Nein, die Regierung will keine Polygamie einführen oder Menschen mit unklarer Identität einbürgern
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft behauptete auf Facebook, in Zukunft sei Einbürgerung trotz Polygamie und ungeklärter Identität möglich. Grund sei ein Änderungsentwurf zum Staatsangehörigkeitsgesetz. Das ist zugespitzt und aus dem Kontext gerissen.
Billigt die Bundesregierung in Zukunft Polygamie in Deutschland und bürgert Menschen mit ungeklärter Identität ein? Seit zwei Wochen wird im Netz über diese Fragen diskutiert. Ausgelöst wurde die Debatte durch einen Bericht der Welt am Sonntag vom 5. Mai über einen Anfang April von der Bundesregierung beschlossenen Entwurf zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes. Denn der enthält kein ausdrückliches Einbürgerungsverbot für Personen, die mehrfach verheiratet sind.
Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), verlinkte am 5. Mai auf seiner Facebook-Seite den Welt am Sonntag-Bericht und behauptete, künftig sei eine Einbürgerung trotz Mehrfachehe und auch bei ungeklärter Identität möglich. Sein Beitrag wurde bisher etwa 11.200 Mal geteilt.
Am 17. Mai hat der Bundesrat einen weiteren Änderungsantrag beschlossen. Sollte der Bundestag ebenfalls zustimmen, wird dem Staatsbürgerschaftsgesetz die Bedingung hinzugefügt, dass eine einzubürgernde Person nicht mehr als einmal verheiratet sein darf.
Doch wie ist die aktuelle Rechtslage zu den zwei Punkten, der Mehrehe und der Identitätsfeststellung? CORRECTIV hat das überprüft.
Rechtslage zur Mehrehe und Einbürgerung
Eine weitere Person zu heiraten, obwohl man schon verheiratet ist, ist in Deutschland verboten und gilt als Straftat. Eine bereits bestehende Mehrehe kann außerdem ein Hindernis für die Einbürgerung sein. Sie schließt diese nach aktueller Rechtslage aber auch nicht absolut aus. Das zeigt ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig von Mai 2018. Auf Nachfrage von CORRECTIV, ob eine Einbürgerung in Deutschland trotz Mehrehe rechtlich möglich sei, verwies das Bundesinnenministerium als Antwort auf diese Entscheidung im Fall eines Syrers. Ihm wurde die Einbürgerung nachträglich aberkannt, die er durch eine Ehe mit einer Deutschen erlangt hatte, weil bekannt wurde, dass er eine Zweitfrau in Syrien hatte. Das Gericht urteilte jedoch, dass er unter bestimmten Bedingungen trotzdem eingebürgert werden könne.
Um das zu verstehen, muss man wissen, dass es verschiedene Arten der Einbürgerung gibt, die an unterschiedliche Bedingungen geknüpft sind. Ehepartner von Deutschen können laut § 9 des Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) eingebürgert werden, wenn „gewährleistet wird, dass sie sich in die deutschen Lebensverhältnisse einordnen“. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Mehrehe mit dieser Bedingung nicht vereinbar: „Eine rechtswirksam im Ausland eingegangene weitere Ehe schließt (…) eine privilegierte Einbürgerung von Ehegatten Deutscher nach § 9 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) mangels Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse aus.“
Die zweite Art der Einbürgerung, die sogenannte Anspruchseinbürgerung, sei aber trotzdem möglich. Die Anspruchseinbürgerung ist unabhängig vom Ehepartner und setzt unter anderem voraus, dass die Person bereits acht Jahre in Deutschland lebt, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten kann und sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt. Letztere umfasst nach Auffassung des Gerichts nicht das Prinzip der Einehe. Somit stehe die Mehrehe einem grundsätzlichen „Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und damit einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG nicht entgegen“.
Nach aktueller Rechtslage ist es also unter bestimmten Umständen möglich, dass eine Person eingebürgert wird, obwohl sie eine Mehrehe führt. Das Bundesverwaltungsgericht verwies 2018 in seinem Urteil aber auch ausdrücklich auf die Möglichkeit des Gesetzgebers, das Staatsbürgerschaftsgesetz zu ändern. Er könne die Anspruchseinbürgerung ebenfalls an die Bedingung knüpfen, dass Betroffene sich zur „Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse“ bekennen.
Forderungen der Innenministerkonferenz
Um diese Änderung dreht sich die aktuelle Debatte. Bereits im Juni 2018 hatte die Innenministerkonferenz das Bundesinnenministerium aufgefordert, das Staatsbürgerschaftsgesetz zu ändern. Sie forderten, „die gesicherte Klärung der Identität und der Staatsangehörigkeit“ und „die Einordnung in die deutschen Lebensverhältnisse, insbesondere die Beachtung des Verbots der Viel- und Mehrehe“ als Bedingungen für eine Einbürgerung aufzunehmen.
