißt es in dem Post, es gebe 940 Tafeln in Deutschland. Diese Zahl stimmt mit den Angaben des Tafel Deutschland e.V., dem Dachverbands der deutschen Tafeln, überein. Auf dessen Webseite ist von „über 940 Tafeln mit mehr als 2.000 Tafel-Läden und Ausgabestellen“ die Rede (Stand 2018).

Der Tafel Deutschland e.V. informiert über die Anzahl der deutschen Tafeln. (Screenshot CORRECTIV)

 

48 Prozent der Renten lagen 2016 unter 800 Euro

„Jede zweite Rente liegt unter 800 Euro pro Monat“, behauptet der Facebook-Beitrag im selben Satz. Und der Verfasser hat Recht. Auf Nachfrage teilte das Bundesarbeitsministerium mit, dass 48 Prozent aller Rentenzahlbeträge im Jahr 2016 nicht die Grenze von monatlich 800 Euro überschritten. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag pro Monat lag 2017 laut dem Rentenversicherungsbericht bei 848,32 Euro.

Kinderarmut wird unterschiedlich gemessen

Als letztes hat CORRECTIV die Aussage „4,4 Mio. Kinder leben in Armut” geprüft. Während der Recherche wurde schnell klar, dass es von Behörden und Sozialverbänden keine einheitliche Definition von Kinderarmut gibt. Einer Berechnung zufolge stimmt die Angabe.

Das Statistische Bundesamt verweist auf Anfrage auf die Daten der Erhebung „Leben in Europa” (EU-SILC). Sie bezeichnet 15,2 Prozent der unter 18-jährigen im Jahr 2017 als armutsgefährdet. Das entspricht 2,1 Millionen Kindern in Deutschland.

Die Daten der Erhebung „Leben in Europa” (EU-SILC) (Screenshot CORRECTIV).

Kinderschutzbund spricht von 4,4 Millionen Kindern in Armut

Allerdings könnte die Angabe in dem Facebook-Post auf der Berechnung vom Kinderschutzbund basieren. Der Verband hat versucht, die Dunkelziffer in der Kinderarmut zu berechnen, und kam im August 2018 auf die Gesamtzahl von 4,4 Millionen Kindern in Armut.

Wie? Der Verband definiert Kinder in Haushalten, die bedarfsgeprüfte Leistungen (Wohngeld, Kinderzuschlag, BAföG) beziehen, als „in Armut lebend“. Diese Zahl addiert er mit den minderjährigen Beziehern von staatlichen Leistungen zur Mindestsicherung. Dazu kommen noch eigene Schätzungen des Kinderschutzbundes zu Kindern, deren Eltern keiner Arbeit nachgehen, aber keine „aufstockende” Sozialhilfen in Anspruch nehmen.

Vom Arbeitsministerium heißt es auf Nachfrage: „Die Qualität der Schätzung des Kinderschutzbunds kann nicht bewertet werden. Es handelt sich allerdings um eine recht weite Auslegung des Armutsbegriffs, aus der sich bei einer Gesamtzahl von 13,4 Mio. Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in Deutschland (Mikrozensus 2017) eine Quote betroffener Kinder und Jugendlicher von fast einem Drittel ergäbe.”

Die Bundesregierung selbst macht keine Schätzunge zur Dunkelziffer von Kinderarmut, ist sich allerdings ihrer Existenz bewusst. Warum wird im Armuts- und Reichtumsbericht erklärt.

Eine Bewertung der Behauptung „4,4 Mio. Kinder leben in Armut“ als falsch oder richtig ist nicht möglich.