Politik

Worum es im Gesetzesvorschlag zum Schutz sexueller Identität geht

Die Forderung, den Diskriminierungsschutz auszuweiten, nehmen online einige als Anlass für falsche und irreführende Behauptungen rund um Pädophilie. Worum geht es wirklich?

von Steffen Kutzner

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Weil die sexuelle Identität ins Grundgesetz aufgenommen werden soll, suggerieren einige, damit werde sexueller Kindesmissbrauch legalisiert. Ein Experte nennt das „Unsinn“. (Foto: Peggy Anke / Pixabay)

Hinweis: In diesem Beitrag geht es auch um Kindesmissbrauch. 

„Die Grünen haben einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, um den Ausdruck ‚sexuelle Identität‘ in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen. […] Dies ist ein kaum verschleierter Versuch, Pädophilie zu legalisieren“, heißt es in einer Petition der rechtskonservativen Plattform „Citizen Go“, die laut deren Angaben mehr als 60.000 Personen unterzeichnet haben sollen (Stand: 3.12.2025). 

Die neurechte Bloggerin Anabel Schunke thematisiert das Vorhaben ebenfalls und schreibt auf X: „Wenn die sexuelle Identität ins Grundgesetz geschrieben wird, ist das die rechtliche Abschaffung des biologischen Geschlechts“. Das sei außerdem ein „Einfallstor für den Verfassungsrang von Fetischen und Pädophilie“.

Einen Hinweis auf den Gedankengang hinter diesen Behauptungen findet sich im Text der Petition. Dort heißt es: „Pädophile […] halten ihre Neigungen ebenfalls für eine sexuelle Identität. Die Pädo-Aktivistengruppe ‚Krumme 13‘ hat bereits angekündigt, auf Legalisierung von Kindesmissbrauch zu klagen, wenn und falls die sexuelle Identität als geschützte Eigenschaft ins Grundgesetz aufgenommen würde. Die „Krumme 13“ gibt es seit über 20 Jahren nicht mehr. Der Gründer der Gruppe betreibt eine Webseite unter gleichem Namen und rief dort in einem Beitrag dazu auf, beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde wegen Benachteiligung einzureichen, falls die Grundgesetzänderung durchgeht.

Seine Absichten bedeuten nicht, dass wegen einer solchen Gesetzesänderung Kindesmissbrauch legalisiert werden würde, wie die Petition suggiert. Eine etwaige Beschwerde wegen Ungleichbehandlung einer pädophilen Person hätte zudem laut einer Expertin wenig Erfolgschancen. Und: Biologische Geschlechter würden so ebenfalls nicht abgeschafft.  

Was steht im Gesetzesentwurf und von wem kam er?

Mit dem Gesetzesentwurf, der am 7. Oktober 2025 eingebracht wurde, soll der Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes um das Merkmal „sexuelle Identität“ ergänzt werden. Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes würde dann wie folgt lauten: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner sexuellen Identität, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ 

Daraus folgt: Falls eine pädophile Sexualpräferenz eine sexuelle Identität darstellen sollte, wäre sie durch das Grundgesetz geschützt. Aber ist sie das?

Laut der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gilt eine pädophile Neigung nicht als sexuelle Identität. Der Ausdruck „sexuelle Identität“ bezieht sich demnach auf „Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, inter* und queere Personen“. Wie uns Richard Lemke, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung und Professor an der Hochschule Merseburg, schon 2024 erklärte, ist die Pädophilie aus Sicht der Sexualwissenschaft keine gleichwertig anerkannte sexuelle Identität.

Experten: Pädophilie ist keine sexuelle Identität

Im Gesetzesentwurf des Bundesrats ist ausdrücklich von „Lesben, Schwulen, Bisexuellen sowie trans-, intergeschlechtlichen und queeren Menschen“ die Rede. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck verwies uns der Bundesrat an den zuständigen Berliner Senat. Dieser betont: Die fragliche Änderung von Artikel 3 „bedeutet nicht die Anerkennung von Pädophilie als sexueller Identität. Diese Auslegung ist falsch.“ Pädophilie sei „nicht vom Begriff der sexuellen Identität erfasst und wird somit nicht von der Erweiterung des Art. 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz […] geschützt“, wie uns ein Sprecher des zuständigen Senats für Gleichstellung (SenASGIVA) mitteilte. Er verweist dazu auf die Gesetzesbegründung, in der steht: „Der Begriff umfasst die emotionale, körperliche und/oder sexuelle Anziehung bezüglich des Geschlechts eines Menschen sowie den Schutz der Sexualität als Selbstverständnis (Identität).“ 

Sigrid Boysen, die an der Hamburger Helmut-Schmidt-Universität unter anderem zum verfassungsrechtlichen Gleichheitsschutz forscht, erklärte in einer Stellungnahme im Bundestag: „Der Gesetzentwurf beschränkt beschränkt sich mit dem Merkmal der sexuellen Identität auf […] die relationale Ebene emotionaler, romantischer oder sexueller Beziehungen zwischen Personen (Hetero-, Homo-, Bi-, Pan- und Asexualität)“. Demnach geht es also nicht um pädophile Neigungen.  

