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Ausgebremst

Nordrhein-Westfalen ist Spitzenreiter in Deutschland – zumindest, wenn es um Verkehrsaufkommen und Stauzeiten geht. Das Bundesverkehrsministeriums prognostiziert, dass der Verkehr in Deutschland weiter zunehmen wird. Doch Lösungen für NRW bleiben die Behörden schuldig. Besonders beim Hauptproblem: dem Güterverkehr durchs Ruhrgebiet.

von Christina Häußler

Die A40 bei Essen zur Rushhour.© Correctiv.Ruhr

Die Verkehrssituation im Ruhrgebiet ist nach Ansicht vieler Experten eine Katastrophe. Gelinde gesagt. Fast eine halbe Million Staukilometer erfasste der ADAC im vergangenen Jahr in NRW – fast ein Drittel aller Staukilometer Deutschlands. Das ist unverhältnismäßig viel: NRW beheimatet nur ein Fünftel der deutschen Autobahnkilometer.

Schuld an Stillstand und stockendem Verkehr sind die zahlreichen Baustellen in NRW, der ständig zunehmende Verkehr und die etlichen Lkw, die auf ihren Transportrouten durchs Ruhrgebiet fahren. Von den rund 60.000 Kraftfahrzeugen, die sich täglich über nordrhein-westfälische Straßen bewegen, ist etwa jedes sechste ein Lkw.

Schlimmer geht immer

Lkw sind wie Öl im Feuer der zwei größten Stau-Auslöser der Region: Baustellen und Verkehr. Lkw machen einen beträchtlich Anteil am Fahraufkommen aus, sind hinter Baustellen die zweithäufigste Unfallursache und verursachen Straßenschäden, die wiederum mit Baustellen geflickt werden müssen.

„Ein Lkw mit zweimal zehn Tonnen Achslast auf der Autobahn hat die gleiche Zerstörungswirkung wie 60.000 PKW“, sagt eine Sprecherin des Landesbetriebs Straßen.NRW. Lkw mit zwei Achsen und einem Gewicht von bis zu zwölf Tonnen fallen offiziell nur in die mittelschwere Kategorie. Schwere Lkw bringen in Deutschland bis zu 40 Tonnen auf den Asphalt. Ein einzelner mittelgroßer Lkw verursacht also so viel Schaden wie der komplette Straßenverkehr eines Tages in NRW.

Im aktuellen Jahr findet sich laut ADAC jede dritte deutsche Baustelle in NRW. Abermals ein unverhältnismäßig hoher Anteil für das Bundesland. Jeder zweite Stau wird hier durch Baustellen verursacht.

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Aber damit nicht genug: „Die Situation in NRW wird sich in den kommenden 10 bis 15 Jahren noch deutlich verschlechtern“, sagt Michael Schreckenberg, Verkehrsforscher an der Universität Duisburg-Essen. Laut Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur soll bis 2030 der Güterverkehr in Deutschland um 38 Prozent und der Personenverkehr um 12 Prozent steigen.

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Der Stau in NRW nimmt stetig zu und soll auch noch in den kommenden Jahren weiter wachsen.

Grafik: CORRECTIV.Ruhr

Woher kommen die Lkw?

Knapp die Hälfte aller Lkw auf deutschen Straßen kommt aus dem Ausland, laut der aktuellen Mautstatistik des Bundesamtes für Güterverkehr meist aus Polen, Tschechien, Rumänien, Litauen und den Niederlanden.

Und in der Regel führt ihre Route sie durchs Ruhrgebiet. Ziele der Lkw sind der belgische Hafen Antwerpen oder der niederländische Hafen Rotterdam. Allein Antwerpen soll in den kommenden Jahren noch um etwa die Hälfte wachsen. Entsprechend wird auch der Verkehr durchs Ruhrgebiet zunehmen, schätzt der Verkehrsforscher Schreckenberg.

Das NRW-Verkehrsministerium sieht der Situation entspannter entgegen: Lkw würden „kaum die hochbelasteten Strecken durch das Ruhrgebiet wählen, sondern überwiegend die A2 nördlich des Ruhrgebiets, die ja auch deshalb frühzeitig 6-streifig ausgebaut wurde.“ Generell begrüßt das Ministerium den Güterverkehr durchs Ruhrgebiet. Denn sowohl beim Import als auch beim Export sind die Niederlande der wichtigste Handelspartner NRWs. Und auch Belgien rangiert unter den obersten Plätzen. Der Verkehr von und nach Rotterdam und Antwerpen hat also große wirtschaftliche Bedeutung für die Region.

Wäre dann nicht eine Lösung, den Gütertransport auf die Schienen zu verlegen?

Nein. Das Schienennetz bietet derzeit nicht genug Kapazitäten, um mehr Personen oder Güter zu transportieren. Kurz: Es werden in Zukunft noch mehr Fahrzeuge auf den Straßen des Ruhrgebiets unterwegs sein.

Die Zeichen für die Zukunft auf NRWs Straßen stehen also schlecht: Es wird mehr Verkehr geben, mehr Baustellen, mehr Lkw. Und wieder von vorn. Das Bundes- wie auch das NRW-Verkehrsministerium setzen eher auf Instandhaltung anstatt auf langfristige Lösungen und bleiben damit Antworten schuldig.

Ist der Verkehrskollaps im Ruhrgebiet überhaupt noch aufzuhalten?

Im Folgenden haben wir uns den Bundesverkehrswegeplan 2030 genauer angeschaut. Was sind die Pläne im Baustellen-Management für Nordrhein-Westfalen, und welche Möglichkeiten gibt es, über neue Schienenstrecken für den Güterverkehr unser Straßennetz zu entlasten?

Der Bundesverkehrswegeplan 2030 (BVWP)

Der BVWP ist ein Bedarfsplan für die nächsten zehn bis 15 Jahre. Das heißt, er setzt fest, welche Projekte zur Bewältigung des Verkehrs in Zukunft grundsätzlich notwendig sind und welche nicht. Von 2009 und 2016 hat sich eine Expertenkommission aus Bund und Ländern Zeit genommen, die künftigen Herausforderungen zu benennen und Antworten auf sie zu finden.

Rund 2000 Projekte und Vorschläge zu Autobahnen oder dem Schienenverkehr in Deutschland wurden eingereicht und ausgewertet. Sie kamen von Bundesländern, Verbänden und Bürgern. Die Projekte mit dem größten Nutzen für Menschen und Wirtschaft wurden dem Bundesverkehrsministerium zufolge in den BVWP aufgenommen.

Leitfaden des BVWP 2030 ist: „Erhalt vor Neubau“. Neue Verkehrswege sollen nur gebaut werden, wenn durch sie Engpässe beseitigt werden. Knapp 70 Prozent des Budgets des BVWP 2030 werden allein für Instandhaltung aufgewendet. Das entspricht bis 2030 einer Summe von ca. 141,6 Milliarden Euro.

Für NRW sieht der BVWP 2030 Folgendes vor:

  • Autobahn: Der Bedarfsplan des Bundes bis zum Jahr 2030 umfasst für Autobahnen und Bundesstraßen in NRW 200 Projekte mit Investitionen von insgesamt 20 Milliarden Euro.

  • Schiene: Zentraler Punkt ist der Ausbau des Rhein-Ruhr-Express, in den über 1,8 Milliarden investiert werden und der ausschließlich für den Personenverkehr genutzt werden soll.

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Baustellen: notwendiges Übel

Da gehen gefühlte Wirklichkeit und Fakten Hand in Hand: Die Straßen im Ruhrgebiet sind eine einzige Baustelle. Grund dafür sei, sagt Alex Vastag, Professor für Verkehrslogistik am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik, dass in den letzten zehn Jahren wichtige Investitionen versäumt wurden. Auch der Essener Verkehrsforscher Michael Schreckenberg kritisiert: „Die Baumaßnahmen laufen den Bedürfnissen weitgehend hinterher. Gehandelt wird erst, wenn die Probleme bereits bestehen, weil die Politik nicht langfristig, sondern hauptsächlich in Legislaturperioden denkt.“

Für Vastag ist die Sanierung von Straßen und Brücken das Einzige, was aktuell unternommen werden kann, um die Verkehrssituation im Ruhrgebiet zu verbessern: „Das ist keine Lösung des Problems. Die gibt es nicht. Es gibt nur Maßnahmen, die dafür sorgen können, dass die Situation in Zukunft entschärft wird“, sagt er.

