Das Spahn-Netzwerk: Teil 2

Medien und Medizinsoftware: Der Profiteur von Spahns Politik

Das Rechtsaußen-Medium Nius vertritt oft rechtskonservative Positionen, genau wie die Politik von Spahn. Finanziert wird das Portal vom CDU-nahen IT-Millionär Frank Gotthardt – der im Kontakt zu Spahn stand und dessen Firmennetzwerk stark von den gesundheitspolitischen Weichenstellungen profitierte. Teil 2 einer Serie über die Netzwerke des CDU-Fraktionschefs Spahn.

von Jean Peters

Spahns-Politik-CompuGroup-Nius
Jens Spahn, Frank Gotthardt und Julian Reichelt kennen sich seit langem. Spahn liebt die Medien, Frank Gotthardt liebt Gesetze, die gut für seine Unternehmen sind und Reichelt wirbt für eine schwarz-blaue Koalition. Spahn liest eine Zeitung. Neben ihm: Gotthardt und Reichelt. IMAGO / Eduard Bopp/ picture alliance/dpa | Christoph Soede / picture alliance / epd-bild | Rico Thumser / (Collage: CORRECTIV)

Julian Reichelt schaut im verglasten Axel-Springer-Gebäude das Kanzler-Triell. An diesem 29. August 2021, mitten in Berlin, wird er vielleicht schon geahnt haben, dass er sieben Wochen später nicht mehr Chefredakteur der Bild ist. 

Neben ihm sitzt laut Spiegel-Bericht Jens Spahn in seinen letzten Tagen als Gesundheitsminister und sieht seinem Parteikollegen Armin Laschet zu, wie dieser versucht, gegen Annalena Baerbock und Olaf Scholz zu punkten. 

Laschet verliert die Wahl, das Ende der Ära Merkel ist eingeläutet. 

Und auch Reichelt verliert: Eine Affäre um Machtmissbrauch gegenüber Bild-Mitarbeiterinnen kostet ihn den Chef-Posten. 

Während Deutschland eine Ampel-Koalition bekommt, bedeutet diese Entwicklung für Jens Spahn vor allem den Aufstieg in der CDU. Seine Strömung, der rechtskonservative Flügel der Partei, bekommt Zulauf, während das frühere Merkel-Lager an Macht verliert. 

Im Januar 2022 berichtet t-online über ein Treffen zwischen dem Millionär Frank Gotthardt und Julian Reichelt. Etwa ein halbes Jahr nach dem gemeinsamen Fernsehabend von Reichelt und Spahn am 8. März 2022 wird Nius als Marke angemeldet.

Nius heißt die Onlineplattform, deren Chefredakteur heute Julian Reichelt ist. Sie ist Teil eines Firmengeflechts rund um die Nius-Muttergesellschaft Vius SE & Co. KGaA, das von Frank Gotthardt persönlich weitgehend kontrolliert wird.

Auf Anfrage lässt Jens Spahn von seinem Sprecher ausrichten, er sei mit der Gründung von Vius nicht befasst gewesen, spekulative Unterstellungen weise er zurück.

Lesen Sie hier Teil 1 unserer Serie: Netzwerk mit Nebenwirkungen – Jens Spahn und der Milliardär.

Frank Gotthardt gehört Nius

Zweieinhalb Jahre später, Oktober 2024. Chefredakteur Reichelt schreibt einen langen Artikel mit der Empfehlung an die AfD: Sie solle sich des Antisemitismus und ihres Thüringer Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke entledigen – um so für die CDU koalitionsfähig zu werden. 

Nach der Bundestagswahl 2025 sprach sich Spahn dafür aus, die AfD im Parlament „wie jede andere Oppositionspartei“ zu behandeln. AfD-Chef Tino Chrupalla sagte, er lade Herrn Spahn gerne zu Gesprächen ein.

Weitere fünf Monate später: Als die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf dann im Juli für den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden sollte, regnete es von Nius Kritik an der Personalie.

