Debatte

Warum es sich lohnt, die SPD im Revier zu wählen

Wir sind da, wo es riecht, gelegentlich auch stinkt! Warum es sich im kommenden Mai lohnt im Ruhrgebiet die SPD zu wählen.

von Sarah Philipp

© Sarah Philipp, SPD-MdL aus Duisburg

Eines vorab: Ich esse gerne Mettbrötchen, rauche und trinke gerne ein Pils aus meiner Heimatstadt Duisburg. Meinen letzten Urlaub habe ich auf Mallorca verbracht. Und wenn mir jemand einen Ortsverein nennen kann, in dem es thailändische Canapés gibt, wäre ich doch sehr überrascht. Aber: Das Ruhrgebiet und die SPD sind mehr als Mett und Mallorca.

In 6 Monaten wird in Nordrhein-Westfalen gewählt. Dann entscheidet sich, wer im bevölkerungsreichsten Bundesland der Republik für die nächsten fünf Jahre regiert. Es wird außerdem ein Stimmungstest für die Bundestagswahl im Herbst.

Das Schreckgespenst des Rechtspopulismus geht gerade um in der westlichen Welt. Rechtspopulisten setzen da an, wo sich Menschen von Abstiegsängsten bedroht fühlen und wollen dort auf Stimmenfang gehen. Aber ist es wirklich berechtigt anzunehmen, dass die AfD im kommenden Mai unsere sozialdemokratischen Hochburgen erobern wird?

Hat die SPD den Bezug zu den Menschen verloren?

Kann man Detroit und Chicago mit Essen und Duisburg vergleichen? Ist der Vorwurf zutreffend, dass eine herrschende SPD-Clique den Bezug zu den Menschen vor Ort verloren hat?

Vielleicht an dieser Stelle ein kleiner Exkurs: meine Name ist Sarah Philipp, ich bin 33 Jahre alt und seit 2012 Landtagsabgeordnete für Duisburg. Wenn man sich meinen Lebenslauf auf dem Papier anschaut, liegt der Spruch nahe: Kreißsaal, Hörsaal, Plenarsaal. Was man aus den Zeilen dieses Lebenslaufs nicht ablesen kann, ist, dass ich meinen Werdegang einer sozialdemokratischen Politik der Chancengleichheit zu verdanken habe. Ich bin die erste in meiner Familie, die es auf geradem Wege zum Abitur und zum Hochschulabschluss geschafft hat. Da steckt viel Arbeit und Mühe drin. Meine Eltern wissen das mit Stolz. Sie sind beide zur Volksschule gegangen. Meine Mutter hat heute eine Lottoannahmestelle in Duisburg-Hochfeld und mein Vater fährt Medikamente für eine Apotheke aus. Warum schreibe ich das? Wenn andere von Ruhrgebiets-Folklore sprechen und sich über ein „Glück-Auf“ zur Begrüßung lustig machen, dann reden sie über meine Wurzeln und meine Heimat. Ich wehre mich dagegen allen Politikern zu unterstellen, sie hätten mit den kleinen Leuten nichts mehr zu tun. Denn: Seine Herkunft und Sozialisation lässt man nicht an der Eingangspforte des Landtagsgebäudes zurück.

Die Stimmergebnisse der letzten Landtagswahlen in anderen Bundesländern haben auch mich erschreckt. Und auch ich habe kein Patentrezept um zu verhindern, dass die AfD im nächsten Jahr im Landtag von NRW sitzt. Es ist aber dennoch nicht angebracht verängstigt am Infostand zu stehen. Es gibt viele gute Gründe — vor allem für die Menschen im Ruhrgebiet — im kommenden Mai das Kreuz (wieder) bei der SPD zu machen.

Wir sind da!

