Hintergrund

Abschiebe-Debatte: Wie Rechte das Hilfsangebot „Handbook Germany“ instrumentalisieren

Kurz nach dem Anschlag in Solingen entdeckten rechte Blogs die Webseite „Handbook Germany“, eine Informationsseite für Migrantinnen und Migranten. Schnell machten auch Falschbehauptungen darüber die Runde.

von Gabriele Scherndl

solingen
Kurz nach dem Anschlag in Solingen, bei dem drei Menschen getötet wurden, geriet das Projekt „Handbook Germany“ in den Fokus. Es stünde im Gegensatz zu den verstärkten Abschiebe-Bemühungen, meinen manche. (Quelle: Christoph Reichwein / DPA / Picture Alliance)

Nach dem Anschlag in Solingen am 23. August 2024 verschärfte sich die Debatte rund um Asyl und Abschiebungen. Laut Medienberichten hätte der mutmaßliche Attentäter, der drei Menschen tötete und mehrere verletzte, schon voriges Jahr aus Deutschland abgeschoben werden sollen. Unter anderem Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) forderte danach konsequentere Abschiebungen.

Mitten in dieser Diskussion entdeckte der rechte Blog Apollo News eine Internetseite: Das „Handbook Germany“, eine Informationsseite für Migrantinnen und Migranten. Rasch griffen das Thema auch weitere rechtsgerichtete und für Desinformation bekannte Blogs, wie Unser Mitteleuropa, Junge Freiheit oder Freilich Magazin auf, ebenso wie AfD- und FPÖ-Politikerinnen und -Politiker. 

Das „Handbook Germany“, existiert seit 2017 und liefert nach eigenen Angaben Menschen, für die „Deutschland zur neuen Heimat wird“, verschiedene Informationen zum Leben in Deutschland. Neben Themen wie Wohnungssuche, Verkehr oder Handyvertrag, geht es auf einer Unterseite auch um Abschiebungen. Betrieben wird die Seite von den Neuen deutschen Medienmacher*innen, einem Berliner Verein.

Gefördert wird die Webseite von der Bundesregierung, und damit ausgerechnet von jenen, „die nach Solingen mehr und härtere Abschiebungen propagieren“, hieß es rasch in Sozialen Netzwerken. Dass das Projekt von der Bundesregierung gefördert wurde, stimmt. Richtig ist auch, dass die Webseite Tipps gibt, was Betroffene tun können, wenn sie abgeschoben werden sollen. Doch unter die Debatte um das „Handbook Germany“ mischen sich auch Falschbehauptungen.

Facebook-Beitrag von Ulrike Schielke-Ziesing.
Die AfD-Bundestagsabgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing schrieb auf Facebook über das „Handbook Germany“. Nicht alles in ihrem Beitrag ist korrekt. (Quelle: Facebook; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

„Handbook Germany“ gibt die Rechtslage wieder, keine Anleitung, Recht zu brechen

So heißt es etwa, die Seite sei eine Anleitung zum Rechtsbruch. Ulrike Schielke-Ziesing, Bundestagsabgeordnete der AfD schrieb etwa auf Facebook: „Darin wird haarklein beschrieben, wie man sich mit Tricks und Täuschungen […] rechtswidrig der Abschiebung entzieht“. Jörg Urban, AfD-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl in Sachsen, schrieb, die Seite helfe „Illegalen“ dabei, „rechtmäßige Abschiebungen zu verhindern“, und: „Statt Recht und Gesetz durchzusetzen, wird hier aktiv dabei geholfen, illegale Migranten im Land zu halten“.

Aussagen wie diese sind falsch. Stephan Hocks, Rechtsanwalt für Migrationsrecht, schreibt CORRECTIV.Faktencheck dazu auf Nachfrage: „Das ist eine Seite mit Informationen zum Asylrecht, das würde man in jedem Lehrbuch finden. Der Unterschied ist nur, dass es als Rechtstipp für Betroffene formuliert ist“. Etwa an der Stelle auf der Webseite, wo es heißt: „Auch nach Ablehnung eines Asylantrags gibt es noch einige Möglichkeiten, doch in Deutschland bleiben zu können.“ Das sei, so Hocks, „rechtlich völlig korrekt und kein Tipp, eine rechtlich zulässige Abschiebung zu verhindern“. Sein Fazit: „Das Handbuch erklärt Rechte, die es gibt“.

Dieses Urteil teilt auch Anuscheh Farahat, Rechtswissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Sie schreibt: Auf der Seite würden „Hinweise gegeben, welche rechtlichen, das heißt legalen Möglichkeiten man im Falle eines abgelehnten Antrags hat“. 

Weder Schielke-Ziesing, noch Urban antworteten auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck.