Nius schaltete bei Google Werbung für Artikel, die gegen die SPD-Kandidatin Stimmung machten. Der zweite Senat wäre potenziell für die Prüfung eines AfD-Verbots zuständig.

Spahn, mittlerweile Fraktionsvorsitzender der CDU, verkündete am Morgen der zuvor mit der SPD-Fraktion abgestimmten Wahl, man müsse den Wahlgang absetzen. 

Wer sind diese drei Personen – Julian Reichelt, Jens Spahn und Frank Gotthardt? Was haben Sie miteinander zu tun? Teilen sie politische Ideen? Haben sie voneinander profitiert? Nach dem ersten Teil, hier nun Teil 2 der CORRECTIV-Serie zum Netzwerk von Jens Spahn.

Julian Reichelt. (c): picture alliance / epd-bild | Rico Thumser

Frank Gotthardt: Vom Software-Millionär zum Nius-Investor

Frank Gotthardt ist im Vergleich zu den beiden anderen relativ unbekannt, hat als Softwareunternehmer aber einerseits gut von der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre profitiert und andererseits viel Geld als Medienunternehmer investiert.

Er ist Gründer und langjähriger Geschäftsführer der CompuGroup Medical (CGM). CGM ist einer der größten Anbieter von IT-Systemen für Arztpraxen, Kliniken und Apotheken – etwa für Hard- und Software, die sie mit den Krankenkassen verbindet.

Und Frank Gotthardt kontrolliert noch heute über ein Firmengeflecht die meisten Stimmen der Vius Gesellschaft, die weiter hinter Nius steht.

Geschäfts-, Abo- und Werbezahlen von Vius bzw. Nius

Frank Gotthardt hat Nius über ein verschachteltes Unternehmenskonstrukt gegründet. Und der Firma 9,4 Millionen Euro zur Verfügung gestellt – als Reserve.

Wie viel Geld er schon in das Projekt investiert hat, ist öffentlich nicht bekannt. Personen aus seinem Umfeld gaben jedoch gegenüber der Zeit im Jahr 2024 an, dass er insgesamt bis zu 50 Millionen Euro für Nius eingeplant haben könnte.

Die jüngste veröffentlichte Bilanz der Nius-Betreiberfirma Vius stammt vom 18. Februar 2025. Darin wird zum Stichtag 31. Dezember 2023 eine Kapitalrücklage in Höhe von über 20 Millionen Euro ausgewiesen – Geld, das zusätzlich zum Stammkapital in die Firma gesteckt wurde.

Der Jahresfehlbetrag der Vius belief sich Ende 2023 auf über 13 Millionen Euro. 

Trotz der negativen Zahlen erhielt Julian Reichelt Ende November 2023 ein persönliches Darlehen in Höhe von 345.000 Euro zu einem Zinssatz von 3,5 Prozent jährlich. Vereinbart wurde eine Endfälligkeit zum 31. Dezember 2024. 

Frank Gotthardt, hier im Jahr 2008. (c): picture alliance / SZ Photo | Aris Papadopoulos

Die Firma gehörte zunächst über ein Firmenkonstrukt vollständig Frank Gotthardt persönlich. Später wurde Reichelts Rome Medien GmbH mit der Vius verschmolzen. Nach den zuletzt verfügbaren Informationen hielt Gotthardt im November 2024 über 520.000 Stimmenanteile an der Firma, Reichelt etwa 52.000 und Christian Opitz rund 17.000.

Die Vius hält auch 75 Prozent der Anteile an der dem Unternehmen hinter der österreichischen Medienplattform Exxpress, die laut Medieninsider staatliche Medienförderung aus Österreich erhält.

Laut Satzung der Nius-Betreiberfirma Vius ist Unternehmenszweck der „Aufbau und Betrieb von Technologie- und Anwender-Plattformen zur Erstellung und Verbreitung audiovisueller Inhalte (insbesondere Nachrichten), der Entwicklung und dem Betrieb von Online-Plattformen (u.a. Messengerdienste und Sportwetten) sowie der Bewerbung und dem Vertrieb von Produkten aller Art“.

