In eigener Sache

Geheimplan-Recherche: Eine Entgegnung auf die Kritik von „Übermedien“

Kürzlich veröffentlichte der Medienblog „Übermedien“ einen Artikel über unsere Geheimplan-Recherche. Die Kritik wiederholte „Übermedien“-Gründer Stefan Niggemeier in veränderter Form im „Spiegel“. In dem Beitrag wird uns vorgeworfen, „systematische Unsicherheit“ verbreitet zu haben. Hierzu möchten wir einige Dinge klarstellen.

Titelbild_Übermedien

Das Wichtigste vorweg: Der Kern unserer Recherche bleibt unangetastet. Es gab juristische Angriffe, die sich aber immer nur gegen Details richteten, die meisten davon haben wir erfolgreich abgewehrt. Die Kritik der drei Autoren von Übermedien, die unseren Text als unzureichend empfinden, beruht überwiegend auf stilistischen Anmerkungen und der Wahrnehmung anderer Medienberichte über unsere Recherche. 

Um es klar zu sagen: Stilkritik ist immer willkommen. Sie sollte aber als solche erkennbar sein und nicht Zweifel am Wahrheitsgehalt eines Textes säen.

Es gab, wie es gerade im investigativen Journalismus durchaus vorkommt, Korrekturen. Sie stehen alle unter dem Text annotiert. In einem Fall geschah dies verspätet, wurde aber nachgeholt. Wir machen das immer transparent. Die wenigen Änderungen betrafen Randaspekte: etwa die Korrektur der Bezeichnung Alexander von Bismarcks als Nachfahre von Otto von Bismarck. Und die Streichung einer Äußerung von Ulrich Vosgerau zur Erfolgswahrscheinlichkeit von Musterschreiben bei einer Wahlprüfungsbeschwerde. Dies zeigt sich im Vergleich der ersten Version zur letzten Version.

Dokumentierte Aussagen eingeordnet

Wir haben die relevanten Aussagen des Rechtsradikalen Martin Sellner dokumentiert und eingeordnet. Sellner hat mehrfach öffentlich seine Thesen zur „Remigration“ und der Vertreibung von „nicht-assimilierten Staatsbürgern“ geäußert. Wir haben diese rechtsvölkischen Tarnbegriffe und ihre ideologischen Hintergründe gründlich analysiert. Unsere Belege und Zitate machen deutlich, dass es um die Vertreibung von Millionen Menschen, darunter auch deutscher Staatsbürger, ging.

Auch die Diskussionen zur Umsetzung dieser Pläne haben wir aufgegriffen, ebenso die weiteren Reden anderer Referenten, soweit wir sie als relevant eingeordnet haben. Da war der Fraktionsvorsitzende aus Sachsen-Anhalt, der über die Finanzierung für Wahlkämpfe sprach und anbot, das im direkten Gespräch zu klären. Da gab es die Idee einer rechten Influenceragentur des Sohnes von Gernot Mörig. Die Tagesschau fand später heraus, dass der Sohn schon einen Vertrag mit der AfD hatte. Auch über den Rechtsextremen Mario Müller und seine Pläne, die Antifa zu bekämpfen, berichteten wir oder über den Vortrag des AfD-Anwalts Ulrich Vosgerau. All dies fand statt. Das ist unbestritten. 

Ein weiterer Vorwurf von Übermedien lautet, wir hätten nicht ausreichend belegt, dass Sellner rassistische Positionen vertreten hat. Wir haben jedoch dokumentiert, wie Sellner über die „ethnische Wahl“ sprach. Und wer „nicht assimiliert“ sei, das wollen Sellner und Co. festlegen. Spätestens durch den Begriff der „Ethnie“ wird deutlich, dass wir es mit völkischem Gedankengut zu tun haben. Übermedien schreibt: Wer Sellner „nur anhand der wenigen Zitatstummel des Correctiv-Textes bewertete, fände zu wenig Anstößiges“. Diese Einschätzung finden wir überraschend. 