Auf der Seite wird nicht geraten, seine Kinder verschwinden zu lassen

Auch ein angeblicher Tipp macht in Sozialen Netzwerken die Runde. Apollo News schreibt zwar nicht in seinem Artikel, aber in einem Telegram-Beitrag, auf der Webseite werde geraten: „Lassen Sie doch einfach eines ihrer Kinder verschwinden“. Der angebliche Tipp wurde vielfach in Sozialen Netzwerken weiterverbreitet. 

Telegram-Beitrag von Apollo News.
Auf Telegram behauptet Apollo News, „Handbook Germany“ rate dazu, Kinder verschwinden zu lassen. Das ist falsch. (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Doch auf der Website von „Handbook Germany“ findet sich kein solcher Tipp. Laut Mosjkan Ehrari, Leiterin des Projekts „Zentrale digitale Anlaufstelle – Handbook Germany: Together (HBGT)“ stand die Aussage auch in der Vergangenheit nie auf der Webseite. 

Was stattdessen dort steht: „Bitte beachten Sie: Eltern dürfen nur zusammen mit ihren Kindern abgeschoben werden. Wenn ein minderjähriges Kind zum Zeitpunkt der Abschiebung nicht auffindbar ist, darf die restliche Familie nicht ohne das Kind abgeschoben werden.“ 

Noch ein weiterer angeblicher Tipp, den Apollo News auf Tiktok teilt, findet sich nicht auf der Webseite. Er lautet: „Um Ihre Abschiebung zu verhindern, müssen Sie schnell handeln“. Ehrari schreibt dazu: „Dieses Zitat ist und war nicht auf unserer Website zu finden.“

Auf Nachnfrage nach Quellen für diese Aussagen antwortete Apollo News nicht.

Widersprüchliche Angaben über die Finanzierung des „Handbook Germany“

Unter die Falschbehauptungen über das Handbuch mischt sich auch eine Debatte zur Finanzierung der Webseite und ihrer Inhalte. In Sozialen Netzwerken hieß es – unter anderem von der AfD – Bundesinnenministerin Nancy Faeser finanziere ein „Anti-Abschiebe-Portal“, auch AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel griff das auf.

Es stimmt, dass Gelder der Bundesregierung in das Projekt fließen. Aber die Betreibenden des Handbuchs änderten Anfang September dazu Angaben auf der Webseite: Vor dem Erscheinen der ersten Blog-Artikel darüber waren auf der Unterseite zu Abschiebungen folgende Institutionen als Geldgeber gelistet: Die Europäische Union, das Bundesinnenministerium (BMI) und die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration.

Dabei sei ein Fehler passiert, schreibt Projektleiterin Ehrari. Die genannten Geldgeber würden nicht die asylbezogenen Inhalte auf der Webseite fördern, sondern ein anderes Projekt: die Zentrale digitale Anlaufstelle – Handbook Germany: Together (HBGT), eine neue Plattform, in die das Handbook integriert werden soll. 

Die asylbezogenen Inhalte auf der Website seien ausschließlich durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration gefördert worden, schreibt Ehrari. Die Integrationsbeauftragte ist eine Staatsministerin und nicht Teil des BMIs oder Faeser unterstellt. 

Klarstellung auf handbookgermany.de.
Mittlerweile wurde auf der Webseite „Handbook Germany“ klargestellt, wer die tatsächlichen Fördergeber für die Informationen zu Abschiebungen sind (Quelle: Handbookgermany.de; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Das BMI verweist dazu auf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ein dortiger Sprecher bestätigt: Man habe zwar Informationen auf der Plattform zum Thema Integration gefördert, nicht aber den asylbezogenen Bereich. Er bestätigt auch die laufende Förderung für das Projekt HBGT rund um das „Handbook Germany”.Aus dem Büro der Integrationsbeauftragten heißt es, dass das „Handbook Germany“ als Informationsplattform gefördert worden sei und für das Projekt HBGT Förderungen laufen würden.

Mittlerweile wurden die Logos auf der Abschiebe-Seite im „Handbook Germany“ geändert und ein Hinweis eingefügt. 

Fazit: Das „Handbook Germany“ ist eine Informationsseite für Migrantinnen und Migranten, auf der es auch um Abschiebungen geht. Die Seite wird seit dem Solingen-Anschlag instrumentalisiert und zum Teil auch Ziel von Falschbehauptungen: Auf der Webseite werden nicht – wie etwa von AfD-Vertretenden behauptet – Tipps gegeben, wie Gesetze gebrochen werden können, stattdessen wird über die Rechtslage aufgeklärt. Mehrere Zitate, die Apollo News und andere verbreiten, stehen so nicht auf der Webseite. 

Redigatur: Max Bernhard, Uschi Jonas