Tatsächlich basiert das Geschäftsmodell jedoch zu großen Teilen auf emotionalisierenden Inhalten, Polarisierung und vielfach auf belegten Falschinformationen. 

Ein geleakter interner Datensatz zeigt, dass Nius nur geringe Abo-Einnahmen generierte: darunter auch von Mitarbeitenden sowie Brigitte Gotthardt, die Ehefrau des Hauptfinanziers. Insgesamt verzeichnete Vius zwischen Juli 2023 und Juni 2025 laut diesem Leak rund 350.000 Euro Einnahmen durch Abonnements.

Julian Reichelt bestätigte beim Kurznachrichtendienst X die Authentizität des Leaks, reagierte aber inhaltlich nicht auf unsere Anfrage dazu.

Im gleichen Zeitraum gab Vius mindestens 1,4 Millionen Euro für politische Online-Werbung aus. Diese Summe basiert auf den öffentlich einsehbaren Werbedaten von Google und Meta – dort werden allerdings nur als „politische Werbung“ gekennzeichnete Inhalte erfasst.

Auch hierzu hat Julian Reichelt auf Anfrage nicht geantwortet. In den letzten Wochen wurden über Nius vermehrt Anzeigen zum Thema Brosius-Gersdorf geschaltet.

Als CEO der CompuGroup Medical hat Gotthardt mit der Firma bis 2021 beträchtliche Umsätze einfahren können.

Die CGM schrieb im selben Abschnitt seines Finanzreports vom ersten Halbjahr 2019 über Spahns Entwurf des „Digital-Versorgungs-Gesetzes“ (DVG) und seine eigene Vormachtstellung im Markt:

„Im Juli beschloss die Regierung den Entwurf des „Digitale Versorgungs Gesetzes“ (DVG) vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn.“ 

Ein paar Zeilen zuvor heißt es, dass das Unternehmen „derzeit einen Anteil von über 50% in diesem Markt für [Telematik-Infrastruktur]“ halte, und weiter: „Finanzierungsmechanismen wurden bereits vereinbart […] um die IT -Kosten und zusätzlichen Anstrengungen dieser neuen Dienstleistungen zu decken.“

Während Spahn als Gesundheitsminister zwischen März 2018 und Dezember 2021 politische Rahmenbedingungen setzte, stieg die Bilanzsumme von Gotthardts Firma CompuGroup Medical von 848 Millionen Euro im Jahr 2018 auf knapp 1,8 Milliarden Euro im Jahr 2021. 

Das könnte auch an vorherigen Investitionen des Unternehmens gelegen haben, der Sprung während der Amtszeit Spahns ist aber auffällig. Das Unternehmen begründete auf Anfrage das Wachstum unter anderem mit Firmenkäufen.

Es ließ ausrichten, dass die Geschäfte mit der Telematikinfrastruktur nur einen sehr geringen Anteil der Umsatzsteigerungen ausmachten.

Der persönliche Anteil von Frank Gotthardt am Stammkapital des Unternehmens belief sich 2017 bis 2024 auf über 33 Prozent.

Über die Gesellschaftergruppe ‚Familie Gotthardt/Dr. Koop‘ hielten er, seine Familienangehörigen und mit ihm verbundene Personen zwischen 2018 und 2024 gemeinsam mehr als 50 Prozent der stimmberechtigten Stammaktien. So steht es in den Geschäftsberichten der CompuGroup Medical. 

Jens Spahn lässt auf Anfrage von seinem Sprecher ausrichten, dass er als Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages ab 2002 sowie als Bundesminister für Gesundheit beruflichen Kontakt mit Herrn Gotthardt hatte. Frank Gotthardt ließ unsere Fragen, ob sie sich getroffen hätten, unbeantwortet.

