Agenda-Setting: Funktioniert im modernen Wahlkampf multimedial über Twitter und #DenHashtag. Die CDU probierte es mit #fedigugl. Aber das Deutschland, in dem wir gut und gerne leben konnte sich im Netz nicht durchsetzen. Die SPD startete mit #Mega endete zum Schluss aber sehr klassisch mit #ZeitfürMartin. Lief auch nicht so gut. Nicht nur digital nicht. Die AfD puschte auf Facebook und Twitter auf, #Traudichdeutschland war da noch der harmlosere Tag. „Alles wird Wut“, titelte der Spiegel. Frank Brettschneider, Kommunikationsforscher an der Universität Stuttgart-Hohenheim bilanziert mit Gespräch mit WahlCheck17: „Der Wut-Wahlkampf in sozialen Netzwerken hat Deutschland erreicht. Rechtspopulistische Wahlkampfmuster, wie wir sie aus den USA (Trump), aus Frankreich (Le Pen) und Österreich (FPÖ) kennen, werden auch von der AfD eingesetzt. Sehr konsequent und vor allem in sozialen Netzwerken sowie in den Leserbriefspalten der Online-Medien. Dazu gehören gezielte Tabubrüche ebenso wie der Einsatz von Fake News. Stets wird behauptet, die Interessen des ,deutschen Volkes‘ gegen Angriffe von innen (aus dem sogenannten Establishment, also von den traditionellen Parteien und von der ,Lügenpresse‘) und von außen (von ;dem Islam‘) zu verteidigen. Das alles geschieht zielgruppengerecht mit Blick auf die eigenen Wut-Anhänger.“ Twitter für die Medien, Facebook für die Masse. Das Netz macht mobil.
Bots: Kleine technisch-automatisierte Wahlkampfhelfer, die sich auf Twitter zu schaffen machen. In den USA und bei der Brexit-Kampagne in großem Stil zu beobachten, fielen die Bots-Attacken im #btw17 eher gering aus. „Wir haben 92 Bot-Accounts von 150.000 Unique-Usern gefunden. Ungefähr 7,4 Prozent des gesamten Traffics waren automatisiert“, sagt Lisa-Maria Neudert von der Universität Oxford. Das sagt etwas über den Grad der Digitalisierung im Land – und der Politik. Aber im Mehrparteiensystem zahlen sich Bot-Kampagnen auch weniger aus als bei Ja-Nein-Referenden wie beim Brexit oder im Zwei-Kandidaten-Duell wie bei der Präsidentschaftswahl in den USA.
Das volllständige Interview mit Lisa-Maria Neudert
So lassen sich Bots erkennen
Campaigning, negative: Schmutzkampagne, klassisches Wahlkampfarsenal, in diesem Jahr auch digital genutzt. Die AfD kopierte mit der „Eidbrecherin“-Kampagne gegen Angela Merkel die „Lock-Her-Up“-Klageandrohung von Donald Trump gegen Hillary Clinton. Kein Zufall, die Partei wurde von Mitarbeitern des Trump-Beraters Vincent Harris unterstützt.
Diesel: Machte früher mal was her, steht jetzt generell unter Betrugsverdacht. Diesel kam in diesem Wahlkampf nicht richtig zum Zug. Zu wichtig sind die Jobs in der Autoindustrie, nur keine Angst schüren in Kampagnenzeiten. Und seit die Grünen in Baden-Württemberg regieren sehen sie das auch so. So blieb es bei harmlosen Dieselgipfeln und einem Milliardenfonds für die deutschen Städte. Fahrverbote, Mobilitätswende – erstmal vertagt. Vorglühen hieß das einst beim Daimler.
