Migration

Verkürztes Sat1-Video über Flüchtlingsfamilie verbreitet sich

Ein Video über eine elf-köpfige Flüchtlingsfamilie wird wieder geteilt. Das Video ist echt, aber tendenziös verkürzt.

von Tania Röttger

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Die Familie in ihrer Wohnung. Screenshot von Youtube
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Teilweise falsch
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Kontext fehlt. Das Video ist ein Zusammenschnitt eines Beitrags – einordnende Stimmen wurden entfernt.

Mehr als 60.000 Mal haben Leute auf Facebook einen Post vom 18. April 2018 geteilt, in dem ein Facebook-Nutzer schreibt: „Während deutsche Rentner im Müll nach Pfandflaschen suchen: SO lebt eine syrische Großfamilie mit 11 Kindern auf 220qm und 5239 Euro. Für lau. Bitte teilt diesen WAHNSINN!!!!!“

Der Beitrag bezieht sich auf ein Video, in dem eine syrische Flüchtlingsfamilie vorgestellt wird. Eine Männerstimme erzählt von der Wohnung (220 Quadratmeter, 1200 Euro pro Monat) und dem Geld, das die Familie erhält (nach Abzug der Miete rund 4000 Euro, Sozialleistungen und Kindergeld). Er erzählt auch von der einstigen Arbeit des Vaters, der früher als Postzusteller gearbeitet habe, was aber an „seinen mangelnden Deutschkenntnissen gescheitert“ sei. Dann sieht man einen Journalisten, der mit der Familie auf dem Sofa sitzt. Später äußern sich Menschen in der Leipziger Fußgängerzone kritisch über den Fall, ein Sat1-Mikrofon taucht dabei im Bild auf.

Screenshot des Facebook-Posts, der seit verganenem Jahr mehr als 60.000 Mal geteilt wurde.

Das Video ist ein Zusammenschnitt aus einem Beitrag des „Sat1-Frühstücksfernsehen“, der am 31. März 2018 auf Youtube veröffentlicht wurde. Darüber haben wir im Mai 2018 in einem Faktencheck berichtet. Inzwischen ist das Video dort nicht mehr verfügbar. Der Kanal des „Frühstücksfernsehens“ hat es wohl entfernt.

Auf Anfrage bestätigt Sat1-Sprecherin Sandra Scholz: „Wir haben das Video gesperrt, um weiteren Missbrauch zu unterbinden und auch, um die Familie zu schützen.“

Das geschah als Reaktion auf die verkürzte Version, die weiterhin auf Youtube und Facebook verbreitet wird. Doch nun können Interessierte die Original-Version nicht mehr ansehen. Aufgrund unseres früheren Artikels können wir hier aufzählen, was in der Kurzversion fehlt.

Die Stimme aus dem Off gibt es auch im Original, genau wie die kritischen Bürger in der Innenstadt. Allerdings fehlen Details und Stellungnahmen, die ein ausgewogeneres Bild entstehen lassen.

Das Originalvideo

Im Original kommt der Vater selbst zu Wort. Er sagt über die Zahlung von 5239 Euro: „Das ist für mich zu viel, weil wir wollen ja unser Geld nicht beim Arbeitsamt kriegen. Wir wollen das selber kriegen, und ich will gerne arbeiten.“ Er mache gerade einen Deutschkurs.

Screenshot aus der Originalversion des Videos, das inzwischen nicht mehr öffentlich ist.

Auch das Interview mit einer Tochter wurde herausgeschnitten. Sie spricht gut Deutsch und macht gerade ein Freies Soziales Jahr in einem Kindergarten.

Ebenso zeigt der Ausschnitt nur Stimmen von Bürgern, die den Fall kritisieren. Bürger, die Verständnis zeigen, fehlen. So sagt eine Frau im Original-Beitrag: „Wenn man die Menschen integrieren will, dann muss man sie wahrscheinlich auch erstmal finanziell unterstützen.“

Und ein Mann sagt: „Es ist auch eine große Summe, aber wenn man es dann wirklich mal runterrechnet auf die Situation, dann relativiert sich das sehr stark.“

Viel Geld?

Pro Person gerechnet bekommt die Familie 410 Euro. Wenn eine deutsche Familie in derselben Situation wäre, bekäme sie denselben Betrag. Auch das kommt im Sat1-Video vor. Dort sagt Brigitte Laux vom Landkreis Leipzig: „Dieser Sozialhilfesatz ist Grundsicherung, und Grundsicherung gilt für alle gleich.“ Dieser Teil fehlt aber bei dem Ausschnitt.

Sat1 geht gegen gekürztes Video vor

Als wir Sat1 im Mai 2018 zu dem Video befragten, distanzierte sich Sandra Scholz davon per Email: „Es wurden Teile des Beitrags ohne unsere Zustimmung und vor allem tendenziös neu zusammengeschnitten, wovon wir uns klar distanzieren. Das Video muss umgehend gelöscht werden. Wir haben den Fall an unsere Rechtsabteilung übergeben.“

Da das Video nun wieder die Runde macht, haben wir nachgefragt, was die Rechtsabteilung unternommen hat. Scholz schrieb daraufhin, Sat1 habe den AfD Kreisverband Vorpommern wegen des gekürzten Videos abgemahnt, der daraufhin eine Unterlassungserklärung abgebeben hat. Der Grund: die „unerlaubte Nutzung des Materials“.

Sat1 wolle auch weitere Facebook-Nutzer kontaktieren, damit diese das Video entfernen. Scholz schreibt: „Wir sind dankbar über jeden Hinweis von anderen Usern oder Zuschauern, die uns auf derartige Posts oder Videos hinweisen, damit wir sie überprüfen und ggf. dagegen vorgehen können.“

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