Der CDU-Wirtschaftsrat ist auch dabei

Auffällig sind weitere Parallelen zwischen Gotthardt und Spahn: Sie arbeiteten zeitgleich zum Thema Gesundheit – Spahn als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Gotthardt als Lobbyist im CDU/CSU-nahen „Wirtschaftsrat“.

2015 leitete Gotthardt die Bundesfachkommission Digital Health im „Wirtschaftsrat der CDU e.V.“, Spahn war ab 2018 Gesundheitsminister.

Sein Staatssekretär Thomas Steffen war zu dieser Zeit mit gesundheitspolitischen Gremien des „Wirtschaftsrats“ in Kontakt, die CompuGroup weiterhin in der „Wirtschaftsrat“-Fachkommission Digital Health vertreten.

Auch in der Maskenaffäre rund um Jens Spahn spielte der CDU-nahe „Wirtschaftsrat“ eine Rolle – unter anderem im Zusammenhang mit dem Logistikunternehmen Fiege.

Einer der Geschäftsführer, Hugo Fiege, war Mitglied im Bundesvorstand des Vereins. Spahn hatte die Firma im Frühjahr 2020 laut Sudhof-Bericht „höchstselbst“ mit der Maskenlogistik beauftragt.

Michael Fuchs, bis 2015 im Präsidium des CDU-nahen „Wirtschaftsrats“, interviewte Spahn im Mai 2020 für Gotthardts regionalen Fernsehsender im Rahmen seiner Sendung Opitz und der Fuchs.

Einen Monat später wurde Fuchs Mitglied des Aufsichtsrates der CompuGroup Medical. 

Bundesministerium könne Kontakte zu angefragten Personen nicht rekonstruieren

CORRECTIV hat im Laufe dieser Recherche das Bundesministerium für Gesundheit angefragt, ob, wie oft und zu welchem Zweck sich Spahn und Gotthardt oder deren Mitarbeiter trafen, während Spahn Minister war – dies sei aber „nicht mehr rekonstruierbar“, schreibt Hanno Kautz, Sprecher des Ministeriums.

Hanno Kautz war früher Redakteur unter Julian Reichelt bei der Bild-Zeitung und wechselte 2018 als Sprecher von Jens Spahn ins Bundesgesundheitsministerium. 

Das Bundesarchiv bestätigte CORRECTIV, dass es in seiner Beratung von Bundesbehörden konsequent an die Sicherung und Übermittlung relevanter Unterlagen erinnert

Zwischen 2017 und 2024 lassen sich zeitliche Überschneidungen beobachten: zwischen gesundheitspolitischen Gesetzesinitiativen, wirtschaftlichem Gewinn und öffentlicher Kommunikation. 

Gotthardt war schon sehr früh dabei, Aufträge beim Aufbau digitaler Strukturen im Gesundheitswesen zu erhalten, die die Vorgänger von Jens Spahn auf den Weg brachten.

Die Telematikinfrastruktur (TI) wurde schon ab 2003 im Auftrag der damaligen Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) vom Industriekonsortium „bIT4Health“ entwickelt. Es legte die technische Rahmenarchitektur für die elektronische Gesundheitskarte samt Konnektor vor.

Telematik-Konnektoren, das sind spezielle Hardware-Geräte, mit denen Arztpraxen sicher und verschlüsselt mit Krankenkassen kommunizieren – etwa um Patientendaten zu übermitteln.

Das E-Health-Gesetz von Hermann Gröhe

Später dann hatte Hermann Gröhe, der vor Jens Spahn Gesundheitsminister war, mit dem E-Health-Gesetz von 2015 die Ärzte zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur bis 2018 verpflichtet und belegte sie mit einer potenziellen Strafe von einem Prozent Honorarkürzungen, sollten sie dem nicht nachkommen.

Zwar wurde die Telematikinfrastruktur bereits unter den Amtsvorgängern vorbereitet. Doch zentrale Umsetzungen wie das flächendeckende Rollout erfolgten erst während der Amtszeit von Jens Spahn. Ebenso Weichenstellungen wie die Erhöhung der Honorarsanktionen bei Ärzten und Apotheken und Krankenhäusern, die keinen TI-Konnektor installierten sowie die Erhöhung des Bundesanteils auf 51 Prozent bei der Gematik.