Ohnehin gibt es keinerlei Zweifel daran, dass der führende Rechtsextremist Sellner seine Konzepte auf eine rassistische Grundhaltung stützt. Sellner verbreitet sein rassistisches und völkisches Gedankengut seit vielen Jahren öffentlich. Wir haben auf seine Schriften auch gesondert hingewiesen.

Wie andere Medien berichteten

Es wird behauptet, dass unsere Formulierungen von anderen Medien missverständlich aufgegriffen wurden, was zu übertriebenen Darstellungen führte. Hierzu möchten wir klarstellen: Unsere Berichterstattung hat die Ereignisse und Aussagen klar beschrieben und eingeordnet. Die mediale Resonanz, die folgte, zeigt die Brisanz des Themas. Einige Interpretationen mögen über das Ziel hinausgeschossen sein. Das hat allerdings auch mit der unklaren rechten Kampffloskel „Remigration“ zu tun: Diese besagt nur, dass Menschen, die nach rechtsvölkischem Konzept nicht deutsch genug sind, raus aus Deutschland sollen – mit welchen Mitteln und auf welche Art, bleibt zunächst einmal dahingestellt. Wir als Journalisten müssen den programmatischen und ungenauen Begriff in eine klare Sprache übersetzen.  

Die Grundaussage unserer Recherche steht weiterhin fest. Der Übermedien-Artikel suggeriert jedoch, dass das Treffen harmloser war als von uns beschrieben: Es heißt dort „​​Er unterstellt, statt zu belegen, er raunt, statt zu erklären, er interpretiert, statt zu dokumentieren“. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Wir haben mit den Zitaten klar differenziert, was gesagt wurde, mit den Fotos gezeigt, wer anwesend war und eingeordnet, welche Brisanz die Aussagen hatten. Dies ist ein wesentlicher Bestandteil journalistischer Arbeit.

Einige Beispiele:

Der Rechtsextremist Sellner sprach vor seinem Publikum über „Remigration“. Er plädierte dafür, die „Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“, und das auch in Bezug auf „nicht assimilierte Staatsbürger“, etwa über „hohen Anpassungsdruck“ und „maßgeschneiderte Gesetze.“

Für den Gastgeber Gernot Mörig ging es sogar um die „Frage, ob wir als Volk im Abendland noch überleben oder nicht“.

Der sachsen-anhaltinische AfD-Politiker Ulrich Sigmund möchte, dass sich das Straßenbild ändert und regt an, dass es für „dieses Klientel möglichst unattraktiv“ sein soll, in Sachsen- Anhalt zu leben. 

Die AfD-Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy brüstete sich damit, schon vor sieben Jahren ein „Remigrationskonzept“ in ihre Partei eingebracht zu haben und setzt auf die doppelte Staatsbürgerschaft: „Denn dann kann man die deutsche wieder wegnehmen, sie haben immer noch eine.“

All das steht in unserem Text und wurde von keinem der Teilnehmer angegriffen. Es wird weiter kritisiert, wir hätten bei der Erklärung von „Remigration“ geschludert. Es heißt: „Selten besaß eine investigative Recherche einen so hingehuschten Kern.“ Das vermeintlich „Hingehuschte“ bleibt bei einer bloßen Behauptung. Wer unseren Text liest, wird sehen, dass wir klar und deutlich beschreiben, worum es bei dem Treffen in Potsdam ging: Redner und Teilnehmer sprachen von Remigration. Im Rahmen eines „Masterplans“. Deutlich wird aus den belastbaren Zitaten: Es ging ihnen darum, Millionen von Menschen – darunter ausdrücklich auch solche mit deutscher Staatsangehörigkeit – zu vertreiben. Das suggerieren wir nicht, sondern schreiben es klar, wie hier über die Ausführungen Sellners: „Es gebe drei Zielgruppen der Remigration, die Deutschland verlassen sollten. Oder, wie er sagt, „um die Ansiedlung von Ausländern rückabzuwickeln“. Er zählt auf, wen er meint: Asylbewerber, Ausländer mit Bleiberecht – und „nicht assimilierte Staatsbürger“. Letztere seien aus seiner Sicht das größte „Problem“.

