Hintergrund

Landtagswahl in Sachsen: Spendenangebot von Campact war rechtmäßig, aber stieß auf Kritik

Vor der Landtagswahl in Sachsen bot der Verein Campact Kandidierenden von Grünen und Linken jeweils 25.000 Euro Unterstützung für ihren Wahlkampf an. Das sollte den Parteien dabei helfen, zwei Direktmandate zu gewinnen und so über die Grundmandatsklausel in den Landtag zu ziehen. Anders als online behauptet, war das Angebot weder „Betrug“ noch „Bestechung“ – Kritik gab es trotzdem.

von Sophie Timmermann

Das Wappen von Sachsen wird in eine Wahlbox geworfen, Symbolfoto Landtagswahl in Sachsen
Nach den Landtagswahlen in Sachsen kursieren Gerüchte und Falschmeldungen. Eine irreführende Meldung betrifft ein Angebot von Campact an Kandidierende der Grünen und Linken. (Symbolbild: Christian Ohde / Chromorange / Picture Alliance)

Die AfD in Sachsen „ausbremsen“, das war das Ziel von Campact. Der Kampagnen-Verein rief Wählerinnen und Wähler vor der Landtagswahl dazu auf, „strategisch“ für bestimmte Kandidaten der Grünen und Linken zu stimmen. Bleiben Parteien in Sachsen unter der Fünf-Prozent-Hürde, können sie es trotzdem in den Landtag schaffen, wenn sie mindestens zwei Direktmandate gewinnen. Campact sah darin eine Chance „zu verhindern“, dass die AfD eine Sperrminorität erhält. Der Verein sprach Wahlempfehlungen für vier Wahlkreise aus und bot vier Kandidierenden der Grünen und Linken jeweils 25.000 Euro an. 

Das sorgte vor und nach den Wahlen am 1. September für Aufregung. Von „Bestechung aus dem Westen“ ist auf Facebook die Rede. Verbreitet wird der Ausschnitt eines Berichts der Welt über die Direktmandate in Sachsen und das Angebot von Campact. Hunderte teilten den Beitrag. In den Kommentaren sprechen Nutzer von „Betrug“. Auf X wird zudem suggeriert, die „Wahlregeln“ seien „für die Altparteien“ geändert worden.

Das Angebot von Campact ist rechtlich unproblematisch, da sind sich Experten einig. Kritik gab es daran trotzdem – vor allem von denen, die von dem Angebot profitieren sollten.

Facebook-Beitrag mit Welt-Bericht über Angebot von Campact
Ein Beitrag der Welt, in dem es auch um das Angebot von Campact geht, wird mit „Bestechung“ und „Wahlbetrug“ kommentiert. Das ist es jedoch nicht. (Quelle: Facebook; Screenshot und Unkenntlichmachung: CORRECTIV.Faktencheck)

Grundmandatsklausel in Sachsen begünstigt nicht „Altparteien“ 

In dem Ausschnitt des Welt-Beitrags heißt es, Campact habe angeboten, Kandidierende mit 25.000 Euro zu unterstützen, „wenn Linke für die Grünen zurückziehen und andersrum. Man wollte die Kandidaten „quasi trennen, damit man am Ende den Stärkeren durchkriegt und Grüne und Linke nicht miteinander konkurrieren“. Der Beitrag mit einer Live-Schalte aus Dresden (ab Minute 10) lief bei der Welt am 1. September, also am Wahltag, noch bevor die Ergebnisse bekannt waren.

Zu diesem vermeintlichen Tauschgeschäft schreibt uns Campact-Sprecherin Iris Rath aber: „Eine solche Forderung oder Bedingung hat es unsererseits nie gegeben.“ Der Verein schreibt auf einer Seite zu der Aktion: „Politisches Programm der Kandidat:innen spielt keine Rolle.“

Worum ging es also Campact? Wählerinnen und Wähler konnten in Sachsen mit ihrer Erststimme für einen Abgeordneten oder eine Abgeordnete aus dem eigenen Wahlkreis und mit der Zweitstimme für eine Partei stimmen. Scheitert eine Partei an der Fünf-Prozent-Hürde, bleiben ihre Stimmen unberücksichtigt – es sei denn, die Parteien erreichen Direktmandate in mindestens zwei Wahlkreisen, dann ziehen sie in den Landtag. Das steht so im sächsischen Wahlgesetz §6. Grundlage dafür ist die sogenannte Grundmandatsklausel. Es gibt sie neben Sachsen in ähnlicher Form auch in Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein und bei den Bundestagswahlen.

Die Klausel war bereits in der ersten Fassung des Sächsischen Wahlgesetzes von 1993 enthalten, schreibt Fabian Michl, Juniorprofessor für Öffentliches Recht an der Universität Leipzig. Davon profitieren auch nicht nur Linke und Grüne: „Wäre es beispielsweise den Freien Wählern in Sachsen gelungen, ein weiteres Wahlkreismandat zu erringen, wären auch sie in voller Stärke in den Landtag eingezogen“, so Michl. Es kann also keine Rede davon sein, dass die Klausel nur sogenannte Altparteien begünstigt, wie online suggeriert wird. 

Angebot von Campact war rechtmäßig, da es nicht an eine Gegenleistung geknüpft war

Campact sah die Grundmandatsklausel als „beste Chance“, damit Grüne und Linke in den Landtag einziehen, schreibt uns Pressesprecherin Iris Rath. Deshalb sprach der Verein Wahlempfehlungen für Juliane Nagel und Nam Duy Nguyen von den Linken und Claudia Maicher und Thomas Löser von den Grünen aus, die für verschiedene Wahlkreise in Leipzig und Dresden kandidierten. Auch die Initiative „Taktisch Wählen“ warb für dieselben vier Kandidierenden, etwa auf Instagram.