Screenshot: Von rechts nach links: Ehemaliger Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (rechts), Frank Gotthardt, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der CompuGroup Medical AG (Mitte), Prof. Dr. Arno Elmer, ehemaliger Hauptgeschäftsführer der Gematik GmbH (links). Screenshot von der Webseite E-HEALTH-COM
Von rechts nach links: Ehemaliger Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (rechts), Frank Gotthardt, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der CompuGroup Medical AG (Mitte), Prof. Dr. Arno Elmer, ehemaliger Hauptgeschäftsführer der Gematik GmbH (links). Screenshot von der Webseite E-HEALTH-COM

Ein ehemaliger leitender Mitarbeiter des Bundesgesundheitsministeriums berichtet gegenüber CORRECTIV, dass Frank Gotthardt es schwerer gehabt habe, einen Fuß in die Tür zu bekommen, als Hermann Gröhe noch Gesundheitsminister war. 

Mit dem Amtsantritt von Jens Spahn und seinem Abteilungsleiter Gottfried Ludewig sei es leicht gewesen, regelmäßige Treffen im Bundestag oder im Ministerium für Kontakte oder inhaltliche Abstimmungen zu bekommen, sagen unabhängig voneinander zwei ehemalige leitende Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums gegenüber CORRECTIV. Auf Anfrage weist Spahn eine spekulative Unterstellung über eine Nähe zu Gotthardt zurück.

Er habe „als Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages (ab 2002) sowie als Bundesminister für Gesundheit unregelmäßigen beruflichen Kontakt mit Herrn Gotthardt in dessen Funktion als Vorstandsvorsitzender der CompuGroup“ gehabt. Fachliche Fragen sollten zudem mit dem Gesundheitsministerium besprochen werden.

Auf eine Anfrage zu Treffen oder Absprachen mit Gotthardt verwies Ludewig auf das Bundesministerium.

Dieses schrieb, es könne die dienstlich geführten Kontakte des ehemaligen Ministers für den angefragten Zeitraum nicht rekonstruieren. Ob, wie oft und wer sich von der CompuGroup zu welchen Themen in der Amtszeit Spahns getroffen hat, ließ auch das Unternehmen unbeantwortet.

Allerdings spielten nicht alle Ärzte beim Einbau der Konnektoren mit, die Umsetzung des E-Health Gesetzes von Gröhe stockte. Mindestens 20 Prozent der Ärzte bauten die Konnektoren nicht ein und nahmen ein Prozent Honorarkürzungen in Kauf.

Das Digitale Versorgungsgesetz als Booster für die CompuGroup Medical

2019 verpflichtete Spahn mit dem Digitalen-Versorgung-Gesetz neben Vertragsärzten auch Apotheken und Krankenhäuser dazu, medizinische Daten künftig elektronisch über die Telematikinfrastruktur (TI) zu übermitteln. Technische Voraussetzung dafür war ein Konnektor.

Das Geld für Gerät, Installation und Software wurde zunächst ausgelegt von Praxen, Apotheken und Krankenhäusern, dann erstattet von den Krankenkassen.

Wer sich nicht an diese Infrastruktur anschloss, dem drohten Honorarkürzungen – von Gröhe eingeführt, von Spahn verschärft. Kurz gesagt: Wer keinen Konnektor nutzen wollte, sollte weniger verdienen. 

In ihrem Finanzbericht von 2019 verweist CGM darauf, dass mit den geplanten Gesetzen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens ein „starkes Momentum für neue Einnahmequellen auf Grundlage neuer eHealth-Regulierung“ seien. 

Auf Anfrage von CORRECTIV schreibt die CompuGroup Medical, Spahns Politik habe keine spürbaren Auswirkungen auf die Gewinn- und Umsatzentwicklung gehabt. Das weltweite Umsatzwachstum durch Konnektoren im „Arzt-Software-Sektor“ habe von 2018 bis 2021 bei nur 5 Prozent gelegen.