Wir sind und bleiben die Kümmerer vor Ort mit einer klaren politischen Haltung und einem unverkennbar sozialdemokratischen Hang zum Pragmatischen. Im Gegensatz zu den anderen Parteien im Ruhrgebiet macht die Wahlkreisarbeit einen Großteil unseres politischen Mandates aus. SPD-Abgeordnete im Ruhrgebiet zu sein, heißt nicht nur schöne Reden im Parlament zu Schwingen. Montags morgens werden mit dem örtlichen Autoclub Autos an Hauptverkehrsstraßen gezählt, am Wochenende pflanzt man Bäume mit der Stadtteilinitiative, man geht zum Kaffeetrinken im Seniorenzentrum und hält danach noch ein Grußwort im Kaninchenzüchterverein (ja, den gibt es wirklich!). Kurzum: wir sind Gesprächspartner, Kummerkasten, aber auch Problemlöser und Ideengeber. Wichtig ist, nichts zu versprechen, was man nicht halten kann. Die neue Lärmschutzwand an der Schnellstraße kommt nicht von heute auf morgen und vielleicht kommt sie auch nie. Ich muss mir aber vor Ort anhören, wo das Problem ist und ich muss die Leute auf dem Laufenden halten, wenn ich mich für sie einsetze. Johannes Rau hat es in einem Satz schön zusammenfasst: Sagen, was man tut, und tun, was man sagt. Das hört sich sehr banal an, ist aber der Schlüssel dafür, dass ich vor Ort ernst genommen werde. Denn genau hier werden Rechtspopulisten und andere „Vereinfacher“ ansetzen, die meinen, schnelle Lösungen zu haben. Sie werden komplexe Themen einfach beantworten. Sie werden uns unterstellen, dass wir die Sorgen der Bürger aus den Augen verloren haben. Sie werden uns auch vorwerfen, dass wir lügen.

Wir haben im Ruhrgebiet viele Probleme. Das lässt sich nicht kleinreden. Das Ruhrgebiet insgesamt kleinzureden macht aber auch keinen Sinn. Fünf Universitäten und 15 Hochschulen mit über 280.000 Studierenden gehören inzwischen ebenso selbstverständlich zur Region wie das größte Stahlwerk Europas. Als Volkspartei im besten Sinne ist es nur ratsam diese Gruppen – die in sich selbstverständlich keineswegs homogen sind — nicht gegeneinander auszuspielen.

Wir beschäftigen uns mit den Problemen

Genauso wie sich die Probleme des Ruhrgebiets nicht verharmlosen lassen, lassen sich die strukturellen Probleme der SPD nicht verschweigen. Die Partei ist alt und genauso sind es zunehmend auch ihre Mitglieder. Als ich mit 15 in die Partei eingetreten bin, traf das in meinen Freundeskreis nicht auf großes Verständnis. Andere in meinem Alter waren nicht unpolitischer als ich, aber Mitglied in einer Partei zu werden, war auch 1998 schon sehr uncool. Und dieser Trend hat sich noch verstärkt: Viele Menschen engagieren sich heute lieber bei Nicht-Regierungsorganisationen, schließen sich einer Bürgerinitative an oder unterschreiben eine Online-Petition. Das ist bequem und man kann sich so sein Politikprogramm nach Maß schneidern. Das ist auch einfacher als stundenlang in Altherren-Kneipen um Kompromisse zu ringen. In einem demokratischen Parteiensystem ist das aber leider auch ein sehr großes Problem.

Wir können diese Entwicklung nicht von heute auf morgen umdrehen, aber wir beschäftigen uns intensiv damit. Für mich heißt das konkret: Es geht darum, wie ich mit neuen Veranstaltungsformaten wieder näher an den Bürger herankomme. Wie ich die Partei auch für Nicht-Mitglieder öffne und sie an Entscheidungsprozessen teilhaben lasse. Und wie ich politische Entscheidungen transparenter mache und vor allem erkläre, wie und warum sie so zustande gekommen sind. Das gilt für alle Ebenen. Von der Bezirksvertretung bis zum Europaparlament.

Wir brauchen mehr Menschen, die sich in Parteien engagieren. Auch Medien und Wahlbeobachter sind gut darin, von außen zu sagen, was man alles besser machen könnte. Aber nur wer bereit ist für seine Ideen zu streiten und einzustehen, kann erreichen, dass diese am Ende auch umgesetzt werden. Zugleich dürfen wir den Rechtspopulisten nicht auf den Leim gehen, indem wir versuchen, ihre Themen zwanghaft zu besetzen. Die Stimmung im politischen Diskurs ist rauer geworden, die Welt ist komplizierter als zu Zeiten von Willy Brandt. Wir dürfen aber gerade jetzt unseren sozialdemokratischen Kompass nicht verlieren. Die SPD steht für Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Und das muss auch so bleiben!

