Politik

Sechs Monate Kanzler: Welche Fakes wurden über Merz verbreitet – und wo lag er selbst daneben?

Sechs Monate ist Friedrich Merz nun Bundeskanzler. Sein Amtsantritt hat ihn in den Fokus von Desinformations-Kampagnen gerückt, doch auch er blieb nicht immer bei den Fakten. Ein Überblick.

von Gabriele Scherndl , Sophie Timmermann

Ernennung von Friedrich Merz zum Bundeskanzler_Bernd von Jutrczenka_DPA_Picture Alliance
Friedrich Merz (links) bei seinem Antritt als Bundeskanzler im Mai 2026. Seither wurden immer wieder Falschinformationen über ihn verbreitet. (Quelle: Bernd von Jutrczenka / DPA / Picture Alliance)

Am 6. Mai 2025 wird Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler gewählt – und wird damit auch zur Zielscheibe von Desinformation: Gleich nach der Wahl behaupten einige in Sozialen Netzwerken, diese sei ungültig, weil eine Person bei der Abstimmung im Bundestag mehrere Stimmen abgegeben hat. Hintergrund war ein Saaldiener, der die Stimmen im Auftrag des Sitzungsvorstands abgegeben hatte. Ein gewöhnlicher Vorgang – kein Wahlbetrug, wie suggeriert.

Inzwischen sind sechs Monate vergangen – Zeit für einen kleinen Rückblick. CORRECTIV.Faktencheck hat sich angesehen, welche Falschmeldungen Friedrich Merz ins Visier nahmen und wo Aussagen des Bundeskanzlers selbst Grund für einen Faktencheck waren.

Taschentuch wird zur angeblichen Drogenparty

Wenige Tage nach Amtsantritt fährt Friedrich Merz zusammen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Keir Starmer im Zug in die Ukraine. Ein Taschentuch auf dem Tisch wird zur Vorlage für den nächsten Fake: Online heißt es, das Taschentuch sei ein Kokstütchen.

Keir Starmer, Friedrich Merz und Emmanuel Macron begrüßen sich lachend in einem Zug-Abteil. Auf dem Tisch liegen zwei Ordner, 2 Gläser und ein Taschentuch
Ein Foto von Mai 2025 zeigt – von links nach rechts – die Staatschefs Keir Starmer, Emmanuel Macron und Friedrich Merz in einem Zug nach Kiew. Auf dem Tisch liegt ein Taschentuch. (Foto: Kay Nietfeld / DPA / Picture Alliance)

Die Behauptung knüpft an ein Narrativ des Kremls an, der seit Jahren versucht, politische Gegner wie auch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als drogensüchtig zu verunglimpfen. Das zeigte sich auch im Bundestagswahlkampf, als russische Akteure Merz unterstellten, er sei psychisch „instabil“. Als Beleg dafür musste eine gefälschte Krankenakte herhalten

Merz ist nicht der Erste, der wegen seiner Spitzenposition zur Zielscheibe von Desinformation wird. In der vergangenen Legislaturperiode kursierten Falschbehauptungen zum ehemaligen Kanzler Olaf Scholz oder zur damaligen Außenministerin Annalena Baerbock.

Merz im Visier von Desinformation und Diskreditierung 

Das Institute for Strategic Dialogue (ISD) beschäftigt sich mit der Bekämpfung von Desinformation. Merz sei als CDU-Kandidat nach dem Zusammenbruch der Ampel-Regierung ins Visier von Falschinformationen geraten, sagt ISD-Analyst Pablo Maristany de las Casas im Juni laut Handelsblatt. Seit dem Amtsantritt hätten sich Desinformationskampagnen „nur noch verstärkt“. Ähnliches teilte auch das Bundesinnenministerium im Juli mit: Der Ton habe sich im Vergleich zur letzten Legislaturperiode verschärft. Woran das gemessen wurde, bleibt auf Nachfrage an die Bundesregierung unklar. Dazu, wie die Situation aktuell eingeschätzt wird, heißt es: „Deutschland ist und bleibt ein Ziel von Desinformationskampagnen ausländischer Akteure“.

Im Alltag von Faktencheck-Redaktionen zeigt sich zumindest, dass vielerlei Falschinformationen zu Merz verbreitet werden: Beiträge in Sozialen Netzwerken erfinden zum Beispiel immer wieder Gesetzesvorhaben, die Merz und die Bundesregierung diskreditieren sollen. Sie reichen von einem neuen Solidaritätszuschlag, zu einer erfundenen Pflicht zur Wohnraumteilung mit Geflüchteten oder vermeintlichen Plänen, das Kindergeld abzuschaffen. Es kursieren alte Videos einer Pro-Palästina-Demonstration, die fälschlich als aktuelle Demonstration gegen den Kanzler umgedeutet werden. Daneben läuft die Behauptung in Dauerschleife, Merz werde oder müsse zurücktreten und es komme zu Neuwahlen.

Merz rechtfertigt Migrationsmaßnahmen zum Teil mit falschen Behauptungen 

CORRECTIV.Faktencheck behielt aber auch die Aussagen von Friedrich Merz selbst im Blick. Vor allem seine Aussagen zum Thema Migration boten Anlass für eine Überprüfung. So hatte Merz schon vor seiner Wahl falsche Angaben verbreitet und auch falsche Zahlen zu „islamistischen Gefährdern“ genannt. 