Im Finanzbericht von 2019 steht: „Der wiederkehrende Umsatz stieg 2019 um 11 Prozent auf 466,1 Millionen Euro – vor allem, weil die Geschäfte mit der Telematikinfrastruktur (TI) sowie die Wartungsverträge im Krankenhaus- (HIS) und Praxisbereich (AIS) deutlich zulegten.“

Und das zu einem Zeitpunkt, als die CompuGroup Medical und das Unternehmen T-Systems Health Industrie als einzige Anbieter die nötigen Konnektoren, Softwarelösungen und Dienstleistungen liefern konnten.

2019 gab die CompuGroup an, einen Marktanteil von 50 Prozent beim Ausbau der Telematikinfrastruktur zu haben. Im März 2022 wechselte der für Digitalisierung zuständige Abteilungsleiter unter Spahn, Gottfried Ludewig, auf die Position des Senior Vice President bei T-Systems Health Industrie.

Das Geld kam von den Beitragszahlern der Krankenkassen

Auch das Patientendaten-Schutz-Gesetz von 2020 eröffnete einen Markt für CGM. Es verpflichtete Krankenkassen zur Einführung der elektronischen Patientenakte – wiederum ein Feld, auf dem Gotthardts Unternehmen Lösungen entwickeln konnte.

2018 schon bereitete Spahn zudem ein Gesetz für die Einführung des E-Rezepts vor, das 2022 von seinem Nachfolger Karl Lauterbach eingeführt wurde, den Weg für das nächste Wachstumssegment, in dem CGM als erstes Unternehmen zertifizierte Hard- und Software anbot.

Das Unternehmen steigerte seinen Umsatz 2018 unter anderem durch neue Produkte, Firmenzukäufe und Softwareentwicklung:

Allein in diesem Jahr wurden beispielsweise rund 436.000 Stunden interner Programmierarbeit als Firmenwert verbucht – das verbesserte das Betriebsergebnis für dieses Jahr um 18,5 Millionen Euro. Ein Großteil dieser Arbeit floss in ein neues digitales System für Krankenhäuser.

Die Bilanzsumme der CompuGroup hat sich in der Zeit von 2017 bis 2021 verdoppelt. 

Zulassung und Konnektortausch bei der Gematik

Frühe Marktstellung von CGM

Nur wenige Unternehmen, darunter die CompuGroup Medical (CGM), erfüllten anfangs die technischen und regulatorischen Voraussetzungen, um Arztpraxen an die Telematik-Infrastruktur (TI) anzubinden. Ein Blick in die Zulassungsübersicht zeigt:

Als erster Konnektor wurde der CGM zugelassen – noch vor dem Amtsantritt von Jens Spahn als Gesundheitsminister im März 2018. Kurze Zeit später, im August 2018, genehmigte die Gematik ein weiteres Produkt vom Konkurrenten T-Systems. Erst im Dezember 2021 wurde ein drittes Unternehmen zertifiziert.

CGM hatte den Antrag bereits Ende 2016 gestellt. Die frühe Zulassung vom CGM-Konnektor war also kein Ergebnis von Spahns Politik.

Kontrolle durch das Gesundheitsministerium

Zuständig für die Zulassung ist die Gematik, die zentrale Aufsichtsagentur für die TI. Seit 2019 steht sie unter der direkten Kontrolle des Bundesgesundheitsministeriums, nachdem Spahn per Gesetz den Bundesanteil auf 51 Prozent erhöht hatte – eine Maßnahme, die politische Steuerung ermöglichte.

Im Quartalsbericht 2019 der CompuGroup wird die Anteilserhöhung auf 51 Prozent durch das Ministerium erwähnt.

Laut Gematik waren „Vertreter der Industrie“ an der Entwicklung der Rahmenarchitektur für die Konnektoren eingebunden.

