Hintergrund

Warum Wahlumfragen des „Democracy Institute“ nicht seriös sind

Auf X haben mehr als eine Million Menschen Anfang Februar eine Wahlumfrage zur Bundestagswahl gesehen, wonach die AfD nur zwei Prozent hinter der CDU liegt und Alice Weidel beliebteste Kanzlerkandidatin sei. Doch hinter der Umfrage steckt ein obskures US-„Institut“.

von Paulina Thom

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Wer zieht 2025 als stärkste Kraft in den Bundestag ein? Mit dieser Frage beschäftigen sich vor der Wahl Umfragen – doch nicht alle sind glaubwürdig. (Symbolbild: Amrei Schulz / Photothek.de / Picture Alliance)

Seit Ende Januar kursiert in Sozialen Netzwerken eine Wahlumfrage, laut der die AfD nur zwei Prozent hinter der CDU liegt. „Heiliges Kanonenrohr. Das ist ja fast zu gut, um wahr zu sein“, heißt es in einem X-Beitrag mit mehr als einer Million Aufrufen. Auch Blogs und AfD-Politikerinnen und -Politiker griffen die Umfrage auf. In einigen Beiträgen ist zudem eine weitere Umfrage zu sehen, wonach Alice Weidel mit 35 Prozent die beliebteste Kanzlerkandidatin sei.

Die Werte weichen teils deutlich von Umfragen seriöser Meinungsforschungsunternehmen ab. Wir haben mit Experten über die angegebene Methodik gesprochen und uns angeschaut, wer hinter dem ominösen US-Institut steckt.

X-Post
Mehr als eine Million Aufrufe hat dieser X-Beitrag mit der Wahlumfrage des „Democracy Institute“. Das angebliche Institut aus den USA verfügt jedoch über keine Webseite oder ein Impressum. (Quelle: X; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Britische Zeitung The Independent veröffentlichte Wahlumfrage vom „Democracy Institute“ 

Viele der Beiträge in Sozialen Netzwerken geben als Quelle für die Grafik das „Democracy Institute“ an, in einigen wird zudem auf einen Bericht des britischen Mediums The Independent verwiesen. Dort erschien am 1. Februar ein Artikel über die Umfrage, der auch entsprechende Screenshots enthielt. In dem Artikel geht es um einen möglichen Einfluss von Elon Musk auf die Bundestagswahl – der hatte sich zuvor im Gespräch mit Alice Weidel und anschließend als zugeschalteter Gast beim AfD-Wahlkampfauftakt für die Partei ausgesprochen. 

Die Umfrage im Artikel soll einen „Elon-Musk-Effekt“ belegen: „Nach den Ergebnissen des Washington DC Democracy Institute, das in den USA und weltweit Umfragen durchführt, liegt die CDU mit 27 Prozent nur zwei Punkte vor der AfD mit 25 Prozent.“ Weiter heißt es, AfD-Chefin Weidel sei mit 35 Prozent die klare Wahl der Deutschen für das Amt des Bundeskanzlers. Zu Wort kommt im Artikel auch der „Direktor“ des Democracy Institute, Patrick Basham, der die Ergebnisse einen Tag zuvor auf X veröffentlichte. Dort finden sich auch Angaben zur angeblichen Methode der Umfrage. Dazu später mehr. 

Was stutzig machen sollte: Keines der seriösen Meinungsforschungsunternehmen in Deutschland sieht vergleichbare Werte wie das „Democracy Institute“.

X-Post von Patrick Basham
Patrick Basham, laut eigener Angabe Direktor des „Democracy Institute“ veröffentlichte Screenshots der Wahlumfrage Ende Januar auf X. Experten machen auf Ungereimtheiten bei der Methodik aufmerksam. (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Daten vom „Democracy Institute“ weichen deutlich von anderen Umfragen ab

Auf der Webseite Wahlrecht.de lassen sich die unterschiedlichen Ergebnisse vergleichen: Der Abstand zwischen der CDU und der AfD lag Ende Januar bei minimal 6 Prozent (Yougov) und maximal 10 Prozent (etwa Forsa oder Infratest Dimap). 

Noch deutlicher sind die Unterschiede, wenn es um die Frage nach der gewünschten Bundeskanzlerin oder dem gewünschten Bundeskanzler geht – Daten dazu erhebt etwa die Forschungsgruppe Wahlen, die Umfragen im Auftrag des ZDF durchführt: Nach ihrer Umfrage, wen man am liebsten als Kanzler hätte, liegt Alice Weidel Ende Januar mit 13 Prozent auf dem vierten und letzten Rang, deutlich hinter Friedrich Merz (30 Prozent), Robert Habeck (24 Prozent) und Olaf Scholz (20 Prozent). In einer Auswertung von Yougov und Sinus landet Weidel ebenfalls weiter hinten. Die Reihenfolge und Werte sind in anderen Umfragen teils anders, mal landet Weidel bei der Beliebtheit auf dem zweiten, mal auf dem dritten Rang. In keiner der Umfragen ist sie jedoch die beliebteste Kanzlerkandidatin oder hat auch nur annähernd eine Zustimmung von 35 Prozent. 

„Sehr dubios“: „Democracy Institute“ hat keine Webseite 

Wer mehr über das „Democracy Institute“ erfahren möchte, stößt schnell an Grenzen: Die auf Patrick Bashams X-Profil verlinkte Webseite existiert nicht mehr. Ob noch wer anders außer Bashan für das Institut arbeitet, ist unklar. Wir haben Basham mit Fragen zur Umfrage und seinem Institut über Linkedin kontaktiert – ohne Erfolg. Dass es keine Webseite gibt, sei „sehr dubios“, schreibt uns Kai-Uwe Schnapp, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hamburg: „Es gibt kein Umfrageinstitut, das auch nur halbwegs ernsthaft ist, und mit dem Befragen von Leuten Geld verdient, das nicht online zu finden ist“.

