Hintergrund

Fake-Zitate deutscher Politiker auf Telegram: Spur führt von Österreich nach Russland

Ein Telegram-Account erfindet am laufenden Band Aussagen von Politikern und erreicht damit Millionen. Wir haben uns den Verbreiter angeschaut: Zwischen fragwürdigen Medizinprodukten und Krypto-Werbung zieht sich eine Spur von Österreich bis zum Kreml.

von Johannes Gille

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Auf Telegram kursieren seit einigen Monaten hunderte erfundene Zitate von Politikern. Der Kanal dahinter ist mit russischen Propagandisten gut vernetzt. (Quellen: Christoph Hardt / UNN - Unabhängig Neutrale Nachrichten / Telegram; Screenshot und Collage: CORRECTIV.Faktencheck)

„Just in!“ – gerade eingetroffen – heißt es in zahlreichen Telegram-Beiträgen des Kanals „UNN – Unabhängig Neutrale Nachrichten“. Darauf folgen jedoch oft keine Eilmeldungen zu aktuellen Ereignissen, sondern angeblich brisante Zitate von deutschen Politikern wie Friedrich Merz oder Frank-Walter Steinmeier. Doch von diesen Zitaten sind etliche frei erfunden, mutmaßlich, um den Politikern zu schaden – und um Reichweite zu erzielen. Denn trotz der vergleichsweise geringen Followerzahl des Telegram-Accounts erreichen die Beiträge ein Millionenpublikum.

Wir haben uns angesehen, was hinter der Masche steckt. Dabei sind wir auf einen Mann gestoßen, der nicht nur Zitate erfindet, sondern pro-russische Narrative befeuert und dabei mit engen Verbindungen zum Kreml prahlt.

Gewaltaufrufe gegen Mario Voigt 

Doch zunächst: Worum geht es in den Fakes? Im März 2025 heißt es in einem viralen Beitrag, Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) habe gegenüber der Süddeutschen Zeitung (SZ) gefordert, „arbeitsunwilligen Rentnern“ die Leistungen zu streichen. Ein solches Zitat ist auf der Seite der SZ jedoch nirgendwo zu finden. Auch eine Sprecherin der Staatskanzlei Thüringen schreibt uns auf Anfrage, dass es sich um ein Falschzitat handelt.

Trotzdem verbreitete sich die Behauptung über X, Facebook, Telegram und Instagram in zahlreichen Beiträgen weiter und erreichte dadurch hunderttausende Nutzerinnen und Nutzer. In den Kommentaren zweifeln einige das vermeintliche Zitat zwar an, doch andere reagieren mit Rücktrittsforderungen, Beleidigungen und sogar Gewalt- und Mordfantasien: „Und dann wundern, wenn man Polizeischutz braucht“, schreibt ein Nutzer unter einem Beitrag. „Fangt endlich wieder an, Politiker zu lynchen“, kommentiert ein anderer.

Screenshot eines Telegram-Beitrags mit einem angeblichen Zitat von Mario Voigt
Mit diesem Beitrag löste der Kanal UNN in einigen Sozialen Netzwerken eine Welle der Empörung aus. Doch das Zitat ist frei erfunden. (Quelle: Telegram, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Erfundene oder verzerrte Zitate begegnen uns in sozialen Netzwerken immer wieder. In diesem Hintergrund erklären wir, wie Sie solche Zitate überprüfen und sich vor der Täuschung schützen können.

Dutzende Fake-Politiker-Zitate aus derselben Feder – neben Bitcoin und fragwürdigen Gesundheitsprodukten

In den vergangenen Monaten wurden zahlreiche solcher Falschzitate verbreitet. So wolle Friedrich Merz angeblich Eigentümer dazu verpflichten, ihren Wohnraum mit Geflüchteten zu teilen. Oder Bundespräsident Steinmeier kündige an, der AfD im Falle eines Wahlsieges den Auftrag zur Regierungsbildung verweigern. In anderen Beiträgen heißt es, der Baden-Württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hätte Rentner als „Sozialschmarotzer“ bezeichnet oder fordere, dem Amokfahrer des Magdeburger Weihnachtsmarktes zu verzeihen.

