Deutschlandflaggen in NRW: Weidel teilt falsche Informationen zu Staatsschutz-Ermittlungen
Seit Oktober verbreiten rechtspopulistische Medien und Politikerinnen und Politiker der AfD die Behauptung, der Staatsschutz ermittle wegen aufgehängter Deutschlandflaggen. Hintergrund sollen Vorfälle in Nordrhein-Westfalen sein. Ein Faktencheck.
„Hängt sie auf die Deutschlandfahnen! Ganz viele!“, rief AfD-Chefin Alice Weidel Ende Oktober bei einem Bürgerdialog im baden-württembergischen Donaueschingen, dazu gab es Beifall und Jubel im Publikum. Dass der Staatsschutz wegen aufgehängter Deutschlandflaggen ermittle, so Weidel, sei eigentlich ein Aufruf, genau dies jetzt zu tun. Ein Ausschnitt der Rede hat auf Instagram mehr als 100.000 Likes. Unter dem Hashtag „#HissDieFlagge“ verbreiten ihn Nutzerinnen und Nutzer auch in anderen Sozialen Netzwerken.
Worum es geht: Die rechtspopulistische Schweizer Weltwoche schreibt einige Tage vor Weidels Rede, in der Gemeinde Nachrodt-Wiblingwerde in NRW seien über Nacht mehr als 40 Deutschlandflaggen gehisst worden. „Nun ermittelt der Staatsschutz“, heißt es im Titel. Und in einem weiteren Artikel über die Stadt Hilchenbach, ebenfalls NRW, einige Tage später: „Wieder hängen Unbekannte Deutschland-Flaggen auf, wieder ermittelt der Staatsschutz“. Weidel verbreitete einen Screenshot des Artikels auf X. Auch andere Politikerinnen und Politiker der AfD griffen die Behauptung auf.
Der polizeiliche Staatsschutz ist für Straftaten rund um politisch-motivierte Kriminalität zuständig. In Abgrenzung zum Verfassungsschutz – der extremistische Entwicklungen beobachten darf – kann der Staatsschutz als Strafverfolgungsbehörde Ermittlungen durchführen und etwa Personen oder Wohnungen durchsuchen.
Doch anders als die Weltwoche und Weidel es darstellen, ermittelt er in keinem der Orte wegen der aufgehängten Deutschlandflaggen allein.