Damit liegt Merz auf der Linie seiner Partei, die bei dem Thema Migration nicht immer bei den Fakten bleibt. Als der Bundestag im Juni den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte vorübergehend aussetzte, schrieb zum Beispiel die CDU auf X: „Wir machen Deutschland wieder sicherer“. Dass das die Kriminalität in Deutschland senken würde, bezweifeln Fachleute jedoch – auch, weil die Maßnahme viele Frauen und Kinder betreffe.

In eine ähnliche Richtung zielte eine Aussage von Merz im Juni bei dem US-Fernsehsender Fox News: „Offen gesagt haben wir mit der großen Zahl von Migranten, die wir in den letzten zehn Jahren aufgenommen haben, eine Art importierten Antisemitismus“, sagte der Kanzler. Warum die Forschung den Begriff ablehnt und welche Zahlen es dazu tatsächlich gibt, haben wir hier recherchiert.

Dass Friedrich Merz in diesen Fällen selbst falsche oder unbelegte Behauptungen teilte, weist ein Sprecher der Bundesregierung auf Nachfrage zurück, man teile die Einschätzungen „ausdrücklich nicht“.

Porträt von Friedrich Merz im Anzug vor einem Mikrofon in einem Park
Anfang Juni war Bundeskanzler Friedrich Merz zu Besuch in den USA. Bei einem Interview mit dem Sender Fox News sprach er von einem „importierten Antisemitismus“ – ein Begriff, den die Antisemitismus-Forschung ablehnt. (Foto: Michael Kappeler / DPA / Picture Alliance)

Besondere Aufregung verursachte zuletzt Merz’ Aussage im Herbst 2025 – er hatte sich abfällig über Migrantinnen und Migranten im „Stadtbild“ geäußert. Doch obwohl sein Satz anschließend in aller Munde war – in der offiziellen Mitschrift auf der Webseite des Bundeskanzlers tauchte er nicht auf. Merz’ Sprecher Stefan Kornelius rechtfertige das damit, dass sich Merz nicht als Kanzler, sondern als CDU-Vorsitzender geäußert habe. Es sei „übliche Praxis“, dass Aussagen in dieser Rolle nicht im offiziellen Redetranskript landeten. So üblich ist das aber nicht, zeigt unsere Recherche.

Behauptungen über das Bürgergeld und neue Sanktionen

Ein weiteres Thema war das Bürgergeld, auch dort mischte der Kanzler mit. Schon vor seiner Amtszeit schrieb Merz, es müsse vom Kopf auf die Füße gestellt werden, denn es sei ein „Pullfaktor für Asylbewerber und Flüchtlinge“. Was er dabei außer Acht lässt, ist, dass Asylbewerberinnen und -bewerber in der Regel gar keinen Anspruch auf Bürgergeld haben. Auch später blieb Merz teils unscharf, wenn er über das Thema sprach, etwa beim Sommerinterview in der ARD.

Im Jahr 2026 will die Bundesregierung das Bürgergeld reformieren. Was die Koalition dazu eigentlich in ihrem Programm festgeschrieben hatte – nämlich Totalsanktionen – war von Anfang an rechtlich umstritten. Die Sanktionen sollen künftig schärfer werden, etwa wenn Menschen Termine nicht wahrnehmen. Das gab die Koalition im Oktober bekannt.

Im Anschluss an die Ankündigung schrieben einige Politikerinnen und Politiker aus der CDU/CSU wörtlich oder sinngemäß, jetzt lohne sich Arbeiten endlich wieder. Fest steht aber: Wer arbeitet, hat immer mehr Geld zur Verfügung als jemand, der nicht arbeitet.

Neue Schritte gegen Desinformation blieben bislang aus

Merz blieb in seinen ersten sechs Monaten Amtszeit also vor allem bei Themen rund um Migration und Bürgergeld unscharf und befeuerte irreführende Narrative. Ein weiteres Diskussionsthema waren Merz’ Wahlversprechen: Anders als vor der Wahl angekündigt, hielt er an der Schuldenbremse fest und setzte ein Sondervermögen mit durch. Auch damit wurde er zur Zielscheibe von Desinformation und Stimmungsmache im Internet. 

Digitale Medien seien eine große Errungenschaft, aber auch eine große Gefahr, weil „ungefiltert eben vollkommen falsche Nachrichten verbreitet werden können“, sagte Merz im November 2024 vor seiner Amtszeit. Mehr dagegen vorzugehen, steht als Maßnahme im Koalitionsvertrag: Die Union und SPD kündigten an, sie wollten Wege schaffen, um besser gegen „Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze“ vorzugehen. Was genau damit gemeint ist und was schon geschehen, bleibt über ein halbes Jahr später unklar. 

Die Bundesregierung teilte CORRECTIV.Faktencheck auf Nachfrage mit, solche Prozesse brauchten Zeit und dass etwa auf der Innenministerkonferenz im Dezember ein „Gemeinsamer Aktionsplan gegen Desinformation von Bund und Ländern“ beschlossen werden soll. 

Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust