Politik

CO2-Steuer verfassungswidrig? Medien geben wissenschaftliches Gutachten irreführend wieder

Ein neues Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags bezeichnet eine CO2-Steuer als verfassungswidrig, berichten zahlreiche Medien. Die Juristen beziehen sich aber nur auf den Fall, wenn CO2-Emissionen direkt besteuert würden. Das Bundesgesundheitsministerium hat jedoch andere Pläne.

von Alice Echtermann

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Eine CO2-Steuer ist laut dem wissenschaftlichen Dienst des Bundestags verfassungswidrig – allerdings nur, wenn sie sich auf die CO2-Emission selbst bezieht. (Symbolfoto: Foto-Rabe / Pixabay)
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Teilweise falsch
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Teilweise falsch. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat zwar die Einführung einer direkten Steuer auf CO2-Emissionen als verfassungswidrig bezeichnet. Das Gutachten wird jedoch stark verkürzt wiedergegeben. 

Update (15. August 2019): Focus Online hat die Überschrift des Artikels geändert. Die neue Überschrift lautet: „Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: CO2-Steuer könnte verfassungswidrig sein“. Im Artikel wurde zudem ein Hinweis eingefügt, in dem die Stellungnahme des Bundesumweltministeriums wiedergegeben wird. Wir hatten außerdem in unserem Text stets von „Focus“ geschrieben – richtig wäre Focus Online gewesen. Dies haben wir korrigiert. Unser Fazit haben wir zudem etwas verändert, so dass noch einmal deutlich wird, dass die Berichterstattung mehrerer Medien über das Gutachten irreführend war. Die Bewertung unseres Faktenchecks beruht noch auf dem ursprünglichen Artikel von Focus Online, der von mehreren Nutzern auf Facebook als mögliche Falschmeldung gemeldet wurde.

Zahlreiche Medien berichteten über ein neues Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags zu einer CO2-Steuer. Sie sei verfassungswidrig, heißt es zum Beispiel bei Focus Online. Der kurze Artikel vom 9. August wurde auf Facebook bereits mehr als 17.000 Mal geteilt und von mehreren Nutzern als mögliche Falschmeldung gemeldet. 

Der Artikel des Focus trägt die Überschrift „Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: CO2-Steuer ist verfassungswidrig“. (Screenshot am 12. August: CORRECTIV)

In dem Text heißt es: „Der Staat dürfe nicht einfach neue Steuern erfinden, so die Bundestagsjuristen: Es gebe ‘gerade kein Steuererfindungsrecht’. Eine neue Steuer (…) müsse den Charakter einer Ertrags-, Verkehrs-, Aufwands- oder Verbrauchssteuer annehmen. Die CO2-Steuer würde aber unter keine dieser Kategorien fallen.“ 

Mehr steht zur Erklärung des Gutachtens bei Focus Online nicht. Der Artikel beruft sich als Quelle auf einen Bericht der Wirtschaftswoche vom 8. August (anmeldepflichtig). Zahlreiche weitere Medien berichteten ebenfalls über das Gutachten, zum Beispiel der Tagesspiegel. Der Tagesspiegel veröffentlichte jedoch gleich am Folgetag, 9. August, einen Hintergrundbericht (anmeldepflichtig), in dem die vorherige Darstellung als „stark verkürzt“ und „grob missverständlich“ bezeichnet wird. 

Zahlreiche Medien berichten über das Gutachten. (Screenshot der Google-Suche am 12. August: CORRECTIV)

„Kein Steuererfindungsrecht“

CORRECTIV hat sich das Gutachten angesehen, das am 30. Juli auf der Webseite des Bundestags veröffentlicht wurde. Der wissenschaftliche Dienst arbeitet ausschließlich für die Abgeordneten des Parlaments. Presseanfragen seien daher nicht möglich, wie uns eine Pressesprecherin des Bundestags am Telefon sagte.

In dem Gutachten wird klargestellt, dass sich die Einschätzung nur auf die bisher bestehenden Vorschläge zu einer CO2-Steuer beziehen könne, da es noch keinen Gesetzentwurf gibt. „Was genau aber unter dem viel diskutierten Begriff der CO2-Steuer zu verstehen ist, wird aus dem Diskurs noch nicht klar.“

Die Juristen erklären, das Grundgesetz gebe einen Rahmen vor, „wie und in welcher Art Steuern ausgestaltet werden können“. Der Steuertypen-Katalog des Artikel 106 des Grundgesetzes sehe kein „Steuererfindungsrecht“ vor. Eine neue Steuer müsse daher die Bedingungen einer der bereits vorhandenen Steuerarten erfüllen.  

Für eine direkte Steuer auf CO2-Emissionen müsste das Grundgesetz geändert werden

In Betracht komme laut wissenschaftlichem Dienst eine CO2-Steuer als Verbrauchs-, Aufwands- oder Verkehrssteuer. Eine Steuer auf CO2-Emissionen falle jedoch unter keine dieser Kategorien, schreiben die Juristen. „Denn eine CO2-Emission ist weder der Verbrauch eines Verbrauchsguts (CO2 wird emittiert und nicht verbraucht), noch ist es ein Rechts- bzw. Wirtschaftsvorgang oder der Besitz einer Sache. Eine Besteuerung einer CO2-Emission lässt sich keinem bestehenden Steuertypus zuordnen und ist mithin steuerverfassungsrechtlich ausgeschlossen.“

Auszug aus dem Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. (Screenshot: CORRECTIV)

Somit ist die Berichterstattung der Medien wie Focus Online in Teilen korrekt. Allerdings lässt sie wichtigen Kontext weg. 

