Deutschland wird sich ändern. Wir alle sind gefragt.
Der Wahlkampf ist nahezu vorbei. Doch schon heute steht ein Ergebnis fest: Am Sonntag erlebt unser Land eine Zäsur. Den Rechtspopulisten und Rechtsextremen der AfD ist der Einzug in den Bundestag nicht mehr zu nehmen.
Was ich in den vergangen Wochen gesehen habe, hat mich erschrocken. Zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Hier waren die Parteien wie SPD, Grüne, FDP oder CDU vom Landtagswahlkampf so ausgelaugt, dass kaum noch nennenswerter Wahlkampf vor Ort stattfand. Allein die AfD hatte nahezu flächendeckend Stände. Trat immer wieder auf. Hatte Plakate überall und eine klare Botschaft: Keine Flüchtlinge.
Bei den anderen viel leere Luft. Und leere Gassen. Die Straße wurde der AfD überlassen.
Vor allem in den neuen Hochburgen der Rechtsextremen. Im Ruhrgebiet, im Osten und in den Gegenden, in denen Russlanddeutsche dominieren, griff die AfD an. Plakate und Anzeigen in billigen Anzeigenblättern. Und Fakenews: Nicht auf bundespolitische Themen bezogen, sondern in den Lokalberichten. Und immer wieder gegen Flüchtlinge.
Zu wenig getan
Wie in den USA wird der Wahlkampf in den Gegenden entschieden, in denen sich die Menschen zurückgelassen fühlen. Wie in unserem eigenen „Rostgürtel“, den Industriegebieten des Ruhrgebiets. Wir haben darüber berichtet. Es hat nichts genutzt. Die Parteien haben gerade hier – in den alten Revieren – zu wenig für die Menschen getan.
Vermutlich haben die Wahlkampfleiter von SPD, Grüne, FDP oder CDU vom Raumschiff Berlin aus gar nicht erkannt, um was es geht. So wurde etwa im Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz über technische Details der Flüchtlingspolitik debattiert. Aber nicht über die Themen, die fremde Menschen in den Augen vieler tatsächlich zu einem Problem machen. Es wurde nicht darüber geredet, wie man billigen Wohnraum schafft, wie man Pflege menschlich organisiert oder wie man Hoffnungslosen neue Hoffnung gibt.
Ich möchte ein Beispiel geben: In einer Arbeitersiedlung wird die letzte Sparkassenfiliale zugemacht. Der letzte Edeka schließt, die letzte Post. Die Kirche hat ihre Pforten schon vor Jahren geschlossen, das Gebäude soll nun verkauft werden. Stattdessen wird eine Moschee gebaut.
Demokratie verteidigen
Hier müsste Politik ansetzen. Hier müsste ein Mensch aus einer demokratischen Partei auftreten und die Sorgen der Leute Ernst nehmen. Dabei helfen, einen neuen kleinen selbstorganisierten Supermarkt anzusiedeln oder eine mobile Sparkassenfiliale anzuschaffen.
Hier muss ein Demokrat Hilfe für die Menschen bringen, die Gemeinschaft vor Ort organisieren, damit sie sich selbst helfen kann. Damit am Ende auf einem Fest der Demokrat auf den AfD-Populisten zeigen kann mit der Frage: „Hat Euch dieser Typ irgendwas gebracht außer Hetze und Unfrieden?“ So wird die Demokratie vor Ort verteidigt.
Ich bin erschreckt, wie egal vielen der Niedergang unserer Gesellschaft ist. Ein Onkel aus meiner Familie hat „Die Partei“ gewählt. Was soll er später erzählen? Als die Rechtsextremen ins Parlament kamen, habe ich eine Spaßpartei gewählt? So billig wird die Demokratie manchmal hergegeben.
Wir müssen unsere Gesellschaft ernst nehmen. Sie ist es wert.
Ein anderes Land
Am Sonntag wird Deutschland ein anderes Land werden. Es wird nicht untergehen, aber sein Gesicht verändern.