Aktuell wird viel Geld in NRWs Straßen investiert: 2017 haben Bund und Land 1,25 Milliarden Euro in die Hand genommen – so viel wie noch nie. 2018 soll die Summe noch einmal um 35 Millionen Euro steigen, gab Straßen.NRW im März dieses Jahres bekannt. 85 Baustellen sind allein in diesem Jahr auf nordrhein-westfälischen Autobahnen geplant: 15 davon auf der A1, der seit Jahren führenden Staustraße in NRW. Für kommendes Jahr sind bereits 45 Baumaßnahmen geplant. In der Regel kommen allerdings kurzfristig noch weitere Baustellen hinzu.

Hier geht es zu einer Übersicht von Straßen.NRW über die geplante Baustellen 2018/19.

Um die Belastung für Autofahrer möglichst gering zu halten, finden Baumaßnahmen wenn möglich dann statt, wenn wenig Verkehr herrscht. Nachts oder am Wochenende, je nachdem wie lang die Baumaßnahme dauert: Kürzere werden nachts erledigt, aufwendigere am Wochenende.

Eine Sanierung von Straßen und Brücken ist nötig, um bestehende Verkehrswege zu erhalten. Die Straßen entlasten könnte Verkehrsforscher Schreckenberg zufolge nur eine Verlagerung des Güterverkehrs auf Schienen.

Der „Eiserne Rhein“

Für viele Verkehrsexperten wäre der „Eiserne Rhein“ eine Möglichkeit, den Güterverkehr auf die Schienen zu verlagern und so den Verkehrskollaps in NRW abzuwenden. Doch noch ist unklar, ob und wie das Projekt umgesetzt wird. Laut Bundesregierung gäbe es zwei alternative Bahnlinien, die genutzt werden können: die Montzenroute von Aachen ins belgische Tongeren und dann bis nach Antwerpen; und die Betuweroute von Zevenaar nahe der deutsch-belgischen Grenze bis zum Hafen Rotterdam.

Der „Eiserner Rhein“ ist bereits seit über 100 Jahren eine Bahnstrecke zwischen den Häfen Antwerpen und Duisburg. Seit Ende des 19. Jahrhunderts fuhren die ersten Güterzüge auf dem historischen Verlauf des „Eisernen Rheins“ – von Rheydt bei Mönchengladbach über Roermond in den Niederlanden bis ins belgische Antwerpen. Doch die Niederlande legten mit Verweis auf ihre Neutralität die Gleise im ersten Weltkrieg still. Nach dem ersten Weltkrieg wurde der Betrieb des „Eisernen Rheins“ zwar wieder aufgenommen, 1992 aber ganz eingestellt, da die Route immer weniger genutzt wurde. Als Ersatz wurde während des Krieges die Montzenroute gebaut, die nicht durch die Niederlande führt.

Würde man heute den „Eisernen Rhein“ wieder in Betrieb nehmen, wären drei verschiedene Streckenverläufe denkbar, um die Häfen Duisburg und Antwerpen miteinander zu verbinden:

  • Die Historische Trasse von Rheydt über Roermond nach Antwerpen.

  • Entlang der A52 – diese Variante wurde von der Landesregierung NRW bevorzugt und als Vorschlag für den BVWP 2030 eingereicht.

  • Der sogenannte „Dritte Weg“ von Rheydt über Viersen nach Kaldenkirchen. Diese Idee hatte der Bund bereits 2014 vorgeschlagen.

2018 hat die belgische Regierung eine Machbarkeitsstudie für den „Eisernen Rhein“ vorgestellt. Das Ergebnis: Eine Wiederbelebung der Historischen Trasse oder ein Neubau entlang der A52 rentieren sich nicht. Allein der Bau des „Dritten Wegs“ wäre wirtschaftlich. Seit Verabschiedung des BVWP 2030 ist das Projekt theoretisch einen Schritt näher an eine Realisierung gerückt: Es ist in den „vordringlichen Bedarf“ aufgestiegen. Wann allerdings mit einer konkreten Umsetzung zu rechnen ist, ist bisher nicht absehbar. Denn bevor eine neue Schienenstrecke gebaut werden kann, ist ein komplexes Planungs- und Genehmigungsverfahren notwendig.

Für die Autofahrer, die heute täglich im Stau stehen müssen, ist all das nur ein kleiner Trost. Langfristige Lösungen für das Stauproblem werden nicht angegangen. Vielleicht bleibt Pendlern da nur, bei sich selbst anzufangen und vom Auto auf Bahn oder Rad umzusatteln..