In Nachrodt-Wiblingwerde ermittelt Staatsschutz im Zusammenhang mit Hausfriedensbruch
In Nachrodt-Wiblingwerde hatten Lokalberichten zufolge in der Nacht auf den 20. Oktober Unbekannte Deutschlandflaggen an Laternenmasten, Straßenschildern und einem Funkmast angebracht. Bei der Weltwoche heißt es: „Die Polizei sieht Anzeichen für einen politischen Hintergrund und hat den Staatsschutz eingeschaltet.“ Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit.
„Die Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz nimmt immer dann Ermittlungen auf, sobald sich der Anfangsverdacht einer politischen Motivation bei einer Straftat ergibt“, schreibt uns Ramona Arnhold, Pressesprecherin der Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz in Hagen. In Nachrodt-Wiblingwerde habe die zuständige Polizei eine Strafanzeige aufgrund eines Hausfriedensbruchs gefertigt, denn der Funkmast stehe auf eingezäuntem Privatgelände. Die Deutschlandfahne sei ohne Wissen des Eigentümers gehisst worden. An dem Zaun war zudem ein Schild mit der Aufschrift „National Stolz [sic!] ist kein Verbrechen“ angebracht worden. Das Schild erwähnt auch die Schweizer Weltwoche.
Ermittlungsgegenstand sei aber nicht die Deutschlandflagge an sich, schreibt Arnhold, sondern die Gesamtumstände. „Es liegt der Verdacht eines Hausfriedensbruchs vor, der in Verbindung mit dem Hissen der Flagge steht.“ Das Hissen einer nicht verbotenen Flagge, sofern kein Hausfriedensbruch oder Ähnliches begangen werde, stelle keine Straftat dar. Laut Arnhold gibt es nach derzeitigem Stand der Ermittlungen, über den Hausfriedensbruch hinaus, keinen weiteren Straftatbestand, der erfüllt ist. Was die politische Motivation betrifft: Die Ermittlungen bezüglich der Initiatoren dauerten weiterhin an, schreibt Arnhold.
Auf unsere Nachfrage, warum der Kontext mit dem Hausfriedensbruch im Artikel fehlt, schreibt die Weltwoche, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung habe das der Nachrichtenlage entsprochen. Eine Aktualisierung des Artikels gab es nicht.
Keine Ermittlungen des Staatsschutzes bei Deutschlandfahnen in Hilchenbach
In Hilchenbach hängten Unbekannte in der Nacht zum 26. Oktober dutzende Flaggen an Laternen, Zäunen, Hecken und Straßenschildern auf. Für die Stadt ist die Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein zuständig. Auf Nachfrage schreibt uns Pressesprecher Niklas Zankowski, dass es – anders als in Teilen der Berichterstattung formuliert – keine Ermittlungen zu dem Vorfall gebe oder gegeben habe. Der Staatsschutz in Hagen sei über den Vorgang nur in Kenntnis gesetzt worden. „Dabei handelt es sich nicht um eine Strafanzeige“, betont Zankowski. Dass keine Ermittlungen stattfinden, bestätigte uns auf Nachfrage die Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz in Hagen.
Der Polizeisprecher erklärte gegenüber der Siegener Zeitung, dass es jedem freistehe, die Flagge jederzeit und überall zu nutzen, solange sie als staatliches Symbol nicht verunglimpft werde. Die Verwendung sei durch das Grundgesetz geschützt. Eine Ausnahme bildet die Bundesdienstflagge, darüber haben wir hier berichtet. Sie besteht aus den Nationalfarben und dem Bundesschild. Privatpersonen dürfen diese Flagge nur bei Großereignissen, wie etwa einer Fußball-EM, hissen, ansonsten ist es eine Ordnungswidrigkeit.
Auf unsere Frage, warum die Weltwoche über den Vorfall in Hilchenbach schrieb, der Staatsschutz ermittle, obwohl dieser lediglich informiert wurde, antwortete die Redaktion nicht. Alice Weidel antwortete bis zur Veröffentlichung nicht auf unsere Anfrage.
AfD-Politiker und bekannten rechte bis rechtsextreme Akteure verbreiten Online-Kampagne #HissDieFlagge
Bereits vor Alice Weidels Auftritt beim Bürgerdialog Ende Oktober machten in Sozialen Netzwerken die Hashtags #HissDieFlagge oder #AktionHissDieFlagge die Runde. Unter den Hashtags finden sich KI-generierte Songs auf Youtube, auf X kursieren Videos von Flaggen an Brücken oder öffentlichen Gebäuden. Dazu fallen Sätze wie: „Deutschland immer zuerst!“, „Willst du mal den Staatsschutz sehn, lass die Deutsche Fahne wehn“ oder „Heimatliebe ist kein Verbrechen“.
Gepusht werden die Hashtags und Aktionen insbesondere aus rechtsradikalen bis rechtsextremen Kreisen, wie etwa dem Frauennetzwerk Lukreta, dem Landesverband Niedersachsen der Jungen Alternativen oder der Identitären Bewegung. Auch der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner rief zur Teilnahme auf.

Sellner warb bereits im August 2025 für solche Aktionen, die ursprünglich in Großbritannien unter dem Hashtag „RaiseTheColours“ begannen. Laut Medien und NGOs stecken hinter der Kampagne teils rechtsextreme Personen, sie wird auch offenbar durch die rechtsextreme Partei Britain First finanziell gefördert. Sellner kommentierte die Kampagne im August so: „Eine geniale Aktionsform – metapolitisch hocheffektiv. Bringen wir die Welle in den deutschsprachigen Raum!“ Sellner dankte im Oktober dann insbesondere dem Deutschland-Kurier, „der die Sache massiv voranbringt“.

Tatsächlich warb der Deutschland-Kurier ab dem 21. Oktober mehrmals für die Aktion (etwa hier, hier, hier oder hier). Am selben Tag berichtete das rechtspopulistische Medium über die angeblichen Ermittlungen des Staatsschutzes wegen der Deutschlandflaggen in Nachrodt-Wiblingwerde – die Falschnachricht hat der Kampagne also offenbar Aufwind gegeben. Der Deutschland-Kurier konnte neben pro-AfD-Influencern, wie etwa Niklas Lotz („neverforgetniki“) oder Naomi Seibt, auch mehrere AfD-Bundestagsabgeordnete als Befürworter der Hashtags gewinnen. Darunter Matthias Helferich, Martin Reichardt und Christopher Drößler. Über die Verbindungen des Deutschland-Kurier zur AfD haben CORRECTIV und andere Medien berichtet.
Redigatur: Steffen Kutzner, Max Bernhard