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„Sea-Watch 3“: Keine Belege dafür, dass „Panorama“-Dokumentation „inszeniert“ war

Die Webseite „Journalistenwatch“ spekuliert, die Rettungsaktion der „Sea-Watch 3“ sei inszeniert gewesen. Geteilt wurde der Artikel unter anderem vom ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten – obwohl es keine Belege dafür gibt. Stattdessen sprechen zahlreiche Indizien für die Darstellungen von Sea-Watch und Panorama.

von Till Eckert

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Ein Ausschnitt aus der „Panorama“-Dokumentation, der die Rettung der ursprünglich 53 Migranten und Flüchtenden aus einem Schlauchboot zeigt. (Screenshot: CORRECTIV)
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Unbelegt. Es gibt keine Belege dafür, dass die Doku von „Panorama“ über die Rettung von Flüchtenden inszeniert war.

War die Seenotrettung flüchtender Menschen durch die „Sea-Watch 3“ nichts als eine „riesige Medienshow“? Das zumindest fragt die Webseite Journalistenwatch in einem Artikel vom 14. Juli. „Was sich hier abzeichnet, ist ein ungeheuerlicher Skandal. Handelte es sich bei der ganzen Fahrt der Sea-Watch bis hin zur Verhaftung der Kapitänin etwa um nichts weiter als ein geniales Propagandastück? Immer mehr deutet zumindest darauf hin“, leitet die Webseite in den Text ein. 

Der Beitrag von „Journalistenwatch“. (Screenshot: CORRECTIV)

Rückschauend, so schreibt Journalistenwatch weiter, gleiche die Aktion einer „Inszenierung“ mit dem „von vornherein geplanten Ziel, um jeden Preis auf Konfrontation mit den italienischen Behörden zu gehen“. Schließlich werden noch weitere Fragen aufgeworfen; zum Beispiel ob die Flüchtenden „extra für die Reportage aufs Meer gebracht“ wurden und wieso „erst jetzt“ bekannt werde, dass ein deutsches Fernsehteam an Bord war.

Auszug aus dem Artikel von „Journalistenwatch“. (Screenshot: CORRECTIV)

Der Artikel wurde laut dem Analyse-Tool Crowdtangle bisher mehr als 750 Mal auf Facebook geteilt und auf Twitter unter anderem vom ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen verbreitet. Der hat seinen Tweet mittlerweile wieder gelöscht

Der Text von Journalistenwatch erschien im selben Wortlaut auf der Webseite „Telegra.ph“, als Autor wird hier Daniel Matissek angegeben. Diese Version wurde mehr als 14.900 Mal auf Facebook geteilt, unter anderem vom AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz.

Hans-Georg Maaßens Tweet zum Artikel von „Journalistenwatch“. (Screenshot: Ruprecht Polenz auf Twitter)

Wie begründet Journalistenwatch die Spekulationen?

Hintergrund ist eine rund 20-minütige Dokumentation der ARD-Sendung Panorama über die letzte Mission der „Sea-Watch 3“, an deren Ende die Kapitänin Carola Rackete in Italien festgenommen wurde. Zwei Reporter des TV-Magazins waren laut Panorama vom 9. Juni, als das Schiff den Hafen in Sizilien verlassen habe, bis 29. Juni, als es in Lampedusa an Land ging, an Bord. 

Im Panorama-Beitrag ist zu sehen, wie das Suchflugzeug „Colibri“ der französischen Organisation „Pilotes Volontaires“ per Funk Informationen zum Standort von Flüchtenden an die „Sea-Watch 3“ durchgibt. Kurz darauf birgt die „Sea-Watch 3” zunächst 53 Flüchtende aus einem Schlauchboot, darunter auch ein Baby. Später ist zu sehen, wie Rackete ein Telefonat mit einer italienischen Rettungsleitstelle führt und darum bittet, dass die Menschen abgeholt werden. Es wird gezeigt, wie italienische Polizisten Rackete eine Warnung des italienischen Innenministers Matteo Salvini überbringen und wie Behörden ihr später sagen, es zeichne sich „eine Lösung“ ab. Die Doku endet mit der Festnahme Racketes 17 Tagen nach der Aufnahme der Flüchtenden.

Carola Rackete beim Unterzeichnen eines Schreibens von Italiens Innenminister Matteo Salvini. (Screenshot: CORRECTIV)

Journalistenwatch suggeriert, der Hilferuf und die Rettung der Flüchtenden seien kein Zufall gewesen, sondern für den Fernsehbeitrag inszeniert. Der Artikel liefert für solche Spekulationen jedoch keine Quellen oder mögliche Belege, die über das im Panorama-Beitrag Gezeigte hinausgehen. Wer hinter einer solchen Inszenierung stecken könnte, wird offen gelassen. 

Panorama reagiert auf Kritik – Journalistenwatch stellt falsche Behauptung zum Einlaufen in Lampedusa auf

In einem Beitrag vom 14. Juli reagiert Panorama unter anderem auf die Behauptung, es sei „erst jetzt ans Licht gekommen, dass ein deutsches Fernsehteam an Bord war“. Das stimme nicht; die beiden Reporter hätten schon vor dem Einlaufen der „Sea-Watch 3“ auf Lampedusa in der Nacht vom 28. auf den 29. Juni von Bord berichtet. Tatsächlich gab es etwa in der Tagesschau vom 26., 27. und 28. Juni Beiträge von Bord, am 6. Juli berichtete eine Reporterin außerdem bei NDR Info rückblickend über ihre Erlebnisse, wie Panorama CORRECTIV auf Nachfrage mitteilte.

