Keine Belege, dass ein Markt mit exotischen Tieren in Wuhan der Ursprung des neuen Coronavirus war
Als das neue Coronavirus im Dezember in China ausbrach, war der vermeintliche Ursprung schnell ausgemacht: der Huanan Seafood Market in Wuhan. Dort wurden auch exotische Tiere verkauft. Doch nach weiteren Untersuchungen ist nicht sicher, ob sich das Virus wirklich nur von dem Markt aus verbreitete.
In zahlreichen Medienberichten wird behauptet, die Quelle für das neue Coronavirus sei mutmaßlich ein Markt in Wuhan – der Huanan Seafood Market, der deshalb geschlossen worden sei. Auf dem Markt seien unter anderem exotische Tiere verkauft worden. In einem Artikel von Unser Planet vom 25. Januar ist die Rede von lebenden Koalas, Schlangen, Ratten, Pfauen, Stachelschweinen und Wolfswelpen.
Diese Tiere nannte auch die Bild-Zeitung in einem Text vom 24. Januar. Darin heißt es: „’Delikatessen’, die den Tod bringen können! Experten zufolge tragen Wildtiere Erreger wie das Coronavirus in sich – und offenbar war dieser Markt der Ursprungsort für seine Verbreitung! Die ersten Erkrankten waren Menschen, die dort arbeiteten.“ In einem Bericht der britischen Daily Mail wird zudem behauptet, dass es eine Verbindung zu Fledermaussuppe gebe, die in dem Markt verkauft worden sei.
Die Medienberichte legen nahe, dass der Markt der Ursprung des Ausbruchs des neuen Coronavirus war. Dafür gibt es zwar Anhaltspunkte, aber keine eindeutigen Belege.
Fotos und Produktlisten bei Twitter deuten auf exotisches Sortiment des Huanan Seafood Market hin
Als Beleg dient der Bild-Zeitung ein Artikel der South China Morning Post, der sich auf eine Online-Preisliste des Huanan Seafood Market beruft, sie aber nicht verlinkt. Außerdem verweist Bild auf Fotos eines chinesischen Journalisten auf Twitter, die von dem Markt stammen sollen. Darauf sind eine Liste der angebotenen Produkte sowie verschiedene Marktstände zu sehen. Ein anderer Twitter-Nutzer übersetzte die angebliche Produktliste; darauf würden lebende Sika-Hirsche, lebende Strauße, lebende Pfauen, lebende Zibetkatzen, Krokodilzunge, Kamelfleisch und Bullenhoden genannt.
Ob all diese Tiere wirklich angeboten wurden, kann CORRECTIV nicht verifizieren. Ein Vergleich mit Aufnahmen in Medienberichten legt nahe, dass die Fotos des Journalisten authentisch sind. Allerdings ist unklar, wie alt sie sind. Die abfotografierte Preisliste verweist auf eine gelöschte Webseite: whdaz.com. In einer archivierten Version von 2019 wird klar, dass es sich um einen Händler handelt, der auf dem Huanan-Markt in Wuhan seine Waren verkaufte. Angeboten wurden (laut automatischer Übersetzung) viele der genannten Tiere, darunter auch Wölfe. Allerdings ist nicht die Rede von Koalas oder Schlangen.
Viele am Coronavirus Erkrankte haben eine Verbindung zum Markt, aber nicht alle
Coronaviren werden laut WHO von Tieren auf Menschen übertragen. Es gibt mehrere Arten, darunter SARS (Severe Acute Respiratory Syndrome) und MERS (Middle East Respiratory Syndrome). Das neue Coronavirus ist eine bisher unbekannte Art.
SARS- und MERS-Virus sollen ihren Ursprung in Fledermäusen gehabt haben und auf Märkten durch Zibetkatzen beziehungsweise Dromedare auf Menschen übertragen worden sein.
Bei einer offiziellen Pressekonferenz der chinesischen Regierung am 22. Januar sagte Gao Fu, Direktor des Chinese Center for Disease Control and Prevention, es sei bestätigt, dass das neue Coronavirus auf dem Markt von Tieren auf Menschen übertragen wurde. Von welcher Tierart und auf welchem Weg, sagte er nicht.