Da es jedoch so lange her ist, sei es „heute für die Gematik kaum noch nachvollziehbar, wann tatsächlich Vertreter der CompuGroup Medical oder deren Tochter KoCo Connector GmbH erstmals zur Thematik der Konnektor-Entwicklung und Zulassung involviert waren.“ 

Einfluss durch Personalentscheidungen?

Mitte 2019 wurde Markus Leyck Dieken als Geschäftsführer der Gematik bestellt – ein langjähriger Bekannter von Jens Spahn. Die Neubesetzung war mit einer deutlichen Gehaltserhöhung verbunden:

Laut Spiegel verdoppelte sich das Jahresgehalt im Vergleich zu dem Vorgänger von Leyck Dieken fast – auf über 300.000 Euro. Zuvor, im Januar 2018, hatte Leyck Dieken Spahn laut Tagesspiegel eine Eigentumswohnung in Berlin verkauft.

Spahn betonte, der Posten sei in einem „offenen, transparenten Verfahren“ vergeben worden; Persönliche Kontakte hätten keine Rolle gespielt, die Wohnung sei zu einem marktüblichen Preis verkauft worden.

Laufzeitverlängerungen und Kritik am Konnektortausch

Im Juni 2021 veröffentlichte die Gematik eine verpflichtende Spezifikation zur softwarebasierten Laufzeitverlängerung von Konnektoren.

Die Hersteller RISE und Secunet hatten das Feature laut der Fachzeitschrift c’t Ende 2021 implementiert. CompuGroup verzichtete darauf. Dem Ärzteblatt verriet das Unternehmen in einem anderen Zusammenhang, dass es bereits neue Konnektoren für Millionen von Euro bezogen hätte, die Lager seien voll, alles bereit zur Auslieferung.

Am 28. Februar 2022 beschloss die Gesellschafterversammlung der Gematik, dass alle Konnektoren komplett durch neue Geräte ersetzt werden müssen. Mit dabei: das Bundesgesundheitsministerium unter Karl Lauterbach (SPD) mit einer Stimmenmehrheit von 51 Prozent.

Lauterbach hatte den Staatssekretär Thomas Steffen von seinem Vorgänger Jens Spahn übernommen. Das Protokoll der Sitzung stufte die Gematik als vertraulich ein, Grund der Entscheidung seien laut Gematik sicherheitstechnische und wirtschaftliche Risiken bei einer Laufzeitverlängerung der Konnektorzertifikate gewesen. 

Die CompuGroup argumentiert, ein Software-Update sei aus Sicherheitsgründen nicht ausreichend gewesen. Außerdem hätte es zu vielen unterschiedlichen Versionen der Geräte geführt – was den Betrieb der Telematikinfrastruktur komplizierter und teurer gemacht hätte.

Ob das stimmt, lässt sich nicht unabhängig überprüfen – laut Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gab es zumindest keine Einwände gegen das vorgesehene Laufzeitverlängerungs-Feature.

Im Mai 2022 wurde dann die Möglichkeit, die Laufzeit der Geräte per Software zu verlängern, aus den offiziellen Vorgaben gestrichen.

Das Ministerium begründete das damit, dass solche Softwarelösungen zu diesem Zeitpunkt angeblich noch nicht reif für eine Zulassung gewesen seien. Ein späterer zusätzlicher Tausch der Geräte hätte nach Einschätzung der Gematik doppelte Kosten verursacht.

Erst im August 2022 – nach öffentlichem Druck von der Fachzeitschrift c’t und dem Chaos Computer Club (CCC) – erlaubte die Gematik wieder eine softwarebasierte Update-Lösung. Diese war nun aber nur noch optional – ein vollständiger Tausch der Geräte blieb weiterhin möglich.

2023 verließ Markus Leyck Dieken frühzeitig die Gematik.

Finanziert wurde der Konnektorentausch aus dem Gesundheitssystem selbst: Die Krankenversicherungen übernahmen den Großteil der Kosten.

