Nein, „Zeit-Online“-Autor Christian Bangel forderte keinen „gezielten Völkermord durch Migration“
Auf der Webseite Anonymous News wird behauptet, der Zeit-Online-Autor Christian Bangel fordere in einem Artikel den „Genozid am deutschen Volk“. Das stimmt nicht.
„Nach AfD-Wahlerfolg im Osten: ZEIT-Autor fordert gezielten Völkermord durch Migration“, titelte die Webseite Anonymous News in einem Artikel vom 3. November. Der Publizist Akif Pirinçci behauptet darin unter anderem, Autor Christian Bangel von Zeit Online habe in einem Artikel einen „eine ‘sofortige und massive Zuwanderung durch Migranten aus dem Ausland’ und damit einen Genozid am deutschen Volk“ gefordert. „Denn genauso definiert die UN Völkermord“, behauptet Pirinçci.
Der Artikel wurde bisher laut des Analysetools Crowdtangle als 550 Mal auf Facebook geteilt, unter anderem vom AfD-Ortsverband Schwandorf.
Bangel schreibt, Zuwanderung könnte Situation im Osten Deutschlands stabilisieren
Hintergrund ist ein Zeit-Online-Artikel vom 27. Oktober von Bangel. Er ist als Kommentar gekennzeichnet, also als Meinung des Autors (PDF, Seite 10). Bangel schreibt darin darüber, wie die AfD bei der Thüringen-Wahl abgeschnitten hat und darüber, wie er die Situation in Ostdeutschland wahrnimmt.
Er macht unter anderem den Vorschlag: „Wer den Osten dauerhaft stabilisieren will, der muss vor allem für eines kämpfen: Zuwanderung. Massiv und am besten ab sofort. Zuwanderung aus dem Westen, Binnenzuwanderung aus den großen Städten in die ländlichen Räume, und ja, auch gezielte Migration aus dem Ausland.“ So könnten auch in „Verliererregionen“ stabile wirtschaftliche Strukturen aufgebaut werden, schreibt Bangel.
Diese Passage wird im Anonymous-News-Text herausgestellt und als Beleg dafür angeführt, dass Bangel sich für eine „Umvolkung“ ausspreche, einen „Genozid“, weil das die UN-Definition dafür sei. Bangel schreibt im Text aber nirgends von „Umvolkung“, „Genozid“, oder nutzt das Wort „Völkermord“. Das Ziel seines Vorschlags – also der gezielten Zuwanderung aus dem Westen, Binnenzuwanderung und Migration aus dem Ausland – sei im Gegenteil, dass in wirtschaftlich schwächeren Regionen Deutschlands „ein Miteinander von Generationen, Milieus und Haufarben“ entstehe.
Die UN definiert Zuwanderung und Migration nicht als Parameter für das Verbrechen Genozid
Genozid als internationales Verbrechen wurde erstmals 1946 von der UN-Generalversammlung festgestellt und 1948 in der sogenannten Genozid-Konvention (PDF) definiert. Alle Staaten sind laut dem internationalen Gerichtshof an den Grundsatz gebunden, dass Völkermord ein völkerrechtlich verbotenes Verbrechen ist, wie die UN schreibt. Das wurde 1948 ins deutsche Bundesgesetzblatt aufgenommen (PDF).
Die Handlungen, die erforderlich sind, damit ein Verbrechen als Genozid gilt, werden in Artikel 2 der Konvention definiert. Laut UN gibt es dabei zwei Hauptelemente: Ein mentales, „die Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Und ein physisches, das diese fünf Handlungen beinhaltet:
- Das Töten von Mitgliedern der Gruppe
- Das Verursachen von schweren körperliche oder geistigen Schäden an den Mitgliedern der Gruppe
- Das bewusste Einwirken auf die Lebensbedingungen der Gruppe, die dazu führen sollen, diese ganz oder teilweise zu zerstören
- Die Einführung von Maßnahmen zur Verhinderung von Geburten innerhalb der Gruppe
- Gewaltsames Übertragen von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe
Zuwanderung oder Migration werden in der Konvention dagegen nicht genannt. Pirinçcis Aussage dazu ist demnach falsch.
Im weiteren Verlauf des Textes schreibt Pirinçci, Zeit-Online-Autor Bangel gebe eine explizite Handlungsempfehlung und empfehle eine „Umvolkung“. Er legt Bangel damit nicht nur das Wort in den Mund, sondern offenbar auch seine eigene Theorie der „Umvolkung“, nach der mit Migration und Flüchtlingsaufnahme angeblich ein Plan verfolgt werden soll, die deutsche Gesellschaft auszutauschen. Pirinçci schrieb darüber selbst ein Buch mit dem Titel „Umvolkung“.
Der Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen erwähnte den wegen Volksverhetzung verurteilten Pirinçci im Bericht 2017, weil er in diesem Jahr auf einer Veranstaltung des Vereins Pro Köln auftrat (PDF, Seite 30). Weiter steht im Bericht: „Der Begriff ‘Umvolkung’ stammt aus dem Sprachgebrauch des Nationalsozialismus für bevölkerungspolitische Maßnahmen im Sinne der NS-Ideologie. Derzeit verwenden den Begriff Rechtsextremisten, um ihre fremdenfeindlichen Positionen zu verbreiten. Sie wollen den Eindruck erwecken, dass durch Einwanderung eine ethnisch homogene Bevölkerungsgruppe durch eine andere ethnisch homogene Bevölkerungsgruppe vertrieben würde“.
Fazit
Zeit-Online-Autor Bangel hat in seinem Kommentar keinen „gezielten Völkermord durch Migration“ gefordert, sondern schreibt von Zuwanderung als Vorschlag für ein stabileres Ostdeutschland. Die UN definieren Zuwanderung und Migration zudem nicht, wie im Artikel von Anonymous Nnews behauptet, als eine der Handlungen, die einen Genozid ausmachen.