Wir haben ausführlich erklärt, was Sellner und andere Teilnehmer unter dem Begriff „Remigration“ verstehen, auch in dem Infokasten „Das rechtsradikale Konzept der Remigration“. Was Übermedien gerne sonst noch erfahren hätte, bleibt unklar. Die Autoren bemängeln, dass wir nur wenige Sätze von Sellner zitieren. Dazu bleibt festzuhalten: Wir wollen rechtsextremen Ideologen keine Plattform geben. Was als Beleg der verfassungsfeindlichen Planungen notwendig war, haben wir zitiert – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das „Masterplan“-Framing hat sich im Übrigen nicht CORRECTIV ausgedacht. Es tauchte bereits in den Einladungsschreiben der Veranstalter auf.

Unsere Klarstellungen in den juristischen Auseinandersetzungen

Die Autoren behaupten auch, wir hätten gegenüber LTO und Übermedien eingeräumt, dass Sellner nicht direkt über rassistische Kriterien gesprochen habe. Das ist falsch. In einer Mail stellte LTO (nicht Übermedien) am 20. Februar viele Fragen zu Tatsachen und Meinungsäußerungen. Vermutlich wurde dann dieser Text draus, der auch bei Übermedien erschien. 

Der Autor Zimmermann fragte, ob bei Sellners Konzept „von ‘Hautfarbe’ die Rede war oder jedenfalls Hautfarbe umschrieben wurde und zwar in Abgrenzung zu Herkunft“. Wir verneinten das. Wir haben stattdessen klargestellt: „Dies bezieht sich auf den Vortrag Sellners, der geübt darin ist, (gerichtsfest) rassistische Begriffe unter wohlklingenden und elaborierten Worten zu verdecken. Zentrale, von ihm wiederholt verwendete Begriffe sind etwa der „Bevölkerungsaustausch“, die „ethnokulturelle Identität“ oder die „ethnische Wahl“. Zur Einordnung dieser Begriffe ist eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln zu empfehlen.

Es entspricht der journalistischen Praxis, Inhalte so wiederzugeben, dass sie verständlich sind. Sellner muss gar nicht sagen, um welche Personengruppen es ihm geht. Jedem Teilnehmer auf dem Treffen dürfte bewusst sein, welche Personengruppen Ziel seiner Remigrationspläne sind. Nun zu behaupten, wir würden selbst einräumen, dass Sellner nicht direkt über rassistische Kriterien gesprochen habe, ist daher schlicht irreführend.

Übermedien behauptet, es gebe keine Belege, dass Rechtsradikale einen entsprechenden Angriff gegen die Verfassung der Bundesrepublik planten. Die Autoren werfen uns vor, wir würden die Inhalte zuspitzen oder übertreiben. Hierbei ist wohl die Kernfrage, wie gravierend man die Inhalte findet. Ein Problem ist es aus unserer Sicht auch, die Aussagen zu verharmlosen oder nicht klar zu benennen. Wer Rechtsextremes zustimmend bespricht, zusammen mit Rechtsextremen, sollte als solches eingeordnet werden. Wenn pauschal Millionen Menschen aus Deutschland vertrieben werden sollen, darunter auch Staatsbürger, ist das durchaus als Angriff auf die Verfassung zu sehen.

Schwere Vorwürfe ohne Belege

Recherche-Veröffentlichungen von dieser Tragweite sollten durchaus kritisch beleuchtet werden. Medienkritik ist wichtig, sie legitimiert oder verbessert unsere Arbeit. Uns wird jedoch weitgehend ohne konkrete Beispiele vorgeworfen, eine „systematische Unsicherheit“ verbreitet zu haben. Es wird a priori behauptet, es sei „längst offenkundig“, wie problematisch unsere Berichterstattung und ihre Rezeption seien. Die Autoren führen dazu keine Belege an.

