Debatte über CO2-Steuer: Nichts Konkretes, viel Spekulation
Über eine mögliche CO2-Steuer wird in Deutschland hitzig diskutiert. Es wird behauptet, der Staat wolle abkassieren, ärmere Menschen würden belastet. Doch genau das wollen viele Befürworter der Steuer verhindern.
Eine neue Steuer klingt immer unpopulär. So ergeht es auch der möglichen CO2-Steuer: Umfragen zufolge ist die Mehrheit der Deutschen gegen eine feste Bepreisung von CO2-Emissionen. Auffallend an der Debatte ist, dass vor allem mit Spekulationen Stimmung gemacht wird. Denn bisher weiß niemand, wie eine solche Steuer aussehen würde und ob sie tatsächlich eingeführt wird.
Im Compact-Magazin wurde trotzdem bereits vor der angeblichen „Ausplünderung des deutschen Steuerzahlers“ gewarnt. Focus schrieb Anfang Juni, eine CO2-Besteuerung gelte „ in Berlin als ausgemacht“, fragte jedoch zwei Zeilen später: „Kommt die CO2-Steuer? Das wird immer wahrscheinlicher.“ Bei Journalistenwatch ist die Steuer gar schon beschlossene Sache; sie werde nach der Europawahl „definitiv“ eingeführt, hieß es dort im Mai. Und weiter: Die Steuer diene nur dazu, „die ausufernden Kosten der Flüchtlingskrise irgendwie wieder einzufangen“. Belege oder Quellen für diese Behauptung nennt die Seite nicht. Wir haben während unserer Recherche keine konkreten Vorschläge aus der Politik gefunden, über eine CO2-Steuer Kosten im Zusammenhang mit Geflüchteten zu kompensieren. Die Einnahmen sollen verschiedenen Ideen nach in Infrastruktur investiert oder sogar an die Verbraucher zurückerstattet werden.
Auch die AfD beteiligt sich an der Debatte. Sie lehnt eine CO2-Steuer ab. In einer Aktuellen Stunde am 9. Mai im Bundestag „zur CO2-Steuer und ihre Auswirkungen auf Energiepreise“ bestritt der Abgeordnete Rainer Kraft, dass der Klimawandel menschengemacht sei. Die Bürger würden „dumm gehalten und arm gemacht“, sagte er. Strom oder Benzin würden in Deutschland bereits besteuert. Die soziale Frage, wie Geringverdienende die neue Steuer stemmen können, werde von den Parteien nur sehr vage beantwortet, behauptete Kraft. Seiner Ansicht nach wolle der Staat vor allem kassieren.
Gibt es für diese Kritik eine Grundlage? CORRECTIV gibt einen Überblick über die Forderungen und mögliche Auswirkungen einer CO2-Steuer.
CO2-Steuer kann unterschiedlich gestaltet werden
Fest steht: In Deutschland ist es weitgehend politischer Konsens, die CO2-Emissionen zu senken. Alle Parteien bis auf die AfD unterstützen das. Bis 2020 sollen die Emissionen um 40 Prozent im Vergleich zum Niveau von 1990 reduziert werden (dieses Ziel wird Deutschland voraussichtlich bereits verfehlen). Bis 2030 sollen es 55 Prozent und bis 2050 80 bis 95 Prozent sein. Es gibt aber unterschiedliche Ansichten darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollen.
Ein Weg wäre eine CO2-Steuer. Sie soll Technologien oder Dienstleistungen, die Emissionen verursachen, teurer machen. Wie viel teurer, ist jedoch unklar und hängt davon ab, wie hoch der Preis pro Tonne CO2 angesetzt wird. In der aktuellen Debatte in Deutschland werden Zahlen zwischen 20 und 60 Euro pro Tonne CO2 als Einstieg genannt. Alle Modelle sehen eine schrittweise Erhöhung vor. Die deutschen Aktivisten von „Fridays for future“ forderten einen Preis von 180 Euro pro Tonne.
Mögliche Auswirkungen der CO2-Steuer für Bürger
Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht 35 Dollar (31 Euro) pro Tonne CO2 als ausreichend an, damit die größten CO2-Produzenten im Schnitt ihre Pariser Klimaziele erreichen. Jedoch würde für Deutschland diese Summe nicht ganz reichen; 70 Dollar pro Tonne wären dafür laut IWF geeigneter.