Diese zwei Aspekte kommen jedoch im aktuellen Gesetzentwurf nicht vor. Der Sprecher des Justizministeriums, Piotr Malachowski, sagte auf Nachfrage von CORRECTIV, sein Haus lehne die Vorschläge des Innenministeriums nicht ab, müsste sie aber zunächst gründlich prüfen. Dafür gebe es derzeit keine Kapazitäten. Die Streichung sei eine Frage der Prioritätensetzung gewesen. Das Ganze sei aufgeschoben worden, aber „nicht vom Tisch“.
Das deckt sich mit einer Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums vom 6. Mai: Das BMI plane „zügig“ weitere Änderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes, mit denen die Forderungen der Innenministerkonferenz umgesetzt werden sollen. Die Deutsche Presse-Agentur berichtete über einen geplanten Gesetzentwurf im Herbst. Am 17. Mai beschloss der Bundesrat zudem einen entsprechenden Änderungsvorschlag, den das Land Schleswig-Holstein eingebracht hatte.
Innenministerium und Statistisches Bundesamt: Keine Daten
Wie viele Fälle von Einbürgerungen trotz Mehrehe es in Deutschland gibt, ist dem Bundesinnenministerium nach eigenen Angaben nicht bekannt: Es lägen „mangels statistischer Erfassung keine Zahlen zu in der Vergangenheit erfolgten Einbürgerungen trotz Mehrehe“ vor, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, Stefan Ruwwe-Glösenkamp auf Nachfrage von CORRECTIV.
Auch das Statistische Bundesamt hat dazu nach eigenen Angaben keine Informationen: „Aus unseren Daten der Einbürgerungsstatistik können wir nur den Familienstand der eingebürgerten Personen auswerten. Ob Personen eine Mehrehe führen, ist aus diesen Daten nicht erkennbar.“ Und auch die Daten des Ausländerzentralregisters zur in Deutschland lebenden ausländischen Bevölkerung könnten nur Auskunft über den Familienstand ohne Hinweis auf Mehrehen geben.
Und was ist mit der Identitätsfeststellung?
Der Polizeigewerkschafter Rainer Wendt behauptete zudem auf Facebook, eine Einbürgerung sei auch trotz ungeklärter Identität möglich. Auf Nachfrage von CORRECTIV sagte Innenministeriums-Sprecher Ruwwe-Glösenkamp, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 1. September 2011) sei es eine „unverzichtbare Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung“, dass die Identität der Person geklärt sei.
In der Praxis könne es allerdings zu Fehlern kommen, so Ruwwe-Glösenkamp. „Die Frage, welcher Maßstab bei der Identitätsklärung zugrunde zu legen ist, wird von den Einbürgerungsbehörden teilweise unterschiedlich gehandhabt.“ Dabei gehe es zum Beispiel darum, welche Nachweise im Einzelnen als ausreichend angesehen würden und inwieweit Flüchtlingen Beweiserleichterungen eingeräumt werden, wenn sie aus Herkunftsländern stammen, mit denen keine Klärung von Personenstandsfragen möglich ist. In der Praxis einzelner Einbürgerungsbehörden werde davon ausgegangen, dass die Angaben einer Person glaubhaft seien, wenn sie bereits viele Jahre „widerspruchsfrei“ in Deutschland lebte. Die Prüfung der Identität beruhe dann „letztlich aber ausschließlich auf den eigenen Angaben des Betroffenen und ist damit fehleranfällig“.
In wie vielen Fällen jemand eingebürgert wurde, obwohl seine Identität nicht völlig geklärt war, dazu habe das Innenministerium keine statistische Angaben, sagt der Sprecher. „Allerdings stehen wir unter anderem durch regelmäßige gemeinsame Besprechungen in ständigem Kontakt zu den Einbürgerungsbehörden. Uns ist die unterschiedliche Praxis also bekannt.“
Fazit: Rechtslage bisher unverändert
Mehrehen sind in Deutschland bereits jetzt verboten und laut Rechtsprechung auch ein schwerwiegendes Hindernis für die Einbürgerung. Allerdings ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass jemand die deutsche Staatsbürgerschaft erhält, der mehrfach verheiratet ist. Eine Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes könnte das ändern.
Bei der Identität ist die Rechtslage dagegen bereits jetzt eindeutig: Vor einer Einbürgerung muss die Identität geklärt sein. In der Praxis kann es laut Bundesinnenministerium jedoch zu Fehlern kommen.
An der Aussage des Polizeigewerkschafters Rainer Wendt auf Facebook ist vor allem die Verwendung des Wortes „künftig“ irreführend. Denn es suggeriert, dass mit dem Gesetzentwurf bestehendes Recht in Deutschland geändert werden solle, so dass Einbürgerung trotz Polygamie oder ungeklärter Identität erleichtert würde. Das ist nicht der Fall.