All diese Fakes kursieren auf verschiedenen Kanälen und Plattformen – und für jedes der Zitate ist der erste auffindbare Verbreiter derselbe: UNN – Unabhängig-Neutrale Nachrichten.

Erst Impfkritik, dann Russland-Propaganda

Der Telegram-Account UNN wurde im September 2021 erstellt und konzentrierte sich anfangs vor allem auf Kritik an Impfungen und Covid-Maßnahmen. Später schwenkten die Inhalte vermehrt auf breitere politische Themen um. Der Kanal fällt CORRECTIV.Faktencheck seit längerem durch die Verbreitung von Falschbehauptungen auf.

Dahinter steht laut Impressum ein Mann namens Christopher Wolf. In einem Youtube-Kanal, zu dem er ebenfalls als Betreiber angegeben ist, beschreibt er sich als „Unternehmer, Investor und Auswanderer“. Auf beiden Kanälen – und etwa auch in einem Werbevideo für die österreichische FPÖ – ist immer wieder derselbe Mann zu sehen. Der Telegram-Kanal bewirbt in zahlreichen Posts eine Reihe von Kursen und Gruppen, in denen man den Umgang mit Kryptowährungen wie Bitcoin lernen soll. In einem Zweitkanal geht es um zweifelhafte Medizinprodukte und Nahrungsergänzungsmittel, die er durch Affiliate-Links bewirbt und darüber mutmaßlich Provision kassiert.

Und dazwischen: Propaganda für Russland.

Telegram-Kanäle werben für zweifelhafte Gesundheitsprodukte

Die beworbenen Produkte sind CORRECTIV.Faktencheck schon öfter begegnet. Etwa eine Liegematte mit Infrarotstrahlern der Firma Vitori, die mehreren Artikeln auf der chinesischen Großhandelsplattform Alibaba verdächtig ähnlich sieht, jedoch ein Vielfaches teurer ist. In einem Video behauptet Wolf, die Matte könne „Selbstheilungskräfte aktivieren“ und „bösen Schwingungen“ entgegenwirken.

Eine ähnliche Matte gibt es auch von einem Anbieter namens Multispa. Auch dafür wirbt der Telegram-Kanal „Gesundheit stärken“, der unter einem Video von Wolf als „mein Gesundheitskanal“ bezeichnet wird. Die Multispa UG wurde im Oktober 2024 nach einer Klage der Verbraucherzentrale verurteilt, da sie ihre Produkte mit unzulässigen Heilsversprechen wie besserer Schlafqualität, Stressabbau und Konzentrationssteigerung beworben hatte. Das hielt den Telegram-Kanal nicht davon ab, die Matte wenige Monate später mit denselben Versprechen anzupreisen.

Der Kanal wirbt auch für den Online-Shop von Waldkraft, der Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Dabei verwendete der Shop laut Verbraucherschutz in der Vergangenheit ebenfalls zweifelhafte Werbeversprechen, um seine Produkte zu vermarkten, wie wir berichteten. Der Kanalbetreiber verdient an dem Geschäft mit den vermeintlichen Heilmitteln über Affiliate-Links mutmaßlich mit, erhält also Provision pro verkauftem Produkt. Auf Nachfrage, ob und wie viel er dadurch verdient, antwortete er nicht.

Enge Verbindungen zu russischen Propagandisten und sanktionierten Akteuren

Der Telegram-Account UNN verbreitet immer wieder Beiträge von anderen bekannten Propagandisten wie Alina Lipp, Thomas Röper oder dem Netzwerk InfoDefense. Auch umgekehrt greifen russische Propagandisten die Fakes von UNN gerne auf. So veröffentlichte beispielsweise das russische Propaganda-Netzwerk Pravda noch am selben Tag einen Artikel über das angebliche Zitat von Mario Voigt.