Was der Preis pro Tonne bewirken würde, dazu gibt es verschiedene Berechnungen. Der AfD-Abgeordnete Kraft bezog sich in seiner Rede im Bundestag auf die Berechnungen des IWF. Danach würde bei einem Preis von 35 Dollar pro Tonne CO2 in Deutschland der Preis für Kohle um 88 Prozent, für Erdgas um 27 Prozent, für Elektrizität um 17 Prozent und für Sprit um 4 Prozent steigen.
Laut Martin Pehnt, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg, sind diese Zahlen des IWF aber nicht relevant für den Endverbraucher, da sie sich nicht auf die aktuellen Energiepreise in Deutschland beziehen.
Seiner Berechnung nach würde eine CO2-Steuer von 40 Euro pro Tonne CO2 das Gas um etwa 0,8 Cent pro Kilowattstunde teurer machen, teilte er auf CORRECTIV-Anfrage mit. Bezogen auf den aktuellen durchschnittlichen Gaspreis sei dies eine Steigerung um 13 Prozent. Beim Öl betrage die Preissteigerung etwa 15 Prozent. Mit Kohle heize in Deutschland kaum jemand, und die Kohlekraftwerke seien zudem bereits Teil des Handels mit CO2-Zertifikaten.
Wer fordert die CO2-Steuer?
Positive Stimmen kommen von der SPD, Grünen und Linken. Auch Bundesumweltministerium Svenja Schulze (SPD) setzt sich für eine CO2-Steuer ein. Der aktuelle Entwurf für ein Klimaschutzgesetz des Bundesumweltministeriums lässt aber offen, wie genau die CO2-Emissionen reduziert werden sollen. „Das Gesetz beinhaltet keine eigenen Maßnahmen wie zum Beispiel die CO2-Bepreisung”, teilte Pressesprecher Andreas Kübler auf Anfrage von CORRECTIV mit. „Wir erarbeiten gerade ein Konzept zur CO2-Bepreisung, das wir am 18. Juli im Klimakabinett besprechen werden.“ Zu Details könne er nichts sagen. „Unsere Anforderungen an einen CO2-Preis sind: Er muss wirksam das Klima schützen, er muss sozial gerecht sein, also gerade niedrige und mittlere Einkommen nicht zusätzlich belasten, und er muss unbürokratisch und verfassungsfest umsetzbar sein.“
Die Union ist sich bei der Frage der CO2-Steuer nicht einig. Manfred Weber (CSU), Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei, die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer und auch Kanzlerin Angela Merkel hatten sich öffentlich kritisch zu einer CO2-Steuer geäußert. Sie befürworteten stattdessen eine Ausweitung des bestehenden europäischen Emissionshandels.
Allerdings gibt es auch Befürworter einer CO2-Abgabe aus den Reihen der CDU, zum Beispiel Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther. Zudem erstellte die Gruppe „Union der Mitte“ vor kurzem ein Papier zum Klimaschutz, das CORRECTIV vorliegt. Darin wird eine Einstiegsabgabe von 60 Euro pro Tonne CO2 vorgeschlagen. Bis 2030 solle sich der Preis auf 120 Euro pro Tonne erhöhen. Parallel sollten Stromsteuer und EEG-Umlage gesenkt werden.
Gleichzeitig sei ein sozialer Ausgleich sehr wichtig, betonen die Verfasser. „Um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen, darf eine CO2-Bepreisung jedoch keinesfalls im Querschnitt zu einem Kostenanstieg für Verbraucher und im Detail nicht zu unverhältnismäßig hohen Mehrkosten für bestimmte Bevölkerungs- und Wirtschaftsbranchen führen.“ Dreiviertel der Einnahmen sollten im Schnitt an die Verbraucher zurückerstattet werden. Der Rest solle für Infrastrukturprojekte verwendet werden. Langfristig solle zudem eine „einheitliche europäische Lösung innerhalb des Zertifikatehandels“ gefunden werden, insbesondere auch mit einer einheitliche Besteuerung von Kerosin.
Die politischen Befürworter einer CO2-Steuer betonen also, dass die Maßnahme in der Gesellschaft akzeptiert sein müsse, und dass sie Geringverdiener nicht belasten dürfe. Für den Vorwurf, der Staat wolle abkassieren, gibt es keine Grundlage. Im Gegenteil: In einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte Sigmar Gabriel (SPD), der Staat dürfe an einer solchen Steuer nichts verdienen. Ähnlich äußerte sich Bundesumweltministerin Schulze laut ihrem Sprecher bei den Berliner Energietagen.