Neben den Umfragewerten hat Basham auf X auch Informationen zu der angeblich angewendeten Methodik veröffentlicht. Dort heißt es zum Beispiel, die Umfrage sei telefonisch zwischen dem 28. und 30 Januar erfolgt. Es ist eine Fehlerspanne angegeben, sowie mehrere Faktoren (Geschlecht, Alter, früheres Wahlverhalten), nach denen angeblich gewichtet wurde. Experten verweisen bei den Angaben auf mehrere Ungereimtheiten.

Angebliche Methodik der Wahlumfrage durch Basham
In seinem X-Beitrag macht Basham Angaben zur angeblichen Methodik der Umfrage. Laut Experten heißt dies aber nicht, dass sie tatsächlich durchgeführt wurde. (Quelle: X; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Experten bemängeln Umfrage-Methodik

Die Angabe „likely, eligible German voters“, also „wahrscheinlich wahlberechtigte Deutsche“, deute „massiv auf unseriöses Arbeiten hin“, schreibt Schnapp. Hier sei nicht einmal sicher, ob alle Befragten überhaupt aus Deutschland sind und Wahlrecht haben. Unbekannt ist Schnapp das angegebene „77 % voter turnout model“ („77 % Wahlbeteiligung Modell“). 

Darauf verweist auch Arndt Leininger, Politikwissenschaftler an der Technischen Universität Chemnitz. Stutzig mache Leininger zudem, dass die Interviews per „Interactive Voice Response“ („Interaktive Sprachausgabe“), also über ein Computersystem, durchgeführt worden sein sollen. Das sei in Deutschland nicht üblich, denn hierzulande müsse ein echter Interviewer nach den branchenüblichen Richtlinien eine Einwilligung einholen.

Heiko Gothe vom Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung verweist auf weitere Ungereimtheiten. Einige Angaben würden fehlen, wie zum Beispiel der genaue Wortlaut der Fragen und welches Institut die angebliche Telefonbefragung durchführte, schreibt uns Gothe – beides sind Informationen, die nach den deutschen Richtlinien für die Veröffentlichung von Ergebnissen der Markt- und Sozialforschung relevant sind, um die wissenschaftliche Qualität einer Untersuchung und ihrer Ergebnisse beurteilen zu können. 

Einige der Angaben folgten zwar den Richtlinien und dem üblichen Standard der Meinungsforschungsbranche, zum Beispiel die Nennung des Erhebungszeitraums oder der Stichprobengröße. Das bedeute aber nicht, dass tatsächlich eine Umfrage durchgeführt wurde. „Grundsätzlich rate ich dazu, nur Umfragen von etablierten Instituten zu vertrauen. Diese erkennt man daran, dass sie Mitglied in einem der im Rat für Marktforschung organisierten Verbände sind und sich an die entsprechenden Richtlinien halten“, schreibt Arndt Leininger, von der Technischen Universität Chemnitz.

Politikwissenschaftler bezeichnet „Democracy Institute“ als„rechtspopulistischen Think-Tank“

Der X-Beitrag mit der angeblichen Umfrage von Basham hat kaum „Gefällt mir“-Angaben und wurde nur wenig geteilt. Wie kommt es, dass der Independent die Umfrage eines angeblichen Instituts ohne Webseite überhaupt aufgegriffen hat? Der Autor des Artikels und das Medium antworteten auf eine entsprechende Anfrage von uns bis zur Veröffentlichung nicht. 

Doch The Independent ist nicht das einzige britische Medium, das auf Umfragen des „Democracy Institute“ zurückgreift: 2020 sagte das „Democracy Institute“ einen Wahlsieg Donald Trumps voraus, der nicht eintrat. Dessen Direktor Basham veröffentlichte dazu unter anderem eine Kolumne für die Sonntagsausgabe der britischen Boulevardzeitung Daily Express, in dem er seine Umfrage verteidigte, wie der Guardian 2020 berichtete. Basham fütterte in einem mittlerweile gelöschten Express-Artikel nach der Niederlage Trumps das Narrativ, es habe Wahlbetrug gegeben. Trump selbst nutzte die Umfragen des „Democracy Institute“ als angeblichen Beweis für seine mehrfach widerlegten Wahlbetrugsbehauptungen. Der Daily Express veröffentlicht bis heute solche zweifelhaften Umfragen.

Dabei gibt es mehrere Hinweise, dass weder das angebliche „Democracy Institute“ noch sein Direktor politisch neutral sind. Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann vom King’s College in London bezeichnet das Institut auf X als „rechtspopulistischen Think-Tank“. Dem Institut wird zudem eine enge Verbindung zur und teilweise Finanzierung durch die Tabakindustrie nachgesagt. Auf X teilt Basham Inhalte rechtsextremer und verschwörungsaffiner Akteure, spricht sich klar für Trump und gegen die EU aus.

Alle Faktenchecks rund um die Bundestagswahl 2025 lesen Sie hier.

Mitarbeit: Kimberly Nicolaus
Redigatur: Sophie Timmermann, Steffen Kutzner

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Ergebnisse Meinungsforschungsunternehmen auf Wahlrecht,de, 31. Januar 2025: Link (archviert)
  • Richtlinie für die Veröffentlichung von Ergebnissen der Wahlforschung, Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung, 2024: Link (archiviert)
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