Laut der Leipziger Volkszeitung machte Campact für die vier Kandidierenden Werbung auf Social Media, per E-Mail und mit Postwurfsendungen in ihren Wahlkreisen. Dazu kam das Angebot über 25.000 Wahlunterstützung. 

War das rechtmäßig? Ja, da sind sich alle von uns befragten Experten einig. Es handle sich weder um Bestechung noch um Betrug, erklärt Fabian Michl. Eine Bestechung setze voraus, dass der Geldgeber eine „Gegenleistung“ erwartet. Campact habe aber keine Leistung von der Linken oder den Grünen erwartet, sondern nur deren Wahlchancen verbessern wollen. „Es gehört zum politischen Alltag, dass Parteien ihre Wahlkämpfe auch aus Spenden finanzieren“, sagt Michl. 

Timo Lange von der Initiative „Lobby Control“ sieht das ähnlich: „Spenden an Parteien und Kandidierende für Parlamente sind grundsätzlich erlaubt und rechtlich nicht zu beanstanden.“ Untersagt seien sogenannte Einfluss-Spenden, die an Erwartungen einer bestimmten Gegenleistung geknüpft sind. „Darauf gibt es im Fall der Campact-Spenden keinerlei Hinweis.“ 

Auch Sophie Schönberger von der Heinrich-Heine Universität in Düsseldorf schreibt uns, das Angebot sei rechtmäßig. „Rechtlich lässt sich allenfalls fragen, ob hier eine hinreichende Transparenz der Spenden gegeben ist“, schreibt die Professorin an der juristischen Fakultät. Das sei aber vor allem ein allgemeines Problem von Spenden, die nicht an die Parteien, sondern an die Kandidierenden geleistet werden. Parteispenden müssen laut dem Parteiengesetz transparent gemacht werden. 

Nur ein Kandidat nahm das Angebot an – die anderen drei kritisierten Campacts Vorgehen 

Transparent machte Nam Duy Nguyen von den Linken die Spende von Campact. Er nahm als einziger das Angebot an. Sein Wahlkampfteam schreibt uns, der Betrag sei „nach den Regeln des Parteiengesetzes verbucht“ und der Bundestagsverwaltung gemeldet worden. Die Gelder seien „ausschließlich für den verstärkten Einsatz bereits bestehender Wahlkampfmittel wie Druckerzeugnisse, Anzeigen und Werbemittel“ verwendet worden.

Von Vorwürfen wie Bestechung oder Betrug distanziert sich das Team: „Die Spende war an keine inhaltlichen Bedingungen geknüpft. Campact hat auch keinen Einfluss auf die Ausgestaltung des Wahlkampfs oder von Wahlkampfmitteln erhalten. Die Entscheidung darüber lag ausschließlich bei dem Kampagnenteam.“

Anders als ihr Parteikollege lehnte Juliane Nagel von den Linken das Angebot von Campact ab. Sie und die Linke-Landesspitze seien „mit dem Vorgehen von Campact nicht einverstanden“ gewesen, schreibt sie auf Nachfrage. In einem Blog-Beitrag kritisiert sie, Campact habe Empfehlungen ausgesprochen, ohne die jeweiligen Kandidierenden, Akteure, Parteien oder Menschen vor Ort einzubinden. Das sieht Campact anders. Man habe, so heißt es in der Antwort auf unsere Anfrage, Kontakt zu den sächsischen Landesverbänden von Grünen und Linken gesucht und die Parteien gebeten, sich in den vier „sicher gewinnbaren“ Direktwahlkreisen „abzusprechen“. Das hätten die Parteien abgelehnt. Anders als Nagel hatte der Landesvorsitzende der Linken in Sachsen, Stefan Hartmann, Campacts Initiative auf X begrüßt. 

Grüne-Politikerin, die gegen Nam Duy Nguyen verlor: „Weiß nicht, ob ich eine solche Demokratie haben möchte“

Öffentliche Kritik gab es auch von den Grünen. Thomas Löser schreibt uns, er habe das Angebot nicht angenommen, da er „gern einen unabhängigen Wahlkampf “ führen wollte. Seine Kollegin Claudia Maicher, die, wie auch die anderen drei Kandidaten, das Direktmandat bei den Landtagswahlen gewann, äußerte sich nach der Wahl weiter kritisch und macht, so liest sich ein Beitrag von ihr auf Instagram, die Kampagne für das schlechte Abschneiden der Grünen mitverantwortlich: „Die zahlreichen Aufrufe zum strategischen Wählen haben nicht gut getan, um eine progressive Stimme in der Regierung zu sichern“, heißt es dort. 

Grünen-Politikerin Christin Melcher, die in einem Wahlkreis gegen den von Campact geförderten Kandidaten Nam Duy Nguyen antrat und verlor, sagte der Leipziger Volkszeitung: „Es ging nur noch ums taktische Wählen.“ Um ihren Gegekandidaten oder seine inhaltlichen Themen sei es weniger gegangen. „Mich stimmt das traurig. Ich weiß nicht, ob ich eine solche Demokratie haben möchte.“ Melcher schaffte es trotzdem in den Landtag – über die Zweitstimme und die Landesliste ihrer Partei.

Beim strategischen Wählen gebe es „immer Gewinner und Verlierer“, schreibt Iris Rath von Campact. Trotzdem hätten sie sich dafür entschieden. Sein Ziel hat der Verein erreicht. Alle vier Kandidierenden, für die sich der Verein aussprach, haben in ihren Wahlkreisen das Direktmandat gewonnen. Die AfD verpasste in Sachsen eine Sperrminorität. Ihr fehlte am Ende ein Mandat. 

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Redigatur: Steffen Kutzner, Viktor Marinov