Denn die Juristen sagen lediglich, eine direkte Besteuerung der CO2-Emission selbst sei verfassungswidrig. Sie schreiben: „Daneben werden auch Modelle vorgeschlagen, die im Rahmen der aktuellen Fassung der Finanzverfassung zulässig wären.“ Es gebe also Möglichkeiten, CO2 im Rahmen der Verfassung indirekt zu besteuern.

Alternative 1: Aufschlag auf die bestehende Energiesteuer 

Eine Möglichkeit für eine indirekte CO2-Steuer sei die vom Bundesumweltministerium vorgeschlagene Erhöhung der Energiesteuer – ein „CO2-Aufschlag auf die bestehende Energiesteuer“. Diese sei bereits eine Verbrauchssteuer. Eine andere Variante sei, dass eine Steuer auf Güter erhoben werde, deren Verbrauch viel CO2 erzeugt. „All diese Varianten stellen unterschiedliche Herangehensweisen dar, lassen sich derzeit aber auch alle unter den Begriff der CO2-Steuer subsumieren.“

Beim Aufschlag auf die bestehende Energiesteuer gibt es laut den Juristen das „Problem“, dass der CO2-Aufschlag die Verknüpfung der Energiesteuer an den tatsächlichen Energieverbrauch auflösen würde. Er stelle also „faktisch“ eine Besteuerung der CO2-Emission dar, die „als Teil einer Verbrauchssteuer“ besteuert würde. Der Steuerkatalog im Grundgesetz würde damit quasi umgangen. „Mithin wird das Modell hinsichtlich seiner Zulässigkeit insgesamt in Frage gestellt.“ Es wird jedoch nicht als verfassungswidrig bezeichnet. 

Alternative 2: Besteuerung von Gütern, die viel CO2 erzeugen

Gegen die zweite Variante, die Besteuerung von CO2-erzeugenden Gütern, haben die Juristen keine Einwände. Eine Steuer auf den Verbrauch von „Kohle, Erdgas, Benzin, Diesel und vergleichbaren Gütern“ sei ein „zulässiges Mittel in Form einer Verbrauchsteuer“. Eine solche Abgabe würde laut Gutachten zu einer Erhöhung des CO2-Preises führen, da „jeder mit CO2-Emissionen belastete Verbrauch von Gütern betroffen wäre“. 

Auszug aus dem Gutachten. (Screenshot: CORRECTIV)

Das Gutachten schließt also nicht jede Form von CO2-Steuer als verfassungswidrig aus. 

Über die Ausgestaltung einer solchen Steuer wird noch beraten, und ob sie überhaupt kommt, ist ebenfalls nicht entschieden, wie CORRECTIV bereits kürzlich in einem anderen Faktencheck dargelegt hat. Die Juristen schreiben: „Zusammenfassend geht der Sachverständigenrat der Bundesregierung in seinem Gutachten davon aus, dass es am wahrscheinlichsten sei, dass die CO2-Steuer als Verbrauchsteuer ausgestaltet werde.“

Bundesumweltministerium: CO2-Emissionen sollen nicht Steuergegenstand sein

Ein Sprecher des Bundesumweltministeriums, Stephan Gabriel Haufe, teilt CORRECTIV auf Anfrage per Mail mit: „Die in der Wirtschaftswoche geäußerte These, dass der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages die Einführung einer CO2-Bepreisung in den Sektoren Verkehr und Wärme über eine Anpassung der bestehenden Energiesteuersätze als verfassungswidrig einstuft, beruht auf einem Missverständnis.“ Das Ministerium hat die Stellungnahme auch auf seiner Homepage veröffentlicht. 

Die Juristen hätten festgestellt, heißt es darin, dass eine CO2-Bepreisung zulässig sei, „wenn der Steuertatbestand weiterhin am Verbrauch der fossilen Brennstoffe und Kraftstoffe ansetzt“. Genau das beinhalte der Vorschlag des Ministeriums. Verfassungsrechtlich bedenklich sei es nur, wenn der „Steuergegenstand“ die CO2-Emission selbst sei. Das sei aber nicht geplant. „Der Bezug zu den CO2-Emissionen ergibt sich (…) ausschließlich auf der Ebene der Begründung für den Umfang der Erhöhung der Steuersätze.“ 

Dass diese Situation „finanzverfassungsrechtlich unbedenklich“ sei, sei auch in einem Gutachten von Professor Ulrich Büdenbender von der Technischen Universität Dresden von Juli 2019 festgestellt worden. 

Auszug aus dem Gutachten von Prof. Büdenbender (Quelle: „Rechtliche Rahmenbedingungen für eine CO2 -Bepreisung in der Bundesrepublik Deutschland“ / Screenshot: CORRECTIV)

Die mediale Berichterstattung über das Gutachten führt also in die Irre – sie suggerierte, der wissenschaftliche Dienst habe eine CO2-Steuer per se und somit alle Pläne des Gesundheitsministeriums als verfassungswidrig eingestuft.

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