Migration

Nein, ein Syrer mit vier Frauen und 23 Kindern bekommt nicht monatlich 30.000 Euro Sozialhilfe

Im Jahr 2016 wurde in einem Artikel behauptet, eine syrische Großfamilie bekomme jeden Monat 30.000 Euro Sozialhilfe. Die Geschichte ist alt, aber wird derzeit wieder auf Facebook verbreitet. Falsch ist die Zahl immer noch.

von Alice Echtermann

christian-dubovan-686398-unsplash
Seit Jahren kursiert im Netz das Gerücht, eine syrische Großfamilie bekomme im Jahr 360.360 Euro Sozialhilfe. (Symbolbild, Quelle: Christian Dubovan / Unsplash)
Bewertung
Falsch. Eine Großfamilie wie in diesem Fall würde laut Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit monatlich etwa 10.000 Euro Sozialhilfe bekommen.

Bereits 2017 veröffentlichte das Faktencheck-Team von CORRECTIV einen Artikel über den Fall eines Syrers mit vier Frauen und 23 Kindern, die laut Behauptungen im Internet monatlich 30.000 Euro Sozialhilfe erhalten haben sollen. Das Ergebnis der Recherche: Die Zahl stimmt so nicht.

Die Geschichte hat ihren Ursprung 2016, als erstmals Medien wie Bild und Rhein-Zeitung über die syrische Familie berichteten, die 2015 nach Montabaur in Rheinland-Pfalz kam. Am 14. Mai 2019, fast drei Jahre später, veröffentlichte die Facebook-Seite „Wir haben die Schnauze voll“ ein Bild eines Zeitungsartikels des Wetzlar-Kuriers mit der Überschrift „30.000 Euro monatlich für syrische Großfamilie“. Dazu den Kommentar: „Ist das normal? Es muss auch mal Schluss sein. Unsere Sozialkassen werden geplündert und beraubt.“

Der Beitrag der Facebook-Seite „Wir haben die Schnauze voll“ vom 14. Mai 2019 zeigt ein Foto eines Zeitungsartikels im Wetzlar-Kurier von 2016. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Behauptung, die Familie bekomme 30.000 Euro, stammt von einem Autor auf der Webseite des „Deutschen Arbeitgeberverbands“. Es handelt sich dabei um einen Verein, der nichts mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu tun hat. Im Artikel von Oktober 2016 heißt es: „Interessant (…) ist, dass man in Syrien eine so große Familie haben kann, ohne dass der Staat irgendetwas dazugibt – während man in Deutschland mit dem Modell 4 Frauen und 23 Kinder 30.030 € = (im Jahr 360.360 €) Geld- und Sachleistungen leistungslos erhalten kann.“ Die Redaktion des Wetzlar-Kurier übernahm diese Zahlen etwa einen Monat später für einen Artikel ohne Angabe einer Quelle, wie CORRECTIV 2017 herausfand.

Bundesarbeitsagentur hat den Fall berechnet

Auf eine Presseanfrage von CORRECTIV teilt die Bundesagentur für Arbeit mit, sie habe den Fall bereits 2017 detailliert berechnet. Laut den Medienberichten von 2016 waren 22 der 23 Kinder der Familie in Deutschland. Sie lebten aber nicht alle zusammen, sondern in vier separaten Bedarfsgemeinschaften, verteilt auf verschiedene Orte.

Die Arbeitsagentur geht in ihrer Berechnung davon aus, dass alle 23 Kinder minderjährig sind und in Deutschland leben. Die Kosten der Unterkunft seien kommunale Angelegenheiten, daher könne man diese „nur überschlagsweise ermitteln“, sagt Sprecherin Vanessa Thalhammer. Die Quelle für die Daten seien die jeweiligen Jobcenter.