Experten: Sozialer Ausgleich möglich
Experten zufolge könnte eine CO2-Steuer ohne einen sozialen Ausgleich tatsächlich ärmere Menschen stärker belasten. Laut Christoph Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, würden Einkommensstärkere zwar in absoluten Zahlen mehr zahlen, „da sie in der Regel mehr Aktivitäten verfolgen, die zum Ausstoß von CO2 führen“. Einkommensschwache könnten aber bestimmte Aktivitäten wie das Heizen der Wohnung schlicht nicht vermeiden. Wenn Einnahmen wieder an die Bürger ausgeschüttet würden, würde das eine übermäßige Belastung der unteren Einkommensgruppen verhindern, so Schmidt auf Anfrage von CORRECTIV.
Bundesumweltministerium Schulze nennt deshalb das Modell der Schweiz als Vorbild. Dort gibt es eine Abgabe auf CO2, die allerdings nicht für Treibstoff gilt. Ein Drittel der Einnahmen werden in Maßnahmen für Gebäudesanierungen gesteckt, der Rest geht zurück an die Schweizer Bürger und die Wirtschaft. Das deckt sich mit dem Vorschlag der „Union der Mitte“. Und auch die Fraktion der Linken hat dieses Modell bereits ins Spiel gebracht.
Martin Pehnt vom Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg betont, die meisten Modelle einer CO2-Steuer sähen eine Rückerstattung der Einnahmen an die Bevölkerung vor. Wenn gleichzeitig die Stromsteuern gesenkt und die EEG-Umlage abgeschafft würden, könne das kleine Haushalte sogar mehr entlasten. Denn sie verbrauchten meist verhältnismäßig viel Strom.
Emissionshandel könnte ähnliche Effekte haben
Als Alternative zur CO2-Steuer wird von Experten, Unionsvertretern und FDP meist die Ausweitung des bestehenden Handels mit CO2-Zertifikaten ins Spiel gebracht. Am Emissionshandel nehmen derzeit 28 EU-Länder sowie Island, Liechtenstein und Norwegen teil. Unternehmen müssen nach diesem System für die von ihnen verursachten Emissionen Zertifikate einreichen. Wenn ein Unternehmen Emissionen reduziert, kann es Zertifikate verkaufen. So bekommt CO2 einen Preis. Jahr für Jahr werden weniger Zertifikate zur Verfügung gestellt, um einen Anreiz für Firmen zu bieten. Für Unternehmen der Stromerzeugung oder „energieintensive Industriezweige“ wie zum Beispiel Ölraffinerien oder Stahlwerke ist die Teilnahme am Emissionshandel verpflichtend. Auch die gewerbliche Luftfahrt ist dabei, allerdings gilt das System bis Ende 2023 nur für Flüge innerhalb der EU.
Ohne einen sozialen Ausgleich könnte aber auch die Ausweitung des Emissionshandels auf Wärme und Verkehr eine Belastung für ärmere Menschen darstellen, sagt Wirtschaftsexperte Christoph Schmidt. Es gelte der gleiche Grundsatz wie bei einer CO2-Steuer: Den entstehenden finanziellen Belastungen für die Bürger könne man durch Rückverteilung entgegenwirken. „Emissionshandelssysteme sind lediglich eine bestimmte Spielform der CO2-Bepreisung“, so Schmidt.
Fazit: Bisher meist Spekulationen
Bis auf die AfD befürworten Vertreter aller Parteien, die CO2-Emissionen zu senken. Ob dies über eine nationale CO2-Steuer oder die Ausweitung des europäischen Emissionshandels geschehen soll, ist noch offen.
Ebenso unklar ist, welche Instrumente zum Ausgleich der finanziellen Belastung der Bürger getroffen werden. Eine Rückerstattung nach Schweizer Vorbild wird von vielen befürwortet. Und sowohl die Abschaffungen als auch die Senkungen der Stromsteuer und EEG-Umlage sind im Gespräch. Solange die Koalition sich aber nicht auf konkrete Maßnahmen geeinigt hat, beruht die Debatte auf Spekulationen.