Allerdings kritisierte kürzlich auch Günter Krings, Jurist von der CDU, dass der Begriff „sexuelle Identität“ „rechtstechnisch zu unbestimmt“ sei. Das lade mit Blick auf Pädophilie zu „Auslegungsstreitigkeiten“ ein. Dasselbe Argument findet sich in einem Gast-Beitrag in der Welt von 2023, auf den Anabel Schunke auf unsere Nachfrage verweist. 

Dazu gibt es Gegenstimmen. Dana Valentiner, Rechtsprofessorin an der Helmut-Schmidt-Uni in Hamburg, weist darauf hin, dass der Begriff der sexuellen Identität schon seit Jahren bekannt sei. Er steht etwa im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz und im Betriebsverfassungsgesetz. Der Sinn der Diskriminierungsverbote nach Artikel 3 des Grundgesetzes ist es, „Angehörige strukturell benachteiligter Gruppen zu schützen. Eine allgemeine strukturelle Benachteiligung pädophiler Menschen ist mir bislang nicht bekannt geworden.“ Zu Beschwerden könnte es kommen, diese könnten vorab nicht pauschal beurteilt werden, schreibt Valentiner, doch: Die Erfolgsaussichten schätze sie als gering ein.

Niko Härting, Vorstandsmitglied und Vielfaltsbeauftragter des Deutschen Anwaltvereins, verweist darauf, dass ihm nach 20 Jahren, in denen der Begriff der sexuellen Identität im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz steht, kein Fall bekannt sei, bei dem eine pädophile Person auf Gleichbehandlung geklagt hätte. 

Pädophilie als bloße Neigung ist nicht strafbar

Abgesehen davon: Pädophilie ist nicht gleichzusetzen mit Kindesmissbrauch – diese Gleichsetzung deutet die Petition an, wenn es darin heißt, die Änderung würde „Pädophilie legalisieren“. Pädophilie ist eine sexuelle Präferenzstörung, wie etwa das Netzwerk „Kein Täter werden“ informiert. Wer pädophil ist, wird nicht zwangsläufig zum Missbrauchstäter und Missbrauchstäter sind nicht immer pädophil. Pädophilie als sexuelle Präferenzstörung ist nicht illegal, dementsprechend kann sie nicht legalisiert werden. Vereinfacht gesagt: Wer nicht zum Täter wird, verstößt auch nicht gegen das Gesetz.

Pädosexuelle Handlungen hingegen sind und bleiben strafbar. Rechtsanwalt Härting schrieb uns: „Es geht um den Schutz vor Diskriminierung und nicht um die Abschaffung von Strafnormen.“ Anzunehmen, dass die Änderung pädophilie Handlungen legalisieren soll, sei „blanker Unsinn“. 

Helge Limburg, rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, schreibt ebenso: „Diese Grundgesetzänderung legalisiert auch in keiner Weise pädophile Handlungen. Handlungen, bei denen andere Menschen geschädigt werden, wie z. B. bei pädophilen Übergriffen, sind und bleiben selbstverständlich strafbar.“ 

Härting und Limburg stellen außerdem klar: Durch den Änderungsvorschlag würden biologische Geschlechter nicht abgeschafft. Limburg: „An den bestehenden Geschlechtsangaben im Personenstandsrecht männlich, weiblich, divers und keine Angabe ändert sich nichts.“ Wenn der Vorschlag durchgeht, würden im selben Artikel des Grundgesetzes auch nach der Änderung Begriffe wie Männer und Frauen enthalten sein. 

Wie der Änderungsantrag zustande kam

Der Bundesrat beschloss am 26. September, den Gesetzentwurf einzubringen. Dieser entspricht einem wortgleichen Antrag vom 2. Juli aus Berlin. Der Berliner Senat hatte die Bundesratsinitiative nach Vorlage von Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe aus der SPD entschieden. Laut Helge Limburg haben sich dem Antrag die Länder Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein angeschlossen; Bremen, Hamburg, Niedersachsen und das Saarland seien dem Antrag ebenfalls beigetreten. Am 7. Oktober brachte die Grüne Fraktion einen wortgleichen Antrag im Bundestag ein.

Damit die Grundgesetzänderung in Kraft treten kann, bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und auch im Bundesrat.

Redigatur: Max Bernhard, Gabriele Scherndl

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