Politik

Nein, anerkannte Asylbewerber sollen keine Pauschale von 16.000 Euro pro Jahr erhalten

Zwei Artikel behaupten, Finanzminister Olaf Scholz wolle für anerkannte Asylbewerber künftig „eine Pauschale von 16.000 Euro pro Kopf im Jahr fünf Jahre lang zahlen“. CORRECTIV hat recherchiert.

von Till Eckert

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Olaf Scholz bei einer Befragung der Bundesregierung im Juni 2018. Archivfoto: © Achim Melde / Deutscher Bundestag
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Größtenteils falsch. Ja, Olaf Scholz plant eine Pauschalzahlung von 16.000 Euro pro Asylbewerber, allerdings nicht an diese selbst, sondern an die Länder. Sie soll auch nicht fünf Jahre lang pro Jahr bezahlt werden, sondern insgesamt für fünf Jahre.

Will das Bundesfinanzministerium für anerkannte Asylbewerber „pro Kopf im Jahr fünf Jahre lang“ eine Pauschale von 16.000 Euro zahlen? In einem Artikel der Bundesdeutschen Zeitung vom 24. März wird genau das behauptet.

Die Behauptung in der Bundesdeutschen Zeitung. Screenshot: CORRECTIV

Auch ein Beitrag der AfD Kompakt, das Mitgliedermagazin der AfD, griff die Behauptung am 25. März auf.

Artikel von AfD Kompakt vom 25. März. Screenshot: CORRECTIV

Der Artikel der Bundesdeutschen Zeitung wurde zum Zeitpunkt dieses Faktenchecks mehr als 3.258 Mal auf Facebook geteilt. In der Überschrift wird auch ein Zusammenhang mit Arbeitslosengeld II hergestellt: „Flüchtlinge sollen 16.000.-€ Pauschale erhalten – ALG II Bezieher müssen weiter bluten“.

CORRECTIV hat die Meldung überprüft.

Was steckt hinter der „Flüchtlingspauschale“?

Hintergrund ist der von vielen Seiten kritisierte Eckpunktebeschluss des Bundeshaushalts 2020 und Finanzplan 2019 bis 2023, der im März vom Finanzministerium veröffentlicht wurde (PDF). Daraus geht unter anderem hervor, dass die Zuschüsse des Bundes für Asylbewerber  an die Länder gekürzt werden sollen, wogegen sich die 16 Ministerpräsidenten der Länder einstimmig aussprachen.

Die insgesamt 4,7 Milliarden Euro, die nach Berechnungen der Hamburger Senatskanzlei bislang etwa als Unterstützung für Kosten der Unterbringung gezahlt werden, sollten nach dem Plan von Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf 1,3 Milliarden Euro pro Jahr gesenkt werden. Das geht aus einer Mail der Hamburger Senatskanzlei vom 21. März an Journalisten hervor, die CORRECTIV vorliegt. Ein Sprecher des Finanzministeriums bestätigte die geplante Kürzung der Zuschüsse der Taz. Als Begründung für die Kürzungen nannte Scholz laut Taz, dass die Anzahl der Asylanträge zurückgegangen sei. Das stimmt: 2016 waren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) etwa rund 746.000 Asylanträge eingegangen, 2018 waren es nur noch rund 186.000 (PDF). Die Kommunen weisen allerdings laut der Süddeutschen Zeitung darauf hin, dass viele Asylsuchende auch nach einem abgelehnten Antrag erst einmal in Deutschland bleiben dürfen.

Der Bund hatte sich 2016 verpflichtet, Kosten für Unterkunft und Heizung für die Jahre 2016 bis 2019 zu übernehmen, außerdem eine Integrationspauschale. Was kommt danach? Am 17. März berichtete die Bild (kostenpflichtig) erstmals, Scholz plane ab 2020 eine Pauschale von 16.000 Euro pro anerkanntem Asylbewerber an die Länder zu zahlen. Andere Medien griffen das auf. Unter anderem der WDR lieferte Details, etwa dass die Zahlung gestaffelt ablaufen und pro Jahr weniger gezahlt werden solle:

Aus einem Beitrag des WDR. Screenshot: CORRECTIV

Auf Nachfrage von CORRECTIV äußerte sich das Finanzministerium nicht zu diesen Zahlen oder der Staffelung; man gebe grundsätzlich „keine Details“ solcher Pläne an die Öffentlichkeit. Tatsächlich gibt es bisher weder eine öffentliche Mitteilung des Ministeriums zu der geplanten Pauschale, noch taucht sie in öffentlich einsehbaren Protokollen auf.

Über die Pauschale wird unter Ministerpräsidenten schon seit mehr als drei Monaten diskutiert

Doch die Details zur Pauschale liegen den Ministerpräsidenten der Länder bereits seit mehr als drei Monaten vor, wie CORRECTIV rekonstruieren konnte: Der Plan des Finanzministeriums – mit der Gesamthöhe und geplanten Staffelung der Pauschale – wurde schon am 5. Dezember 2018 bei einer Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin umfangreich diskutiert, wie Marcel Schweitzer, Sprecher der Hamburger Senatskanzlei, CORRECTIV am Telefon bestätigte. Die Hamburger Senatskanzlei unter Bürgermeister Peter Tschentscher hat derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz, weshalb sie aus erster Hand Auskunft über den Stand der Debatten und Beschlüsse geben kann. 

Auf Seite neun eines Protokolls der Konferenz im Dezember findet sich unter Punkt 1.2.2 ein Beschluss zum Thema „Flüchtlingsfinanzierung ab 2020“ (PDF). Die Regierungschefs erfuhren demnach schon damals vom Plan des Finanzministers, kritisierten ihn stark, setzten sich für die Kommunen ein und vertagten eine Entscheidung zum Thema auf die nächste Konferenz am 31. Januar 2019. Laut Schweitzer wollten die Ministerpräsidenten, dass dabei auch Bundeskanzlerin Angela Merkel anwesend sei. Der Termin mit Merkel wurde jedoch verschoben.

Die Sorgen und Kritik der Ministerpräsidenten an der geplanten Kürzung der Mittel hat das Finanzministerium für den Eckpunktebeschluss des Bundeshaushalt offenbar ignoriert: Es ist einer der Gründe, wieso die Pauschale auch in der Konferenz vom 21. März noch einmal diskutiert wurde. Eine Lösung gab es bisher nicht.

Die Höhe der geplanten Pauschale stimmt – doch sie soll an die Länder gehen, nicht an einzelne Asylbewerber

Die Informationen der Bild über die Höhe und Staffelung der Pauschale sind korrekt, wie Schweitzer CORRECTIV bestätigte.

Die Behauptung aus der Bundesdeutschen Zeitung, nach der fünf Jahre lang pro Kopf und Jahr 16.000 Euro bezahlt werden sollen, ist demnach falsch. Der Bund will den Ländern die Pauschale pro anerkanntem Asylbewerber zahlen, auf fünf Jahre gestreckt – das heißt nicht pro Jahr. Sie soll an die Länder gehen, die sie dann den Kommunen zur Verfügung stellen, nicht an einzelne Asylbewerber. Für die Länder und Kommunen könnte das allerdings tatsächlich höhere Kosten bedeuten, da sie vom Bund weniger pro Asylbewerber bekommen sollen.

Ein Zusammenhang der geplanten Pauschale für Asylbewerber mit ALG II, wie die Überschrift des Artikels der Bundesdeutschen Zeitung suggeriert, besteht nicht.