Migration

Irreführender Auszug aus Jobcenter-Brief an „Flüchtlingsfamilie“ im Umlauf

Ein illegal auf Facebook veröffentlichter Jobcenter-Bescheid an eine fünfköpfige Familie in Berlin soll den Eindruck erwecken, Flüchtlinge würden mehr Arbeitslosengeld bekommen als Deutsche. Das ist falsch. Den größten Kostenfaktor in diesem Fall macht Geld für eine Wohnunterkunft aus. 

von Alice Echtermann

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Bekommen Asylbewerber und Flüchtlinge mehr Arbeitslosengeld als Deutsche? Nein, die Leistungssätze sind für alle gleich. (Symbolfoto: succo / Pixabay)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Anerkannte Flüchtlingsfamilien bekommen nicht mehr Arbeitslosengeld II als deutsche Familien ausgezahlt. Der größte Teil der Summe sind in diesem Fall Kosten für ein Wohnheim.

Auf Facebook veröffentlicht ein Nutzer 2018 ein Foto eines Briefes, der offenbar aus demselben Jahr stammt und vom Jobcenter Berlin-Lichtenberg an eine fünfköpfige Familie mit ausländischem Namen gerichtet ist. Darauf sind Sozialleistungen aufgelistet, die für diese Familie bewilligt wurden. 

Auf dem Foto wurde nachträglich die folgende Aufschrift eingefügt: „Monatliche Unterbringungskosten für nur 1 Flüchtlingsfamilie 4.967 € Tatort: Berlin – gültig für ganz Deutschland und jede Flüchtlingsunterbringung???“ Außerdem wird die Frage gestellt, wie viel eine deutsche Familie mit drei Kindern pro Monat bekomme. 

Es wird also suggeriert, der Fall sei allgemeingültig und die Leistungssätze nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (umgangssprachlich auch Hartz-4 genannt) seien für Flüchtlingsfamilien höher als für deutsche Familien. Das ist falsch.

Der Facebook-Beitrag vom 14. Oktober 2018 wurde bisher mehr als 3.400 Mal geteilt, in den vergangenen Tagen wieder verstärkt. Ob alle Details in dem Brief stimmen, ist unbelegt; das Jobcenter Berlin wollte aus Datenschutzgründen gegenüber CORRECTIV keine Angaben zu dem konkreten Fall machen, dementierte die Echtheit des Schreibens aber auch nicht. 

Der Facebook-Beitrag vom 14. Oktober 2018 mit dem Foto des Briefes. (Screenshot und Schwärzungen: CORRECTIV)

Großteil des Geldes ist für Unterkunft in einem Wohnheim 

Insgesamt steht in dem abfotografierten Brief für den Monat September 2018 eine Summe von 4.967,75 Euro. Diese setzt sich zusammen aus zweimal 1.156,75 Euro und dreimal 884,75 Euro. 

Der größte Teil wird für die Unterbringung der Familie aufgewendet. Insgesamt 3.913,75 Euro wurden demnach nicht an sie, sondern an das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten überwiesen. Dieses stellte offenbar eine Rechnung für die Unterbringung der Familie in einer Wohneinrichtung, die das Jobcenter beglich.

Auszug aus dem abfotografierten Jobcenter-Bescheid. (Screenshot: CORRECTIV)

Die fünfköpfige Familie hat also mindestens einen Monat lang in einer öffentlichen Unterkunft gelebt. „Da diese Kosten in Form von Tagespauschalen ausgewiesen werden, übersteigen sie die Kosten für privaten Wohnraum“, schreibt uns ein Pressesprecher der Bundesagentur für Arbeit, Andreas Ebeling, per E-Mail. „Dies hat keinen Einfluss auf die Leistungen, die den betroffenen Menschen tatsächlich zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung stehen.“ Wie lange die Familie in einer öffentlichen Unterkunft lebte, ist unklar. 

SGB-II-Regelsätze sind für alle gleich

Für anerkannte Asylbewerber oder anerkannte Flüchtlinge gelten die gleichen Hartz-4-Regelsätze wie für alle anderen Menschen in Deutschland, sagt Ebeling. „Durch die Veröffentlichung und Verbreitung eines solchen Bescheides, der einen Betrag ausweist, der deutlich über dem Durchschnittseinkommen liegt, wird in der Öffentlichkeit bewusst ein vereinfachtes und damit verfälschtes Bild über die Höhe von Arbeitslosengeld II gezeichnet.“ 

Der Regelbedarf für erwachsene „Partner innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft“ (zum Beispiel einer Familie) liege bei 382 Euro pro Monat. Für Kinder bis fünf Jahre gebe es 245 Euro, für Kinder von 6 bis 14 Jahren 302 Euro und für Jugendliche von 14 bis 18 Jahren 322 Euro.

Auszug aus der E-Mail des Pressesprechers der Arbeitsagentur Berlin. (Screenshot: CORRECTIV)

Die Veröffentlichung des Jobcenter-Bescheids sei ein „gravierender Verstoß gegen den Sozialdatenschutz“, schreibt Ebeling. „Solche Vorfälle nehmen die Jobcenter daher regelmäßig zum Anlass, Strafanzeige gegen Unbekannt zu stellen.“