Rechtspopulisten und Rechtsextreme werden im Bundestag sitzen. Sie werden in Ausschüssen über den Haushalt der Bundesrepublik mitreden, darüber, wie der Verkehr geregelt wird oder die Ausländerpolitik. Sie werden in den Kontrollgremien unserer Geheimdienste und des Verfassungsschutzes sitzen. Die Rechten werden in die politische Bildung des Landes eingebunden und in die Arbeit der Schulen.
70 Jahre waren die Rechtsextremisten außen vor. Jetzt sind sie wieder da.
Die Auswirkungen dieses gesellschaftlichen Umbruchs sind noch nicht absehbar.
Eine Situation, die für viele von uns schwer zu ertragen ist; die viele erschreckt.
Doch ich sehe hier auch eine Chance für unser Land. Unsere Gesellschaft kann besser werden, wenn sie sich den Herausforderungen stellt und dafür eintritt, dass Lügen falsch bleiben, und dass Anstand und Haltung mehr zählen als Hass und Niedertracht. Wir können jetzt die Instrumente, die Kultur entwickeln, mit denen wir Rechtsextreme und Rechtspopulisten wirkungsvoll begegnen können.
Diese Wahl ist für uns alle ein Aufruf mitzuhelfen, unser Land in Ordnung zu bringen.
Transparenz und Offenheit
Wir von CORRECTIV wollen mit Eurer Hilfe dafür eintreten, unsere Demokratie zu stärken. Wir vertrauen dabei fest den Mitteln der Aufklärung. Wir vertrauen auf Bildung und Transparenz. Wir vertrauen auf Diskussion und Beteiligung. Wir vertrauen auf Bürgernähe und Offenheit.
Wir wissen noch nicht genau, wie wir vorgehen wollen. Aber wir kennen die Richtung, in die wir gehen müssen. Und dazu müssen wir auch die Art verändern, wie wir Journalismus machen. Wir müssen uns überlegen, wie wir offener und bürgernäher berichten. Wir müssen uns überlegen, wie wir nicht bei der Beschreibung von Missständen stehenbleiben, sondern zur Verbesserung der Situationen beitragen können.
Wir müssen die Lügen der Rechtspopulisten und Rechtsextremen entlarven. Jeden Tag.
Hier wollen wir nicht stehenblieben. Wir wollen auch die Gründe offenlegen, warum die Extremisten so stark geworden sind. Nur ein Beispiel: Wenn sich Menschen über Zuwanderer aufregen, dann regen sie sich vielleicht nicht wegen fremder Menschen auf, die sie auf ihrer Straße sehen, sondern weil sie Angst um bezahlbaren Wohnraum für ihre Kinder haben. Wir müssen uns also dem Thema Wohnungsnot widmen.
Und dann geht es für uns noch einen Schritt weiter. Wenn wir die Probleme gesehen haben, wollen wir nach Lösungen suchen. Wir werden also darüber berichten, wie man mehr günstigen Wohnraum für alle schaffen kann.
Institutionen stärken
Wir glauben aber auch, dass es nötig ist, unsere Institutionen zu stärken. Unser Parlamente, unsere Verwaltungen, unsere Gewerkschaften und Schulen, unsere Wirtschaft und unsere Justiz.
Und auch hier vertrauen wir wieder den Instrumenten der Aufklärung: Transparenz und Offenheit.
Wir wollen Fehlentwicklungen recherchieren und offenlegen und dann berichten, wie man es besser machen könnte.
Wir tun dies, nicht um die Institutionen zu schwächen – sondern um sie zu stärken. Denn nur wenn Fehler erkannt sind, können sie gebannt werden. Und nur wenn unsere Institutionen stark sind, können sie den Rechten widerstehen.
Es ist viel zu tun.
Wir werden neue Leute einstellen und wir werden nicht nachlassen.
Der Weg ist lang. Wir wissen, dass wir nicht schnell Erfolge haben werden. Wir brauchen Ausdauer und Hartnäckigkeit. Wir dürfen Streit und Widerständen nicht aus dem Weg gehen.
Aber wenn wir durchhalten, sind wir hoffnungsvoll einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten zu können.
Es geht um viel. Helfen Sie uns, damit wir arbeiten können.