Keine Belege, dass Grüne an „Schleuserei von Migranten“ beteiligt sind
Civilfleet sitze im Haus der Grünen-Geschäftsstelle und ein Grünen-Politiker sei Gründer und Vorsitzender des Seenot-Rettungsvereins: Ein Artikel mit der Behauptung, dies überführe die Grünen der „Schleuserei“, wird aktuell wieder geteilt. Er stammt vom vergangenen Jahr.
Ein Artikel mit der Behauptung, die Grünen betätigten sich als „Schlepper“, „Fluchthelfer“ und „Schleuser“, wurde im Juli 2019 laut dem Analyse-Tool Crowdtangle rund 1.100 Mal in sozialen Medien geteilt, zum Beispiel am 13. Juli in einer Facebook-Gruppe. Der Vorwurf ist nicht neu: Der Text war vor einem Jahr auf der Internetseite Politikstube veröffentlicht worden. 2018 waren weitere Beiträge zu diesem Thema geteilt worden, zum Beispiel von Journalistenwatch und den Seiten der AfD auf Facebook sowie Twitter.
Civilfleet-Mitgründer möchte Herausgabe von privater Adresse vermeiden
Die Behauptung, die Grünen seien als „Schlepper“ aktiv, leiten die Artikel aus der Tatsache ab, dass im Impressum des Seenot-Rettungsvereins Civilfleet die Grünen-Geschäftsstelle am Platz vor dem Neuen Tor 1 in Berlin-Mitte angegeben wird. Civilfleet war 2018 neu gegründet worden.
In der Eintragung im Vereinsregister, die CORRECTIV vorliegt, ist nicht die Adresse der Grünen-Geschäftsstelle angegeben. Der Europa-Abgeordnete und Civilfleet-Mitgründer Erik Marquardt (Grüne) veröffentlichte am 12. Juli 2018 einen Tweet, in dem er angibt, er nutze die Adresse der Grünen-Geschäftsstelle, um die Herausgabe seiner Privatadresse zu verhindern.
Marquardt bestätigt das in einer E-Mail an CORRECTIV: „Ich bekomme regelmäßig ernsthafte Drohungen, stehe auf rechten Hitlists und muss vermeiden, dass meine Privatadresse öffentlich wird.“ Deswegen habe er „mit der Poststelle der Grünen Partei seit 2015 den Deal, dass sie meine Post an meine Privatadresse weiterleiten.“
Keine Verbindungen zwischen Partei und Verein
Der für den Verein verantwortliche Marquardt wird in dem Beitrag von Politikstube 2018 als „ein hoher Grünen-Funktionär“ bezeichnet. Der heute 31-Jährige war unter anderem von 2013 bis 2015 politischer Geschäftsführer und Sprecher der Grünen Jugend. Im Mai 2019 wurde Marquardt für seine Partei ins Europaparlament gewählt.
Auch als der Verein 2018 entstand, sei er bei der Partei aktiv gewesen, teilt Marquardt CORRECTIV am Telefon mit. Seit 2015 sei er „im Parteirat der Grünen tätig“ gewesen. Dabei habe es sich um ein Ehrenamt gehandelt, „etwa drei bis vier Stunden im Monat“ habe er in die Tätigkeit investiert.
Jedoch gebe es „keinerlei Verknüpfung zwischen dem Verein und der Partei, weder strukturell noch inhaltlich“, so Marquardt. Auch Simon Zunk, stellvertretender Pressesprecher der Grünen, teilt CORRECTIV am Telefon mit, zwischen Civilfleet und der Partei „gibt es keine Verbindung“.
Keine Hinweise, dass Civilfleet Profite erwirtschaftet
Die geteilten Beiträge legen zudem durch den Begriff „Schlepperei“ nahe, der Verein verdiene mit der Seenotrettung Geld, der AfD-Facebook-Beitrag spricht vom Einstieg der Grünen ins „lukrative Schleusergeschäft“.
Die UN definiert Schlepperei in einem 2004 in Kraft getretenen Zusatzprotokoll (PDF), das in das „Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität“ (PDF) aufgenommen worden ist. Schlepperei sei die „Herbeiführung der illegalen Einreise einer Person in einen UN-Vertragsstaat „mit dem Ziel, sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen materiellen Vorteil zu verschaffen“ (PDF, S. 3).
Der Trägerverein von Civilfleet ist allerdings ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Hamburg (PDF, S. 1). Der 2018 von einem Hamburger Finanzamt ausgestellte Gemeinnützigkeitsbescheid von Civilfleet-Support e.V. liegt CORRECTIV vor. Die Vereinssatzung legt fest, dass Gelder ausschließlich zum „genannten gemeinnützigen Zweck“ verwendet werden dürfen. Das ist laut Satzung „die Förderung der Rettung von Menschen aus Lebensgefahr“ und „die Förderung der Bildung sowie die Förderung bürgerschaftlichen Engagements zu Gunsten gemeinnütziger Zwecke.“ Überschüsse dürfen nicht an Mitglieder ausgezahlt werden.