Im Kanal werden regelmäßig längere Sprachnachrichten von Wolf veröffentlicht. Darin prahlt er unter anderem damit, angeblich gute Verbindungen ins russische Außenministerium und direkten Kontakt zu einer „prominenten russischen Politikerin“ zu haben. An anderer Stelle appelliert er persönlich an Wladimir Putin, Raketen auf die Ukraine abzufeuern, und dabei „keine Rücksicht auf Zivilisten“ zu nehmen. Er fordert sogar explizit, dass die Ukraine an Russland übergeben werden sollte.

Immer wieder nährt er pro-russische Desinformations-Narrative, wie etwa rund um das Massaker in Butscha. Auch bei Julia Smirnova vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) ist UNN als Verbreiter von Desinformationen bereits aufgefallen. Sie sagt uns, dass Wolf seit längerem die „Narrative von russischen Staatskanälen für ein deutschsprachiges Publikum amplifiziert“.

Die Verbindungen nach Russland gehen noch tiefer. Im Sommer 2023 veröffentlichte der Kanal zwischenzeitlich Inhalte von der „RIA Nowosti Deutschland GmbH“ – sie wird in den Beiträgen sogar als Autor angegeben. RIA Nowosti ist eine russische Nachrichtenagentur, die im Frühjahr 2024 von der EU sanktioniert wurde. Davor wurde laut einer Recherche von EU vs. Disinfo auf der Seite beispielsweise zur Zerstörung des Ukrainischen Staats aufgerufen oder die ukrainische und EU-Bevölkerung als Ungeziefer illustriert.

Screenshot eines Beitrags der Nachrichtenagentur RIA Novosti im Kanal UNN
2023 verbreitete UNN Inhalte von der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti. „RIA Novosti Deutschland GmbH“ ist als Autor angegeben. (Quelle: Telegram, Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Partner von sanktioniertem russischen Sender Sputnik?

Noch ein sanktionierter Akteur fällt auf: der Telegram-Kanal „Satellit“. „Satellit“ ist nicht irgendein Propaganda-Kanal: Der seit März 2022 von der EU sanktionierte russische Staatssender Sputnik soll den Kanal als Ausweichoption nutzen, um so weiterhin ein deutsches Publikum zu erreichen, recherchierte das Institute for Strategic Dialogue (ISD). Sputnik gehört zum russischen Medienkonzern Rossija Sewodnja, wie auch RIA Novosti.

UNN teilte zwischen 2022 und 2025 hunderte Beiträge von „Satellit“ und wird dort seinerseits als „Partnerkanal“ bezeichnet. In einer mittlerweile gelöschten Nachricht im Telegram-Kanal von „Satellit“, die CORRECTIV.Faktencheck vorliegt, zeigt Wolf sich im Februar 2023 offen dafür, „über eine Kooperation“ mit dem Kanal zu sprechen. Knapp drei Wochen später veröffentlichte „Satellit“ einen Beitrag, in dem er eine Empfehlung für UNN aussprach. Seitdem rief der Kanal Dutzend Mal seine Abonnenten dazu auf, auch UNN zu folgen, um „sachlich informiert“ zu werden.

Hybride Attacken, politische Morde, Propaganda und Schmiergelder – das alles im neuen CORRECTIV-Buch „Europas Brandstifter: Putins Krieg gegen den Westen“

Auf unsere Anfrage an Wolf, ob er für die Verbreitung russischer Propaganda bezahlt wird, und von welcher Natur seine Verbindungen zum russischen Staatsapparat sind, erhielten wir keine Antwort. Auch der russische Staatssender Rossija Sewodnja reagierte nicht auf eine Anfrage zu Wolf.

Derweil verbreitet der Telegram-Kanal UNN weiterhin fleißig erfundene Zitate, zum Beispiel von Friedrich Merz und Wolodymyr Selenskyj. Eine Sprachnachricht Ende Juli beendet Wolf mit den Worten „Slava Russia“ – Ruhm für Russland.

Redigatur: Gabriele Scherndl, Sophie Timmermann 

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