5 Empfehlungen für den Mai 2017:

  1. „Schuster blieb bei deinen Leisten“: Die SPD ist die Partei, der beim Thema „Soziale Gerechtigkeit“ immer noch am meisten zugetraut wird. Unsere Themen sind Bildung, Kinderbetreuung, eine zeitgemäße Arbeitsmarktpolitik und eine gerechte Wohnungspolitik. Sich mit den Parteien rechts von uns darüber zu streiten, wer eine strengere Innenpolitik verfolgt oder am meisten im Haushalt spart, wird nicht funktionieren.
  2. Kein Niveau-Limbo in der öffentlichen Auseinandersetzung: Es wird ungemütlicher als vor fünf Jahren. Die Leute erwarten einfache Antworten auf komplizierte Dinge. Populisten servieren ihnen ihre Lösungen auf dem Silbertablett. Auch wenn es schwierig ist: Ich darf mich nicht dazu hinreißen lassen selbst einfach zu argumentieren. Politik ist nicht einfach und ich darf den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber auch nie so tun, als ob ich für irgendwas eine einfache Lösung hätte. Ich muss mir die Zeit nehmen zu erklären. Aber so, dass mich jeder versteht.
  3. Wir müssen uns das Internet erobern: Fast jeder von uns hat mittlerweile eine Internetseite, ist bei Facebook oder bei Twitter. Das ist gut so. Aber: Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Wenn ich auf diesen Plattformen agiere, dann muss ich mich damit abfinden, dass ich auch negative Kommentare abbekomme. Sofern diese nicht komplett unter der Gürtellinie sind, muss ich reagieren. Ich werde am Ende nicht jeden davon überzeugen, SPD zu wählen. Aber ich darf anderen nicht die Meinungshoheit überlassen.
  4. Raus auf die Straße. Jetzt erst recht! Die Menschen wählen am ehesten den, den sie schon einmal persönlich getroffen haben. Leider kriegen viele Leute nie einen Abgeordneten persönlich zu Gesicht. Das ist schade, aber sollte für uns ein großer Ansporn sein bis zum 14. Mai zu laufen. Infostände, Hausbesuche etc. Präsent sein und ansprechbar sein. Lächelnd am Infostand zu stehen kann dabei übrigens nicht schaden.
  5. Neues ausprobieren kann nie schaden: Früher hat der Infostand mit rotem SPD-Schirm auf dem Wochenmarkt ausgereicht für einen guten Wahlkampf. Das ist heute nicht mehr so. Um die Menschen zu erreichen kann ich nicht einfach auf sie warten, sondern ich muss da hin, wo sie sind. Auf der Arbeit, zu Hause, in ihrem Sportverein. Ich kann ein Praktikum in einem Betrieb machen oder spontan sonntags auf dem Spielplatz rotes Wassereis verteilen. Manches klappt gut, manches nicht. Aber ich muss es ausprobieren! Die Leute warten nicht auf ihren Abgeordneten, aber sie freuen sich, wenn er bei ihnen vorbeischaut.

Wir stehen gegen Populisten

Ich bin der festen Überzeugung: die Menschen wählen am Ende den oder diejenige, den sie nicht erst 4 Wochen vor der Wahl zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Sie wählen den, von dem sie wissen, welche grundsätzlichen Positionen er vertritt, welche Themen er im Stadtteil bearbeitet hat und mit dem sie im besten Fall schon einmal persönlich gesprochen haben. In der Bürgersprechstunde, auf dem Schützenfest oder samstags an der Wursttheke im Supermarkt. Das ist der beste Schutz gegen Populisten und die Leute haben ein feines Gespür dafür, wer ihnen da gerade etwas erzählt. Wenn der Populist im Frühjahr nächsten Jahres dahin kommt, wo ich schon war oder sowieso immer bin, dann hat er keine Chance die Menschen einzufangen. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die Grundwerte der SPD seit über 150 Jahren. Ehrlichkeit, Realismus und Bodenständigkeit sollten selbstverständlich sein. Für alle, aber für Sozialdemokraten im Ruhrgebiet vielleicht noch ein bisschen mehr.