Dabei sind es schwerwiegende Vorwürfe, die auf unsere Glaubwürdigkeit zielen. Weder wir noch unser Anwalt wurden hierzu um Stellungnahmen vor dieser Veröffentlichung gebeten. Das ist in der Regel journalistischer Standard.

Übermedien behauptet, wir würden nicht „hinreichende Belege anführen“. Das ist nicht richtig. Richtig ist: Wir verfügen über eine solide Quellenlage, die über das im Artikel dargestellte hinausging. Vieles ist direkt und nachvollziehbar belegt, etwa mit Fotos, mit Einladungsschreiben, mit den Zitaten. 

Was im Raum besprochen wurde und wir zitieren, haben wir belastbar überprüft. Gleichzeitig hat der Schutz unserer Quellen für uns höchste Priorität. Auch das gehört zu den Grundsätzen sauberen Journalismus. 

All das passiert in einem Kontext des Framings rechter Medien. Ein Nius-Autor frohlockt, der rechte Spinn sei von Übermedien übernommen worden: „All das, was jetzt bei ‘Übermedien’ zu lesen ist, wurde anfangs von ‘NIUS’, ‘Junge Freiheit’, dem ‘Cicero’ und ‘Tichys Einblick’ zusammenrecherchiert.“

Das trifft in einigen Punkten zu. Hier nur ein Beispiel für parallele Argumentationen aus dem Text: „Wer allerdings Aussagen von Correctiv für bare Münze nimmt und als Tatsachen ausgibt, riskiert juristische Niederlagen. Wie die ‘Tagesschau’, die unter Berufung auf Correctiv behauptet hatte, in Potsdam sei auch über die Ausweisung von deutschen Staatsbürgern diskutiert worden.“

Nius schrieb: „Oberlandesgericht urteilt: Tagesschau übernahm Falschbehauptung von Correctiv“.

Tichys Einblick: „Gefährliche Quelle – Oberlandesgericht untersagt der ‚Tagesschau‘ Falschbehauptung von ‚Correctiv‘ … Besonders peinlich für die ARD: Sie kolportierte die Darstellung von ‚Correctiv‘. Langsam wird es teuer für Medien, Correctiv nachzuplappern.“

Was diese Medien schreiben, ist falsch. Wir erklären in diesem Text, wie die Rechten mit juristischen Scharmützeln die Tagesschau angreifen und dann die Welt glauben lassen wollen, CORRECTIV hätte Fehler gemacht, die von der Tagesschau übernommen worden seien. Tatsächlich ging es in dem Verfahren um etwas anderes. 

Offen für konstruktive Kritik

Hätten wir etwas besser machen können? Ja, in der Kommunikation zu den juristischen Angriffen wurde in einigen Fällen überzogen formuliert. Es gibt aber einen Unterschied zwischen Unternehmenskommunikation und journalistischer Arbeit. Die Kern-Recherche würden wir unverändert wiederholen. Wir sind der Meinung, dass es unsere Pflicht ist, solche Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Fragen, die seit der Veröffentlichung unserer Recherche aufkamen, haben wir ausführlich beantwortet. Unsere FAQ-Seite bietet umfassende Informationen und klärt viele der Missverständnisse auf. 

Wir sind offen für konstruktive Kritik und begrüßen einen transparenten Dialog über unsere Arbeit. Wir laden die Übermedien-Autoren und alle Interessierten herzlich ein, mit uns über die Inhalte und Methodik unserer Recherchen zu diskutieren.

Unser Ziel bleibt es, durch gründliche und transparente Recherchen zur Aufklärung beizutragen und die Öffentlichkeit über relevante Entwicklungen zu informieren.

Wir sind offen für den Dialog, kritische Fragen und konstruktive Kritik. Das organisieren wir sogar aktiv. Seit der Veröffentlichung sind wir auf vielen Bühnen und debattieren mit dem Publikum. Auch die Autoren des Textes bei Übermedien haben wir bereits herzlich eingeladen, unser Büro zu besuchen und mit uns vor Publikum zu debattieren.