Damit zahlten letztlich Versicherte über ihre Krankenkassenbeiträge beider Systeme indirekt für den Konnektorentausch.

Und die Preise der Anbieter von Konnektoren, auch von CGM, lagen oft erstaunlich nah an den Fördersummen für Hardware, Software und Dienstleistungen, also dem Geld, das die Kassenärztlichen Vereinigungen den Arztpraxen nach Kauf eines Konnektors erstatteten.

Auf einer Broschüre für eine Investorenkonferenz von CGM im September 2019 wirbt die CompuGroup Medical damit, dass der Preis der Fördersumme entsprach: „Preis entspricht der TI-Finanzierung im 4. Quartal 2018 = 2.880 € inkl. MwSt (Erstattung: 2.882 €)“.

In der selben Investorenunterlage, drei Seiten zuvor, ein Spahn-Konterfei, daneben das Zitat: „Get a Connector“ – seine Aufforderung an Ärzte und Apotheken, sich an die Telematikinfrastruktur anzuschließen. „Etwa 54.000 Praxen haben eine TI-Anbindung bei CGM bestellt“, heißt es neben dem Bild von Spahn, „davon nutzen rund 14.000 Praxen zusätzlich eine wettbewerbsfähige Primärsoftware von CGM.“

Jens Spahn als Maskottchen der CompuGroup, hier in einem Ausschnitt aus Seite 64 in der Investorenunterlage von CGM, 2019
Die CompuGroup macht mit dem Bild und einer Aussage von Spahn auf die Konnektoren aufmerksam, hier in einem Ausschnitt aus Seite 64 in der Investorenunterlage von CGM, 2019

Die Gewinne sprudeln – und Gotthardt investiert in Einfluss

Die Parallele zwischen politischen Entscheidungen im Bundesministerium für Gesundheit und dem wirtschaftlichen Aufstieg der CompuGroup ist auffällig:

2018, im ersten Amtsjahr von Jens Spahn als Gesundheitsminister, stieg der Umsatz des Unternehmens von rund 582 Millionen Euro um etwa 23 Prozent auf rund 717 Millionen Euro. Der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) kletterte im selben Zeitraum um 42 Prozent – von 128,6 auf 182 Millionen Euro.

Bis 2021, zum Ende von Spahns Amtszeit, wuchs der Umsatz auf beeindruckende gut eine Milliarde Euro, der Gewinn vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen (EBITDA) erreichte rund 213,4 Millionen Euro.

Schaut man sich nur die Jahresabschlüsse an, verzeichnete das Unternehmen während Spahns Zeit im Amt eine Umsatzsteigerung von etwa 76 Prozent und einen entsprechenden Gewinnzuwachs von etwa 75 Prozent. 

Im Januar 2025, mitten im letzten Wahlkampf, spendeten Frank und Brigitte Gotthardt dann 180.020 Euro an die CDU und zusätzliche 200.000 Euro an die FDP.

Nius schaltete Werbung für einen Beitrag des CompuGroup-Anwalts Joachim Steinhöfel, der auch Vius selbst vertritt und häufig Beiträge für Nius schreibt, mit einem Foto der Juraprofessorin Brosius-Gersdorf. Der Titel der Werbung: „Diese Frau ist für das Richteramt nicht geeignet.“


Recherche und Text: Jean Peters
Recherche: Anette Dowideit, David Schraven
Redigatur: Martin Böhmer, Justus von Daniels, Anette Dowideit
Grafik: Mohamed Anwar
Faktencheck: Marie Bröckling
Kommunikation: Katharina Roche, Anna-Maria Wagner

 

Update 25.07.2025: Wir haben einen Absatz über einen Mitarbeiter einer Lobbyagentur, an der Jens Spahn beteiligt war, aufgrund einer Namensverwechslung entfernt. Zudem wissen wir nicht, ob Frank Gotthardt ordentliches Parteimitglied der CDU ist und haben das präzisiert. Wir haben klargestellt, dass die Bilanzsumme sich verdoppelt hat.