Hohe Zahl der Rotlicht-Sünder macht der Bahn große Sorge
Die Bahn hat ein Problem mit Rotlicht-Sündern. Immer öfter werden Haltesignale überfahren – wie jetzt in Meerbusch zwischen Krefeld und Köln.
Eine zunehmend hohe Zahl auf „rot“ gestellter, dann aber missachteter Halt-Signale wird nach CORRECTIV-Informationen im deutschen Schienennetz zum Sicherheitsproblem. 2016 gab es mehr als 500 Vorkommnisse dieser Art. Statistisch sind das jeden Tag ein bis zwei, bei denen zum Teil erst im letzten Moment notgebremst wird. Das Eisenbahnbundesamt hat die Bahnunternehmen aufgefordert, Lokführer und Fahrdienstleiter nachzuschulen.
Wer oder was war schuld? Staatsanwälte und Unfallexperten der Bahn suchen seit Dienstagabend intensiv nach der Ursache der Kollision von Meerbusch. Bei dem Zusammenstoß zwischen einem Regional- und einem Güterzug zwischen Krefeld und Köln am Dienstag sind 50 Menschen verletzt worden. Der Regionalzug hatte das Halt-Signal überfahren. Wahrscheinlich gab das Stellwerk dem Lokführer die Order dazu. Irrtümlich.
Seit 2014 ein Problem
Das Unfallszenario wie in Meerbusch – zwei Züge im selben Gleis – macht den Verantwortlichen seit drei Jahren zunehmend Sorge. Denn 2014 ist die Zahl der Rotlicht-Verstöße im deutschen Schienennetz abrupt auf ein hohes Niveau gestiegen – und seither dort geblieben.
Aus einem Sicherheitsbericht des Eisenbahnbundesamtes geht hervor, dass im Jahr 2016 449 mal rote Halt-Signale überfahren wurden, wobei die Loks oft rechtzeitig durch die eingebaute Technik zwangsgebremst werden konnten. In weiteren 74 solcher Fälle kam der betreffende Zug erst am Gefahrpunkt zum Stehen, wie sich die Eisenbahner ausdrücken. Also nach einer Notbremsung.
Das ist deutlich mehr als 2015. Da gab es 411 solcher Vorfälle vor dem und 71 mit Erreichen des Gefahrpunkts. Schon 2014 war – anders als in den Jahren davor – mit insgesamt 470 Rotlicht-Sünden ein erster Höchststand erreicht worden. Gegenüber 2013 war das eine Steigerung um 25 Prozent.
Oft heben Fahrzeugführer nach einem Überfahren des Halt-Signals die automatisch von der Technik ausgelöste Zwangsbremsung selbstständig wieder auf – teils aus nicht nachvollziehbaren Motiven. In anderen Fällen wird ihnen, offenbar wie in Meerbusch, vom Stellwerk ein Befehl zur „Fahrt auf Sicht“ gegeben. Dafür gibt es meist durchaus Gründe, zum Beispiel bei einem defekten Signal. Diese „legalen“ Rotlicht-Fahrten sind aber nicht in der Statistik des Eisenbahnbundesamtes erfasst.
Unfälle mit vielen Toten
Die Bahn ist nach wie vor das sicherste deutsche Verkehrsmittel. Aber gerade Rotlicht-Fahrten gehen nicht immer glimpflich aus.
Januar 2011. Auf einer eingleisigen Strecke bei Magdeburg kollidiert ein Personen- mit einem Güterzug. Es herrschte dichter Nebel, der Güterzug-Lokführer hatte das Haltesignal übersehen. 10 Insassen des Regionalzugs kamen um. 23 wurden schwer verletzt.
Januar 2015: Eine S-Bahn rammt auf einem Bahnübergang zwischen Remscheid und Solingen den Mercedes eines 78-Jährigen. Für die Bahn hatte das Signal auf „Halt“ gestanden, der Zug wurde nach dem Überfahren zwangsgebremst. Der S-Bahn-Führer löste die Bremse trotzdem und krachte in das Auto. Der langsamen Fahrt des Zuges war es zu verdanken, dass der Pkw-Insasse „nur“ schwer verletzt wurde.
August 2014. Der Lokführer eines Güterzuges von Duisburg nach Sopron in Ungarn überfährt in Mannheim gleich mehrere rote Hauptsignale und rammt den IC Graz-Saarbrücken. Er war vorher mehrmals zwangsgebremst worden, hatte die Bremsvorgänge aber immer wieder aufgehoben. Die Bilanz: 35 Verletzte und Millionenschaden.
Das Eisenbahnbundesamt steht vor einem Rätsel, geht aus seinen letzten Sicherheitsreports hervor. Es sieht die Steigerungen nicht mehr als statistische Ausreißer und kündigt an, das Thema „intensiv im Blick zu behalten.“ Die Bahnunternehmen fordert es auf, in Gesprächen mit dem Lok- und Stellwerkspersonal Fehlern vorzubeugen. Denn überfahrene Haltesignale – seien sie durch den Lokführer verursacht oder durch den Fahrdienstleiter angeordnet worden – zählen inzwischen zu den vier schwersten Ursachen für Zugunglücke.
Dramatisch hat dies der Zusammenstoß zweier Regionalzüge auf eingleisiger Strecke im bayerischen Bad Aibling im Februar 2016 deutlich gemacht. Zwölf Zuginsassen starben dabei, 89 wurden schwer verletzt. „Der schwere Eisenbahnunfall von Bad Aibling sowie einige weitere Ereignisse zeigen, dass dem Faktor Mensch und seinem Wirken im System Eisenbahn verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Auch die hohe Zahl von überfahrenen Haltesignalen fällt in diesen Bereich“, stellt das Eisenbahnbundesamt in seinem letzten Bericht fest.
Nach Bad Aibling erhoben Experten gegenüber der Bahn allerdings auch den Vorwurf, veraltete Stellwerkstechnik einzusetzen.