Wissenschaftler sehen bisher jedoch keine eindeutigen Belege, dass der Markt die Quelle war. Das medizinische Fachjournal The Lancet hat am 24. Januar zwei Studien von verschiedenen chinesischen Autoren veröffentlicht (hier und hier). In der ersten Studie haben sie herausgefunden, dass von den ersten 41 Personen, bei denen eine Infektion offiziell bestätigt wurde, 27 eine Verbindung zu dem Huanan Seafood Market hatten. Es habe am 31. Dezember eine Epidemie-Warnung von der lokalen Gesundheitsbehörde gegeben und der Markt sei am 1. Januar 2020 geschlossen worden. Es gab jedoch auch Fälle, die keine Verbindung zu dem Markt aufwiesen – so wie der erste bekannte Fall am 1. Dezember 2019.
In der zweiten Studie wurde eine Familie mit sechs Personen aus Shenzhen untersucht, von denen fünf vom 29. Dezember bis 4. Januar zu Besuch in Wuhan waren. Eine weitere Person war nicht in Wuhan und wurde nur durch den Kontakt zu ihren Familienmitgliedern infiziert. Keine der Personen war auf dem Huanan Seafood Market, nur ein Verwandter, den sie besucht hatten, sei auf einem anderen Fleischmarkt (wet market) gewesen, heißt es. Er oder sie sei ebenfalls später erkrankt. Die Ergebnisse der Studie seien ein Zeichen dafür, dass eine Übertragung des Virus von Mensch zu Mensch möglich sei.
Aufgrund der Auswertungen in The Lancet gibt es unter Wissenschaftlern Zweifel daran, ob der Markt wirklich der einzige Ausgangspunkt für das Virus war. Es sei auch möglich, dass jemand außerhalb des Marktes infiziert wurde und das Virus dorthin brachte.
Übertragungsweg beim neuen Coronavirus noch unklar
Das deutsche Robert-Koch-Institut informiert auf seiner Webseite (Stand 24. Januar), dass viele Eigenschaften des Virus noch unbekannt seien, zum Beispiel „wie leicht es übertragen wird, wie schwer die Krankheiten verlaufen, in welchem Tier es vorkommt, und was die genaue Quelle des Ausbruchs war“. Auf der Webseite des European Centre for Disease Prevention and Control heißt es (Stand: 27. Januar), die Quelle für die Ansteckung sei noch unbekannt.
In einem Kommentar zu den Ergebnissen der zwei bei The Lancet veröffentlichten Studien schreibt WHO-Experte David Heymann, sie zeichneten das Bild eines Virus mit drei bis sechs Tagen Inkubationszeit, das Fieber, Muskelschmerzen und Husten auslöse, mit oder ohne Durchfall oder Kurzatmigkeit. Die Studien belegten, dass eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich sei, aber der genaue Übertragungsweg lasse sich damit noch nicht beweisen. Sie seien nur zwei Puzzleteile unter all den Informationen, mit denen die WHO gerade versuche, das gesamte Bild zusammenzusetzen.
Keine Belege für Übertragung durch Fledermaussuppe
Auf Nachfrage von CORRECTIV sagte Heymann uns am Telefon, es gebe bisher keinen Beleg, nur Indizien, dass die Übertragung von Tieren auf Menschen geschah. Um sicher zu sein, seien Kontrollstudien nötig. In Bezug auf Medienberichte über den Verkauf von Fledermaussuppe in dem Markt betonte er: „Menschen infizieren sich nicht, indem sie gekochtes Fleisch essen.“ Es sei aber theoretisch möglich, dass Fledermäuse andere Tiere auf dem Seafood Market infiziert hätten, die dann wiederum Menschen auf dem Markt ansteckten.
Eine Ansteckung sei bei der Schlachtung möglich, wenn man direkt in Kontakt mit Blut komme, oder rohes Fleisch esse. Die Übertragung des Virus unter Menschen geschehe nach aktuellem Wissensstand nur über engen intimen Kontakt oder Tröpfcheninfektion, also wenn jemand einem anderen direkt ins Gesicht niese oder huste. Auch das sei jedoch noch wenig erforscht.
Update, 31. Januar 2020: Am 27. Januar berichtete die chinesische staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, Experten des Chinese Center for Disease Control and Prevention hätten in 33 von 585 Umweltproben, die auf dem Markt genommen wurden, das Virus nachgewiesen. 31 der 33 positiven Proben stammten demnach aus einem Teil des Marktes, in dem Wildtiere verkauft wurden. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Markt und Tiere bei der Ausbreitung des Virus eine Rolle spielten. Da viele der ersten Infizierten keinen Kontakt zu dem Markt hatten, bleibt jedoch unklar, ob er der Ursprung des Virus war.