Nein, 1890 war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nicht genauso hoch wie heute
In einem Facebook-Beitrag wird behauptet, dass die CO2-Konzentration der Erdatmosphäre 1890 genauso hoch gewesen sei wie heute. Zu dieser Zeit waren die Messungen jedoch noch sehr ungenau.
Die Facebook-Seite „Freie Medien – News“ veröffentlichte am 12. August 2019 einen Beitrag, der bisher mehr als als 9.000 Mal geteilt wurde. Darin wird behauptet, dass bereits 1890 eine CO2-Konzentration von 0,04 Prozent in der Atmosphäre bestanden habe. Als Quelle wird „Meyers Lexikon“ genannt, mit einem Bild einer Lexikonseite in altdeutscher Schrift als Beleg. Da der damalige Wert mit dem heutigen übereinstimme, habe es also keine Erhöhung der CO2-Konzentration seit 1890 gegeben.
Das ist falsch. Unsere Recherche zeigt, dass es 1890 noch keine genauen Messungen des CO2-Gehalts in der Atmosphäre gab – und neuere Forschungen belegen einen Anstieg.
Quelle der Aussage ist Meyers Konversations-Lexikon
Die im Facebook-Beitrag zitierte Ausgabe des Meyers Lexikon kann man in der Online Retro-Bibliothek einsehen. Meyers Konversations-Lexikon ist eine bedeutende Enzyklopädie des 19. und 20. Jahrhunderts in deutscher Sprache.
Unter dem Eintrag zu „Kohlensäure“ steht auf Seite 917 der vierten Auflage (1885 bis 1892) des Lexikons: „Kohlensäure (Kohlensäureanhydrid, Kohlendioxyd) CO2 ^[CO_{2}] findet sich zu etwa 0,04 Proz. in der Atmosphäre[…]“. Es handelt sich also bei dem Foto auf Facebook um den echten Lexikon-Eintrag.
Mit der Bezeichnung „Kohlensäure“ ist hier wohl Kohlenstoffdioxid, also CO2, gemeint. Manchmal wird der Begriff „Kohlensäure“ auch heute noch fälschlich für CO2 verwendet. Zur Unterscheidung: Kohlensäure ist eine Säure, die als Reaktion von Kohlenstoffdioxid und Wasser entsteht, CO2 ist ein Gas.
Bei CO2 handelt es sich laut Umweltbundesamt nach Wasserdampf um das wichtigste Treibhausgas. Dessen Konzentration in der Atmosphäre habe sich im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um etwa 44 Prozent durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Erdgas, Erdöl und Kohle sowie durch großflächige Entwaldung erhöht. Diese Veränderung sorge mit für eine Klimaerwärmung.
CO2-Konzentration in der Atmosphäre lag 1890 unter 300 ppm
Der Anteil von CO2 in der Atmosphäre wird in ppm gemessen – Anteile pro Million oder Millionstel. Die 0,04 Prozent, die in Meyers Konversations-Lexikon angegeben werden, entsprechen 400 ppm.
Die Messmethoden und Schätzungen der CO2-Konzentration in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten waren jedoch ungenau. Hermann Flohn, ehemaliger Professor für Meteorologie und Direktor des Meteorologischen Instituts der Universität Bonn, schrieb 1984: „Vor Beginn des modernen Industriezeitalters (um 1890) wurde der CO2-Gehalt der Luft (1981: 340 ppm) in verschiedenen, damals noch recht ungenauen Meßserien zu 290 bis 295 ppm bestimmt. [sic!]“ (PDF, Seite 2). Diese Werte weichen stark von den in Meyers Konversations-Lexikon angegebenen 400 ppm ab.
Laut Hans Joachim Schellnhuber, Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, und dem für dieses Institut tätigen Paläoklimatologen und Ozeanografen Stefan Rahmstorf, gibt es echte und direkte Messungen der CO2-Konzentration erst seit den 1950er-Jahren (PDF, Seite 33). Damals habe Charles Keeling, ehemaliger Professor für Chemie an der Scripps Institution of Oceanography, seine CO2-Messungen auf einem der größten aktiven Vulkane der Erde, dem Mauna Loa auf Hawaii, begonnen. Diese seien später Grundlage der berühmten Keeling-Kurve geworden. Sie zeige zum einen die jahreszeitlichen Schwankungen der CO2-Konzentration, also die unterschiedliche Auf- und Abnahme des CO2 durch die Biosphäre im Jahresrhythmus. Zum anderen zeige sie einen kontinuierlichen Aufwärtstrend.
Über die Werte vor den 1950er Jahren geben Eiskernbohrungen in der Antarktis Aufschluss. Erste Untersuchungen von gewonnen Eiskernen gab es Ende der 1950er-Jahren (PDF, Seite 2526). Laut der US-amerikanischen National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) konnte anhand der im kilometerdicken Eis eingeschlossenen Gasproben bestimmt werden, dass während der Eiszeitzyklen der letzten 800.000 Jahre die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre nie über 300 ppm betrug. Vor Beginn der Industriellen Revolution Mitte des 17. Jahrhunderts habe die globale durchschnittliche CO2-Konzentration rund 280 ppm betragen. 2015 habe die globale CO2-Konzentration erstmals 400 ppm überschritten.
Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist heute so hoch wie nie zuvor
Nur etwa die Hälfte der CO2-Emissionen durch den Menschen konnten laut einem Report des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) seit der vorindustriellen Zeit in den natürlichen CO2-Kreislauf von sogenannten natürlichen CO2-Senken aufgenommen werden (PDF, Seite 467). Natürliche Senken sind Ökosysteme, die Kohlenstoff in Biomasse speichern, wie zum Beispiel Wälder. Durch den menschlichen Einfluss ist die globale Durchschnittstemperatur seit der vorindustriellen Zeit bis 2017 laut IPCC um etwa ein Grad Celsius gestiegen (siehe Sonderbericht des IPCC 2018, Chapter eins, Executive Summary).
Im Juli gab das Umweltbundesamt eine aktuelle globale CO2-Konzentration in der Atmosphäre von 407,38 ppm an. Laut der US-amerikanischen Nasa beträgt sie Stand September 2019 412 ppm. Somit belegt die Forschung, dass es einen Anstieg der CO2-Konzentration in der Atmosphäre gibt.