Ausgehend davon habe die Arbeitsagentur berechnet, wie viel Sozialhilfe die Familie nach den Regelsätzen ab dem 1. Januar 2017 hätte bekommen können. In der Bedarfsgemeinschaft mit Mann und Frau bekommen beide zusammen 736 Euro Hartz-IV-Leistungen. Die drei weiteren Frauen bekommen jeweils 409 Euro Regelbedarf und 143,15 Euro Mehrbedarf, also insgesamt 1656,45 Euro. Der Mehrbedarf ergibt sich aus der Tatsache, dass der Mann nicht bei ihnen wohnt.

Auszug aus der Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf die Presseanfrage von CORRECTIV. Zu sehen ist die Berechnung für Hartz IV-Leistungen. (Screenshot: CORRECTIV)

Hinzu kommt noch die Sozialhilfe für die Kinder. „Bei den 23 Kindern, die unter 18 Jahre alt sind, werden der höchste Regelbedarfswert mit 311,00 EUR und das Kindergeld mit 192,00 EUR für das erste Kind angesetzt“, heißt es in der Berechnung der Arbeitsagentur. Somit werde der höchstmögliche Bedarf berechnet. Dieser liege bei insgesamt 3105 Euro.

Maximal 10.000 Euro insgesamt

Zusätzlich erhalte jede Bedarfsgemeinschaft noch Unterstützung für Unterkunft und Heizung. „Konkrete Angaben liegen nicht vor“, teilt das Arbeitsamt mit. „Es ist auch nicht bekannt, wie viele Kinder in den jeweiligen Haushalten leben.“ Deshalb habe man bei den vier Bedarfsgemeinschaften die Kinder gleichmäßig aufgeteilt. Das ergebe vier Haushalte mit einmal acht, zweimal sieben und einmal sechs Personen.

Für drei Haushalte würden die Werte der Stadt Koblenz angenommen, für den vierten die Werte des Kreises Mayen-Koblenz. Ein Haushalt mit sieben Personen habe den Berechnungen zufolge einen Bedarf von 1112,88 Euro für Kaltmiete, Nebenkosten und Heizkosten. Ein Haushalt mit mehr als sieben Personen sei in den Berechnungen der Jobcenter nicht vorgesehen. Für die achte Person in der einen Bedarfsgemeinschaft nehme das Jobcenter aber 418,72 Euro zusätzlich an. Der Haushalt mit sechs Personen im Kreis Mayen-Koblenz bekomme 808,01 Euro.

All diese Leistungen addiert ergeben 10.062,82 Euro. Dafür seien überall die maximal möglichen Bedarfe angenommen worden, sagt Thalhammer. Zudem ging die Arbeitsagentur bei ihrer Berechnung sogar von 23 minderjährigen Kindern in Deutschland aus, was dem Bericht der Bild zufolge nicht der Realität entsprach.

Somit ist die Angabe von 30.000 Euro Sozialhilfe für die Familie falsch. Es sei „ungefähr von einem 1/3 der angegebenen Kosten auszugehen“, sagt Thalhammer. „Zu berücksichtigen ist auch, dass es sich um Ansprüche für 28 Personen handelt, die zudem auch in vier verschiedenen Haushalten leben.“ Die Sprecherin betont, dass diese Ansprüche auch für Familien gelten würden, die in Deutschland geboren sind.

Auch Asylbewerberleistungen sind nicht so hoch

Auch nach dem Asylbewerberleistungsgesetz hätte die Familie nicht 30.000 Euro monatlich bekommen können. Auf eine Presseanfrage von CORRECTIV teilte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit, dass die Bezüge der höchsten Bedarfsstufe 354 Euro pro Person betragen. Das Landesministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz habe mitgeteilt, es könne „auch ohne die genauen Ansprüche der Familie zu kennen (…) eine solche Summe ausschließen.“

Ministeriumssprecher Dominik Ehrentraut: „Ein Anspruch von 30.000 Euro monatlich würde bedeuten, dass jedes der 28 Familienmitglieder mehr als 1.000 Euro im Monat erhielte. Ausgehend von den tatsächlichen Regelbedarfen könnten die behaupteten Zahlungen nicht zutreffend sein.“