Gefährliche Keime

Wirksame Belehrung

Mit einem einfachen Prospekt konnten Forscher eine große Gruppe von Ärzten in Großbritannien dazu bringen, weniger Antibiotika zu verschreiben. Darüber berichten sie im Fachblatt Lancet.

von Hristio Boytchev

Die meisten Antibiotika werden von den Patienten zu Hause eingenommen, nicht im Krankenhaus. In Großbritannien liegt das Verhältnis bei rund 80 zu 20 – und auf einen großen Teil der daheim geschluckten Antibiotika könnte man wohl verzichten. 

Warum? Weil Patienten einerseits Antibiotika von ihren Ärzten einfordern bei Krankheiten, bei denen sie nicht nützlich sind – etwa bei Erkältung. Und weil Ärzte andererseits Antibiotika zu leichtfertig verschreiben. Eine britische Studie zeigt, dass rund jedes vierte Antibiotikum in Fällen verschrieben wird, bei denen sich der Arzt nicht sicher ist, ob es notwendig ist.

Wie kann man diesen Missbrauch beheben? Laut den Forschern um Michael Hallsworth vom Londoner „Behavioral Insights Team“ geht das erstaunlich einfach. Die Forscher suchten zunächst jene 20 Prozent der englischen Arztpraxen auf, in denen die meisten Antibiotika in ihrer Region verschrieben werden. Dafür griffen die Forscher auf öffentliche Datenbanken zurück. 

Dann teilten sie die knapp 1600 Arztpraxen in zwei Gruppen ein. Jede zweite Arztpraxis bekam einen Brief, in dem die Ärzte darüber aufgeklärt wurden, dass sie besonders viele Antibiotika verschreiben. Das sei ein einfacher psychologischen Kniff, berichteten die Forscher – er rücke die betroffenen Ärzte in eine Außenseiterposition. Beigelegt war zudem ein Brief des englischen „Chief Medical Officer“. 

Bereits diese einfache Maßnahme wirkte: Die Verschreibung der Antibiotika in diesen Praxen sank im Durchschnitt um drei Prozent im Vergleich zu der Kontrollgruppe von Ärzten, die keinen Brief bekommen hatten.

Drei Prozent, das klingt nicht nach viel. Doch auf die fast 800 Praxen gerechnet, waren das in einem halben Jahr bereits über 70.000 weniger Antibiotika-Verschreibungen, schätzen die Experten. Dadurch wären dem Gesundheitssystem fast 100.000 Pfund erspart worden – bei nicht mal 5000 Euro für Drucken und Verschicken der Prospekte. Dabei wissen die Forscher nicht einmal, wie viele der Ärzte den ursprünglichen Brief überhaupt aufgemacht und gelesen hatten.

Da die Maßnahme so gut funktionierte, verschickten die Forscher die Prospekte auch an die andere Hälfte der Arztpraxen, die zunächst als Kontrolle gedient hatten. Prompt senkten auch sie den Verbrauch.

Etwas anderes ist deutlich schwieriger, zeigte die Studie ebenfalls: Die Patienten über die Problematik von zu leichtfertig eingenommenen Antibiotika aufzuklären. Die Forscher teilten dazu die 1600 Praxen abermals in zwei Gruppen ein. Eine Hälfte bekam Poster und Prospekte zur Patientenaufklärung – doch nichts geschah, die Verschreibung von Antibiotika blieb gleich. 

Die Schlussfolgerung der Forscher: Entweder sind die Patienten in dieser Studie unbelehrbar, oder aber bereits so saturiert mit Informationen über Antibiotika, dass eine Broschüre keinen Unterschied machen kann. Das ist keine gute Nachricht – da ein Großteil der weltweiten Bemühungen, den Antibiotikaverbrauch zu reduzieren, auf die Eigenverantwortung der Patienten zielt.

Ärzte sind hingegen offenbar einfacher zu beeinflussen. Die britischen Wissenschaftler rechnen aus, dass die Aufklärungskampagne den Antibiotikaverbrauch außerhalb von Krankenhäusern kurzfristig um fast ein Prozent senken könnte. Das wäre ein beträchtlicher Schritt in Richtung jener vier Prozent, um welche die britische Regierung den Antibiotika-Verbrauch im Land reduzieren will.

Ob sich dieser Weg auch für andere Länder lohnt, ist ungewiss: Die englischen Forscher profitierten davon, dass die Verschreibungsdaten einzelner Arztpraxen durch das nationale Gesundheitssystem zentral und öffentlich vorlagen. Das ist etwa in Deutschland nicht der Fall.