Euro(pa): Hätte in diesem Wahlkampf wichtig werden können, schließlich spielte der SPD-Spitzenkandidat als Parlamentspräsident in Brüssel in der ersten Liga. War aber nix. Der Euro ist eher ein AfD-Thema und Europa eher kompliziert. Eignet sich nicht mal richtig gut für Desinformationskampagnen. So blieb es bei vagen Andeutungen. Ein anderer macht mehr Tempo: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Er fordert ein Eurozonenbudget für Investitionen und will schon Dienstag nachlegen. Der (amtierenden) Bundesregierung geht das zu schnell. Und auch die FDP bremst. Fazit: Für Reformen bleiben nur zwei Jahre Zeit bis zur Europawahl 2019, die großen Reformen werden aber nicht kommen.
FDP: Die Partei ist das Comeback-Kid dieser Wahl. Parteichef Christian Lindner gibt sozialmedial den jugendlichen Frontmann, kämpft aber mit einer Ja-Aber-Politik geschickt um Altvordere, die Angela Merkels CDU nicht mehr, aber die AfD (noch) nicht wählen wollen. Das klingt dann so: Euro ja, aber notfalls ohne Griechenland. Asyl ja, aber notfalls ohne Familiennachzug. Sanktionen ja, aber mit Russland reden. Immerhin spricht niemand mehr von der alten Steuersenkungspartei, und auch Lindner hält sich zurück. Kokettiert mit F wie Fraktionsvorsitz für seine Person. Es gibt auch noch ein Wort mit F – Finanzminister. Ohne Moos nix los – nur die Etathoheit bietet Gegengewicht zum Kanzleramt.
Große Koalition: Sie stärkt die Ränder, lautet eine alte Regel der Parteienforschung. Hat sich in Österreich bewahrheitet und nun (wohl) auch in Deutschland. Am Abschneiden der SPD ist aber nicht allein die GroKo ausschlaggebend: Parteienforscher Brettschneider urteilt auf unsere Frage scharf: „Die mangelnde Professionalität der SPD beim Themenmanagement ist bemerkenswert. Die SPD konnte mal Wahlkämpfe. 2017 kann sie es nicht. Es finden sich auffällig viele strategische und operative Fehler. Zu den strategischen Fehlern gehört die fehlende Klärung, ob die SPD als Regierungs- oder als Oppositionspartei wahrgenommen werden will. Außerdem wurde Martin Schulz häufiger als ,Bürgermeister von Würselen‘ platziert, statt als erfahrener EU-Politiker. Im Vergleich zu Angela Merkel ist das ‚gute Kreisklasse‘ versus ‚Champions-League‘. Zu den operativen Fehlern zählen unter anderem. schlechtes Timing und suboptimale Plakate. Themenmanagement geht anders.“ Noch Fragen?!
Haustürwahlkampf: Noch ein Comeback-Kid, aber mit modernen Methoden. „Wir sehen die Verknüpfung von alten Methoden mit neuen Techniken, Beispiel Haustürwahlkampf. Ein klassisches Mittel, bei dem alle Parteien auch aus den USA gelernt haben. Die Union unterstützt dies beispielsweise durch die App „Connect17“, bei der schon seit dem Vorjahr Daten über potenzielle Unionswähler eingespeist worden sind. Das hat sich schon in den Landtagswahlkämpfen im Frühjahr im Saarland und Nordrhein-Westfalen erfolgreich bewährt. Generell gilt: Im Vergleich zu den USA ist in Deutschland ein datenbasierter Wahlkampf wegen der hohen Vorgaben im Datenschutz aber eher schwierig umzusetzen“, sagt Axel Wallrabenstein, Deutschlandchef der MSL Group und CDU-Mitglied. Und auch Parteienforscher Brettschneider stellt fest. „Nach wie vor dominieren klassische Wahlkampfinstrumente. Bei aller Begeisterung für den Social Media-Wahlkampf zeigt sich, dass die traditionellen Wahlkampfinstrumente für die meisten Parteien nach wie vor wesentlich bedeutender sind: Wahlplakate, TV-Spots, Broschüren, Wahlkampfveranstaltungen, vor allem aber die klassischen Massenmedien. Und: Das Gespräch erlebt eine Renaissance. Denn es gilt immer noch: Mehr als alles andere können Menschen Menschen überzeugen. Daher hat der Haustürwahlkampf eine besondere Bedeutung.“ Die Zeiten wandeln sich, das Persönliche bleibt.
