X-Account „Prognos Umfragen“ verbreitet seit Jahren unseriöse Wahlprojektionen
Liegt die AfD in Projektionen zur Bundestagswahl aktuell vor der CDU? Das zumindest behauptet ein X-Account, der seit Jahren Umfragewerte veröffentlicht. Doch häufig unterscheiden die sich deutlich von Werten seriöser Umfrageinstitute. Was dahinter steckt.
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Welche Partei liegt vorn, welche Spitzenkandidatin oder welcher Spitzenkandidat ist am beliebtesten und wessen Wahlkampf scheint am besten aufzugehen? Im Vorfeld von Wahlen ist das Interesse an Wahlumfragen groß. Etwa 70 Prozent der Menschen würden solche Umfrageergebnisse in den Wochen vor einer Wahl wahrnehmen, sagt der Politikwissenschaftler Thorsten Faas im Interview mit der Brandenburgischen Landeszentrale für Politische Bildung.
Doch längst nicht alle Umfragen und Werte im Internet sind seriös. So verbreitet ein X-Account namens „Prognos Umfragen“ seit mehr als zehn Jahren Wahlprojektionen, die teils deutlich von anderen Umfragen abweichen. Am 3. Februar etwa sieht der Account die AfD bei der anstehenden Bundestagswahl mit 24 Prozent als stärkste Kraft, gefolgt von der CDU mit 22 Prozent. Zeitgleich geben jedoch mehrere andere Umfrageinstitute – wie die Forschungsgruppe Wahlen, Infratest Dimap oder Forsa – die CDU als stärkste Kraft an.
Der X-Beitrag des Kanals wurde nur knapp 30 Mal geteilt. Doch die Grafiken von „Prognos Umfragen“ finden regelmäßig ihren Weg auf andere Plattformen, wie Facebook, Telegram, Tiktok oder Youtube – teils mit mehr als hunderttausenden Aufrufen und tausenden Likes. Immer wieder verbreiten selbst Politikerinnen und Politiker oder Parteien die Werte weiter: 2014 etwa mehrere CDU-Politiker, 2024 Politiker der Freien Wähler und immer wieder auch Politiker sowie Landes- oder Kreisverbände der AfD.
Wir haben uns die Wahlprojektionen des Accounts genauer angeschaut und recherchiert, warum sie nicht seriös sind.
![Screenshot einer Projektion des X-Accounts](https://correctiv.org/wp-content/uploads/2025/02/prognos-umfragen-faktencheck.png)
Warum die Wahlprojektionen von „Prognos Umfragen“ nicht seriös sind
Den X-Account gibt es seit 2012. In seiner Beschreibung heißt es, er liefere „beste Wahlprojektionen auf Grundlage von Umfragen & Analysen“– doch es fehlen Informationen dazu, woher diese Daten stammen. Ein Impressum oder eine Webseite sind nicht angegeben.
Wahlumfrage, Wahlprojektion und Wahlprognose
Wahlumfragen fangen die politische Stimmung zu einem bestimmten Zeitpunkt ein, indem Befragte darauf antworten: „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“.
Wahlprojektionen beziehen zusätzlich längerfristige Einflüsse in ein Modell mit ein, wie etwa politische Grundüberzeugungen und Bindungen an Parteien, um auf das tatsächliche Wahlverhalten schließen zu können.
Wahlprognosen beruhen auf der Befragung von Wählerinnen und Wählern am Wahltag beim Verlassen des Wahllokals und werden unmittelbar nach Schließung der Wahllokale am Wahlabend veröffentlicht.
Auffällig sei auch, schreibt uns Sascha Huber, Professor für Empirische Politikforschung an der Universität Mainz, dass keine Angaben zur Methode gemacht würden. Unter den Grafiken des X-Accounts steht meist der Hinweis auf eine „Feldarbeit“ und einen bestimmten Zeitraum. Es sei aber unklar, ob da überhaupt jemand befragt wurde, schreibt Huber. „Grundsätzlich: Wenn nicht ersichtlich ist, wer die Befragungen durchgeführt hat, welcher Modus gewählt wurde, wie viele Befragte in der Stichprobe waren, wäre ich immer skeptisch solchen ‚Umfragen‘ zu trauen.“
Herkunft und Grundlage der „Prognos Umfragen“ völlig unklar
Huber ist nicht der Einzige, der den Account aufgrund der fehlenden Angaben kritisch sieht – im September 2023 veröffentlichte der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung eine Pressemeldung zu „Prognos Umfragen“: Der Account veröffentliche Umfragezahlen, „deren Herkunft und Grundlage völlig unklar sind“, heißt es darin. Dies könne zu einer Verwirrung der Wahlberechtigten und zu einer Beeinträchtigung des Wahlprozesses führen.
