Rückkehr zu G9-Abitur in NRW wird realistischer
Nun kommt der Abi-Streit auf die neue Landesregierung zu: Seit Januar hat die Elterninitiative „G9 Jetzt NRW“ schon mehr als 400.000 Unterschriften für die Rückkehr zum neunjährigen Abitur gesammelt. Der Erfolg des ersten Volksbegehrens seit 39 Jahren scheint möglich.
Rund 1,1 Million Stimmen wahlberechtigter NRW-Bürger braucht die Elterninitiative für ihre Gesetzesänderung zum Abitur an Gymnasien. Ein Jahr lang hat sie dafür Zeit. Und die Chancen auf einen Erfolg stehen gut: Ende April hatten die Eltern nach eigenen Angaben bereits 400.000 Unterschriften zusammen. „Es ist damit realistisch, dass wir das Begehren trotz der hohen Hürden durchkriegen“, sagt Initiativen-Sprecher Marcus Hohenstein.
Unsere Serie: G8 oder G9
Teil 1 – Volksbegehren gegen das Turbo-Abi gestartet
Teil 2 – Das wollen die Parteien, das die Betroffenen
Teil 3 – Die Menschen hinter der Initiative
Teil 4 – Kritik am Volksbegehren
Teil 5 – Aufstand der Bildungsbürger
Bis zum 4. Januar 2018 müssen mindestens 1.060.963 Stimmen vorliegen. Sie müssen allerdings auch von den Wahlämtern der jeweiligen Heimatkommune der Unterzeichner bestätigt sein. Und das ist gar nicht unproblematisch. „Einige Wahlämter lassen sich dafür Monate Zeit“, sagt Hohenstein, der dem Landtag bereits 2014 fast 100.000 gültige Unterschriften für die Volksinitiative überreichte. Dieses Mal will die Initiative bereits Ende Oktober damit beginnen, die Unterschriftenlisten an die Kommunen zu schicken.
Bleiben also noch gut fünf Monate zum Weitersammeln. Mit immer mehr Helfern: Rund 5.400 Menschen haben sich auf der Webseite des Elternvereins registriert. „Auch das lässt hoffen“, sagt Hohenstein.
Mehr jedenfalls als die Ergebnisse aus der Amtseintragung: Noch bis zum 7. Juni sollen Listen in Rathäusern und Bürgerbüros ausliegen. Doch auch dort gibt es Probleme, berichtet Hohenstein. „Wir kriegen im ganzen Land Rückmeldungen darüber, dass es in den Rathäusern nicht gut läuft.“ Dass die Listen in den Ämtern schlecht zu finden seien zum Beispiel. „Mancherorts ziehen Bürger Wartemarken, warten stundenlang und hören dann, dass der Zuständige jetzt aber zu Tisch ist“, sagt er. „Wir müssen wohl voll auf unsere eigene Sammlung setzen.“
Initiative will mitreden in der Politik
Bereits die Schwesterninitiative „G9 jetzt HH“ habe diese Probleme gehabt. „Sie haben nur etwa fünf Prozent ihrer Stimmen in den Rathäusern bekommen“, sagt der Physiklehrer aus Siegen. Die Initiative scheiterte schließlich 2014 an zu wenigen Unterschriften. Ein Schicksal, das die NRW-Initiative nicht teilen möchte. Sie möchte schon jetzt mitreden in der Politik. Hohenstein hat bereits um einen Gesprächstermin beim Wahlsieger CDU gebeten. Bisher allerdings ohne Rückmeldung.
„Wir hoffen, dass wir mit der neuen Landesregierung besser ins Gespräch kommen“, sagt Hohenstein. Rot-Grün habe die Initiative regelrecht blockiert. Aber die Bundestagswahl sei schließlich nahe. „Das Thema kann jetzt nicht vier Jahre lang ausgesessen werden.“ Bildungspolitik und vor allem auch die G8-Kritik habe bei der NRW-Wahl eine große Rolle gespielt – insbesondere für das schlechte Abschneiden der Grünen. „Für ein gutes Bundestagswahlergebnis können die Wünsche der vielen Eltern in NRW und anderen Bundesländern nicht ignoriert werden.“
Doch noch ist er auch bei CDU und FDP skeptisch.
Bei der Parlamentsentscheidung, die Volksinitiative 2015 abzulehnen, hatten sich die Christdemokraten enthalten. Und vor der aktuellen Wahl hatten sie als letzte einen Vorschlag zum Abitur-Streit präsentiert. Demnach soll sich die Schulkonferenz einer Schule für die Rückkehr zu G9 entscheiden können, „und dann kann die Schulbehörde der Kommune das aber auch ablehnen“, sagt Hohenstein.
Auch die Aussage der FDP zur „Wahlfreiheit des Abiturs“ sieht Hohenstein kritisch. „Vor allem gibt es unter den FDP-Politikern sehr viele G8-Befürworter, die nur durch ihre Mitgliederbefragung von ihrem strikten G8-Kurs abgekommen sind.“ Bei einer Befragung der Parteibasis in 2016 hatten 70 Prozent der FDP-NRW-Mitglieder für eine Wahlfreiheit der einzelnen Gymnasien zwischen einer acht- oder neunjährigen Schulzeit plädiert. „Auch bei der neuen politischen Konstellation können wir auf Einsicht nur hoffen: Da ist sie noch nicht“, sagt Hohenstein. Und sowieso darauf hoffen, dass 15 Prozent der Stimmberechtigten die Vorstellungen der Elterninitiative vom Abitur in NRW unterschreiben und die Regierung zu dieser Entscheidung zwingen.
In den Rathäusern liegen die Eintragungslisten für das Volksbegehren noch bis zum 7. Juni aus. Die Ämter sind am 28. Mai zum letzten Mal auch sonntags geöffnet. Die Initiatoren des Volksbegehrens müssen bis zum 4. Januar 2018 mindestens 1.060.963 von den Wahlämtern der Kommunen bestätigte Unterschriften vorlegen. Stimmberechtigt sind deutsche Staatsbürger, die mindestens 18 Jahre alt sind und ihren Hauptwohnsitz in NRW haben.
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Update 22.5.2017 – 9:29 Uhr:
Zu einer Stundenverteilung in der Oberstufe hat die CDU keine Aussage im Programm gemacht. In Interviews hat sie sich für eine Rückkehr zum „echten G9“ ausgesprochen. In der ursprünglichen Version des Textes hatte es geheißen „Die Stundenverteilung in der Oberstufe soll nach dem CDU-G9-Modell so bleiben wie beim derzeitigen G8“.