Instagram: Noch ein soziales Medium. Spielte im Wahlkampf eine eher untergeordnete Rolle. Nur NPD-Frontmann Frank Franz versuchte sich dort als rechten Hipster zu stilisieren.
Kirchheimbolanden: War bislang eher für sein Autokennzeichen KIB bekannt. Und Fußballfans kannten es als Heimat von WM-Rekordtorschütze Miro Klose. Wahlforscher schauen aus einem anderen Grund auf den beschaulichen Ort in der Pfalz. Kirchheimbolanden war bei vergangenen Bundestagswahlen mit am nächsten dran am deutschlandweiten Endergebnis.
LTE: Long Term Evolution, ein Mobilfunkstandard. Spielte in Deutschland beim Thema „Internet für alle“ eine Rolle. Die Digitalisierung kommt. Auch aufs Land. Früher oder später.
Monitoring: Wichtiges Element zum Aufspüren von Fake News. Tools wie Crowdtangle, Spike oder Trendolizer machen es möglich abzuschätzen, welche Tweets und Facebook-Einträge viral gehen.
News, Fake: Falsche Nachrichten, spielten im Bundestagswahlkampf 2017 (noch) nicht die erwartet große Rolle. „Die große Welle von Bots und Fake News blieb – bislang – weitgehend aus. Das liegt auch daran, dass alle durch die Vorgänge in den Wahlkämpfen in den USA, Frankreich und den Niederlanden gewarnt waren, ausgeblieben, trotzdem sehen wir sie insbesondere von Seiten der AfD“, sagt Axel Wallrabenstein. Lisa-Maria Neudert von der Universität Oxford sagt, Fake News „betreffen rund ein Fünftel der Inhalte von politischen Quellen“. Und: „Aufgefallen in Deutschland ist „philosophia-perennis“ – einer der Hauptverbreiter von Junk-News.“ WahlCheck17 hatte jedenfalls genug zu tun, die vielen einzelnen Falschinformationen aufzudecken. Die sich fast alle um Zuwanderungsthemen drehten.
Opposition: Sie sei „Mist“, so der frühere SPD-Chef Franz Müntefering. Nicht allein deshalb wird die neue Regierungsbildung so spannend. Reicht es für Schwarz-Gelb? Oder kommt Jamaika? Oder doch nochmal eine große Koalition? Dann wäre das Rennen um Platz 3 besonders wichtig, die größte Oppositionspartei erhält traditionell den Vorsitz in wichtigen Parlamentsausschüssen, etwa dem Haushaltsausschuss.
Populismus: Kommt aus dem Lateinischen und bezeichnet sehr frei übersetzt Stimme des Volkes. Populistische Parteien sehen sich als Kämpfer des Unten gegen das Establishment oben. Populismusforscher Jan-Werner Müller erinnert, dass Rechtspopulismus dann Erfolg hat, wenn er von konservativen Eliten gestützt wird. Der Aufstand von unten wird als fein orchestriert von den enttäuschten Eliten da Oben. Tweed statt Tweet und Breitcord statt Breitbart. Die Niederlande haben eine lange Erfahrung mit Rechtspopulismus, Politologe René Cuperus empfiehlt für den rechten Umgang mit der AfD. „Das Ausgrenzen allein, bringt wenig.“ Man könne die AfD dämonisieren, nicht ihre Wähler.