Der Rat verweist darin zudem auf die „Richtlinie für die Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung“. Die Markt- und Sozialforschungsbranche sei verpflichtet, bestimmte Grundinformationen bei der Veröffentlichung einer Wahlumfrage zu dokumentieren. Hierzu gehören etwa das durchführende Institut, die Zahl der befragten Personen, die angewandte Stichproben-Methode und das Erhebungsverfahren (mündliche, schriftliche, telefonische oder online Interviews). Insbesondere die Politik- und Wahlforschung sei zu Transparenz und Vollständigkeit der gelieferten Grundinformationen verpflichtet, heißt es in der Richtlinie.
Zum Vergleich: Die Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF-Format Politbarometer solche Wahlumfragen durchführt, und Infratest Dimap, das Umfragen im Auftrag der ARD macht, geben solche Grundinformationen für jede Umfrage jeweils an.
„Prognos Umfragen“ antwortet Medien nicht zu Details der angeblichen Wahlprojektionen
Hintergrund der Pressemeldung des Rats war die bayerische Landtagswahl 2023: Hubert Aiwanger und Alexander Hold von den Freien Wählern sowie ihr Landesverband hatten im Vorfeld der Wahl mehrere Grafiken des X-Accounts geteilt, wie die Süddeutsche Zeitung und der Bayerische Rundfunk berichteten.
Tatsächlich war „Prognos Umfragen“ schon mehrfach Gegenstand von Medienberichten und Faktenchecks. Etwa 2014 in einem Spiegel-Artikel: Damals teilten mehrere CDU-Politiker eine Grafik, wonach die SPD in Thüringen auf acht Prozent abgerutscht sei, nachdem sie sich auf Landesebene für eine rot-rot-grüne Koalition entschieden hatte. Der damalige CDU-Landesvorsitzende in Thüringen, Mike Mohring, benutzte die falschen Projektionen demnach sogar in einer Parteitagsrede. Laut seriösen Umfragen nach der Wahl landete die SPD der Süddeutschen Zeitung zufolge jedoch bei Werten zwischen 11 und 14 Prozent.
Auffällig ist auch: Medienanfragen lässt der Account entweder unbeantwortet oder er gibt nur spärlich Auskunft – Details zu den angeblichen Wahlprojektionen bleiben damit intransparent. Ebenso intransparent ist, wer hinter dem Account steckt. Auf unsere Nachfrage reagierte der Account nicht.
„Prognos Umfragen“ hat nichts mit der Prognos AG zu tun
In Sozialen Netzwerken heißt es zu den angeblichen Wahlprojektionen mitunter, dass sie vom „Institut Prognos“ seien. Wer danach bei Google sucht, landet bei dem Schweizer Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos AG. Die Prognos AG erstellt laut Webseite tatsächlich Prognosen, allerdings nicht zu Wahlen, sondern zu zu gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklungen, wie das Unternehmen im Juli 2019 klarstellte. In einer damaligen Pressemitteilung distanzierte sich das Unternehmen von dem X-Account „Prognos Umfragen“.
Bereits 2013 hatte sich das Unternehmen in einem Bericht der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung über den Account beschwert – damals nannte er sich sogar noch identisch „Prognos AG“. Es folgte eine Umbenennung in „Prognos Umfragen“ und mittlerweile weist der X-Account explizit darauf hin, nicht zur Prognos AG zu gehören – ebenfalls auf Erwirken des Schweizer Unternehmens, wie eine Sprecherin gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte.
Alle Faktenchecks rund um die Bundestagswahl 2025 lesen Sie hier.
Redigatur: Sophie Timmermann, Uschi Jonas
Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:
- Richtlinie für die Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung, Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung, 2024: Link (archiviert)
- Sonntagsfrage Bundestagswahl: Link