Zur Frage, ob die Flüchtenden extra für die Reportage aufs Meer gebracht wurden, sagt Panorama-Redaktionsleiter Volker Steinhoff CORRECTIV am Telefon: „Umgekehrt macht das Sinn: Natürlich sind unsere Reporter für eine mögliche Dokumentation auch deshalb an Bord gegangen, weil man statistisch geradezu davon ausgehen kann, dass man im Mittelmeer auf Menschen stößt, die Rettung brauchen.“ 

In einem Bericht des UN-Flüchtlingskommissars zur Lage im Mittelmeer heißt es unter anderem, 2018 seien in Italien 23.400 Flüchtende über das Mittelmeer angekommen – das sind im Schnitt 64 Menschen am Tag, die zuvor auf dieser Route auf hoher See waren. Die Chance, auf dieser Route Menschen in Seenot anzutreffen, ist demnach hoch, das gilt auch für den Tag der Bergung der 53 Menschen durch die „Sea-Watch 3“ am 12. Juni.

Suchflugzeug informierte die Behörden

José Benavente, Pilot des Suchflugzeugs „Colibri“, das in diesem Tag über das Mittelmeer flog, teilt CORRECTIV per Whatsapp mit: „Wir sind am Morgen des 12. Juni, wie wir es immer tun, nach einem strengen Protokoll vorgegangen. Wir haben die Behörden informiert und zusätzlich Schiffe in nächster Umgebung. In diesem Fall war die ‘Sea-Watch 3’ als das einzige Schiff im Areal.“

In der Panorama-Doku wird ebenfalls kurz erwähnt, die „Sea-Watch 3“ sei an diesem Tag das einzige Rettungsschiff auf dem Mittelmeer gewesen. Das stimmt, wie sich Daten der Plattform „Marine Traffic“ entnehmen lässt (kostenpflichtig). CORRECTIV hat damit verglichen, wo sich am 12. Juni zwischen 9 und 10 Uhr – der ungefähre Zeitpunkt des Notrufs – verschiedene bekannte Rettungsschiffe aufhielten. Es ist so zu sehen, dass die „Sea-Watch 3“ das einzige Schiff in dem Areal ist, wo Sea-Watch die Menschen laut eigenen Angaben anschließend bergen konnte, nämlich 47 Seemeilen von der libyschen Stadt Zawyya entfernt.

Wo sich die anderen bekannten zivilen Rettungsschiffe zum ungefähren Zeitpunkt des Notrufs durch die „Colibri“ befanden, zeigt die Plattform „Marine Traffic“. Die „Sea-Watch 3“ ist die gelbe Markierung nahe Tripolis. In diesem Areal war die „Sea-Watch 3“ zum Zeitpunkt des Notrufs das einzige Rettungsschiff. (Screenshot: CORRECTIV)

Das deckt sich mit einem internen Monitoring der Organisation „SOS Mediterranee“ vom 5. bis 12. Juni, das CORRECTIV vorliegt und den Status der verschiedenen Rettungsschiffe zeigt: 

Aus einem internen Monitoring von „SOS Mediterranee“ über den Status verschiedener Rettungsschiffe. (Screenshot: CORRECTIV)

Im zeitlichen Verlauf vom Morgen des 12. Juni bis zum Mittag des 14. Juni ist anhand „Marine Traffic“ außerdem zu sehen, wie die „Sea-Watch 3“ nach dem ungefähren Zeitpunkt des Notrufs den Kurs nach Norden ändert und erst nach einer Schleife am 13. Juni Lampedusa ansteuert. In dieser Zeit gab es laut der Panorama-Doku mehrere Kontaktversuche der „Sea-Watch 3“ mit verschiedenen Behörden.

Die Route der „Sea-Watch 3“ vom Morgen des 12. Juni um 6 Uhr bis zum 14. Juni um 12 Uhr. Der Startpunkt ist unten ganz links. (Quelle: „Marine Traffic“ / Screenshot: CORRECTIV)
Größerer Ausschnitt der Route der „Sea-Watch 3“. Der rote Pfeil zeigt auf den Zeitraum des Notrufs (etwa 10 Uhr), die „Sea-Watch 3“ änderte ihren Kurs nach Norden. (Quelle: „Marine Traffic“ / Screenshot: CORRECTIV)

Dafür, dass die Dokumentation von Panorama „inszeniert“ war, lassen sich keine Belege finden – dagegen sprechen allerdings die Aussage des Piloten der „Colibri“, der auch die Behörden informierte, und die Tatsache, dass die „Sea-Watch 3“ ihren Kurs nach dem Notruf änderte. Hilfsorganisationen wie „Sea-Watch“ nehmen für solche Dokus zudem regelmäßig Medienteams mit an Bord, auch 2015 schon etwa Reporter des WDR oder der ARD. Auch der Filmemacher Till Egen war in diesem Jahr laut eines Artikels der Berliner Morgenpost an Bord der „Sea-Watch 3“.

Im Artikel von Journalistenwatch hingegen finden sich neben den Spekulationen auch falsche Behauptungen. So schreibt die Webseite etwa, Rackete hätte mit dem Einlaufen in den Hafen von Lampedusa eine „verbotswidrige Rambo-Hafeneinfahrt“ unternommen. Das stimmt so nicht: Laut des Urteils des italienischen Landgerichts Agrigent vom 2. Juli 2019, das auch CORRECTIV vorliegt, hat Rackete nach internationalem Recht gehandelt. Das Gericht stützte die Einschätzung der Kapitänin, dass in diesem Fall nur Italien als nächster und sicherer Hafen in Frage gekommen sei.