Quote: Am 24. September sind 31, 7 Millionen Frauen und 28,8 Millionen Männer zur Wahl aufgerufen. Der Anteil der Kandidatinnen unter den Bewerbern beträgt aber lediglich 31,7 Prozent. Auch das niedrigere Lohnniveau von Frauen hierzulande war im Wahlkampf Thema.
Der Faktencheck von CORRECTIV
Rente: Steigt das Renteneintrittsalter oder steigt es nicht? Geschickt versuchte SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz die Kanzlerin in der TV-Runde zu einem weiteren Maut-Umfaller zu verführen. Auch die Rentenhöhe in Österreich spielte eine Rolle. Das liegt auch am demografischen Wandel. Deutschlands Wähler werden immer älter. Noch ein Grund, das Wahlalter zu senken, wenn sich in Deutschland was bewegen soll.
Stimmfälschung: Auch Wahlbetrug genannt. Beliebtes Motiv der Post-Demokratie-Kritik von rechts. Weshalb die Fake-News-Kampagnen auch nach dem Wahlsonntag wahrscheinlich andauern werden.
Tabubruch: Beliebtes Stilmittel der Rechtspopulisten in der politischen Debatte. Mal geht es um Nachbarschaftsfragen (A. Gauland), mal um vermeidlichen Eidbruch (A. Weidel), mal um die deutsche Verantwortung vor der Geschichte (B. Höcke). Auch beliebt: die selbstzugeschriebene Opferrolle, etwa durch Verlassen des TV-Studios.
Umfragen: Sie erheben ein Stimmungsbild, aber Stimmungen sind keine Stimmen, so lagen die Demoskopen mit ihren Umfragen zuletzt oft daneben. „Hauseffekte“ nennen Forscher die Gewichtungsformel der einzelnen Umfrageinstitute. Doch geht’s um mehr als Glaskugeleffekte. „Letztlich müssen die Institute am Markt bestehen, das heißt, die Umfragen müssen sich am tatsächlichen Wahlergebnis beweisen“, sagt Parteienforscher Thorsten Faas von der Universität Mainz.
Das Interview in voller Länge:.
Video: Die Wahrnehmung hat sich geändert und damit auch der Wahlkampf. Gerd Schröder (SPD) glaubte er noch, er könne allein mit „Bild, BamS und Glotze“ regieren. Das ist vorbei. „Die Politik passt sich der digitalisierten Wahrnehmung vieler an. Das Bewegtbild und die Einbindung der Netzcommunity hält Einzug in die Kampagnen. Bestes Beispiel sind die Youtube-Interviews mit Angela Merkel und Martin Schulz. Das mobilisiert vor allem jüngere Wähler“, sagt der Politikbeobachter Axel Wallrabenstein zu WahlCheck17.
Wahlkampf: Sei langweilig, hieß es von Anfang an. Dafür war zum Schluss doch relativ viel los. „Der Wahlkampf war eher wenig emotional. Das hat aber auch seine Ursache darin, dass die beiden großen Parteien bisher in einer Großen Koalition zusammengearbeitet haben. Zudem steht Deutschland wirtschaftlich gesehen extrem gut da. Klassische Themen wie Arbeitslosigkeit spielen daher in dieser Kampagne eine eher untergeordnete Rolle bzw. es ist schwer mit sozialen Themen durchzukommen“, beschreibt Axel Wallrabenstein das Dilemma der großen Parteien. Und die kleinen hatten mit dem Lärm der AfD zu kämpfen. Angela Merkel übrigens auch.
xy-ungelöst: Das Wahlergebnis. Es bleibt spannend bis Sonntag. Und auch danach. Wer koaliert mit wem? Wer operiert mit welchen Zahlen. Das Debunking geht weiter.
Zweitstimme: Sei Kanzlerstimme, so hieß es früher. Das hat sich geändert. Der Wähler stimmt zunehmend taktisch ab. Die Koallitionsvorlieben gehen über Parteipräferenzen. Auch deshalb gestalten sich Umfragen zunehmend schwierig.