
Liebe Leserinnen und Leser,
dieses Thema betrifft die Hälfte der Menschen im Land, deshalb ist es heute unser Schwerpunkt: Eine Gruppe Abgeordneter will – noch vor den Neuwahlen – dafür sorgen, dass Abtreibungen legalisiert werden. „Sind die nicht längst legal?“, werden Sie sich vielleicht fragen. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Komplex.
Außerdem im Spotlight: In der „Leserfrage der Woche“ beantwortet unser Reporter Finn Schöneck, ob das mittlerweile ziemlich problematische Soziale Netzwerk X in der EU verboten werden könnte. Und unsere Reporterin Gabriela Keller hat herausgefunden, dass es immer mehr organisierte Kriminelle aus Russland zu uns zieht.
Gestern hatte ich Sie gefragt, was Sie darüber denken, dass jetzt der Antrag auf ein AfD-Verbotsverfahren eingegangen ist. Ihre Antworten lesen Sie Anfang nächster Woche im Spotlight. Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Schreiben Sie mir gern wie immer alles, was Sie bewegt: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Abtreiben bald legal?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Leserfrage der Woche: Warum wird die Plattform X (ehemals Twitter) in Europa nicht verboten?
Faktencheck: Video von Niederländer, die Angriffe auf Israelis feiern?
CORRECTIV-Werkbank: Was Trumps Wiederwahl für Russland bedeutet
Grafik des Tages: Was wäre, hätten wir ein Wahlsystem wie in den USA?
Abgeordnete aus mehreren Bundestagsfraktionen haben sich zusammengetan: Sie wollen dafür sorgen, dass vor den wahrscheinlichen Neuwahlen im Februar ein Gesetz durchgeht, das Schwangerschaftsabbrüche legalisiert.
Sind sie nicht schon legal?
Nein. Offiziell sind Abtreibungen in Deutschland bis zum Ende der zwölften Schwangerschaftswoche bislang zwar „entkriminalisiert“, werden also nicht bestraft. Das steht in Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs: Demnach könnte eine schwangere Frau, die ihre Schwangerschaft abbrechen lässt, eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bekommen.
Warum braucht es die Gesetzesänderung aus Sicht der Abgeordneten?
Schwangere Frauen, die abtreiben wollen, haben bisher keine Rechtssicherheit. Aktuell ist es so: Kämen bei der vorgezogenen Bundestagswahl konservative Parteien an die Macht, die das Abtreibungsrecht verschärfen wollen (so wie dies in Polen und den USA in den vergangenen Jahren geschah), wäre das sehr einfach und schnell möglich – so lange der Paragraf 218 noch in dieser Form existiert.
Was dahinter steht:
Tatsächlich wirken gerade jetzt auch bei uns schon einige konservative Gruppierungen darauf hin, das Abtreibungsrecht in Deutschland zu verschärfen.
Zum Beispiel: Am kommenden Wochenende treffen sich in Bonn die „Jungen Christdemokraten für das Leben“ (CDL) – eine strikt konservative Untergruppierung der Jugendorganisation der CDU mit bundesweit rund 5.000 Mitgliedern. Hier die Einladung zu deren Veranstaltung. Es geht dort um Abtreibungen, und die skeptische Haltung der Gruppierung wird im Einladungsschreiben deutlich: Besprochen werden sollen „ethische Dimensionen“ und „emotionale Tiefendimensionen“ von Schwangerschaftsabbrüchen. Einer der Referenten ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe, der sich deutlich gegen eine Legalisierung von Abtreibungen ausspricht.
In ihrer Haltung bekommen die Konservativen hierzulande seit Kurzem auch Unterstützung aus den USA: Wir haben vor ein paar Wochen eine Recherche veröffentlicht, die zeigt: Die religiöse Fundamentalisten-Gruppe ADF aus den USA – die dort schon erfolgreich auf die Verschärfung der Abtreibungsgesetze einwirkte – ist nun auch verstärkt in Europa unterwegs.
Der Wahlsieg Donald Trumps dürfte mit hoher Wahrscheinlichkeit dafür sorgen, dass diese und andere ultrakonservative Akteure aus den USA sich bald noch stärker mit ihren Gegenstücken hierzulande vernetzen und politische Wirkmacht entfalten. Deshalb gibt es die aktuelle Gesetzesinitiative – mit dem Ziel, das Selbstbestimmungsrecht von uns Frauen vor dem Zugriff der Ultrakonservativen zu schützen.
Lage Nahost
Human Rights Watch wirft Israel Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Die Nichtregierungsorganisation führt als Grund für den Vorwurf unter anderem systematische Zwangsumsiedlungen von Palästinensern an. Israel hält sein Vorgehen für legal.
arte.tv (Videobeitrag, 2 min)
Hirnwurm
Trump wird Robert F. Kennedy Jr. für das Amt des Gesundheitsministers nominieren. Der Neffe John F. Kennedys war in der Vergangenheit als Impfskeptiker, Verschwörungstheoretiker und Wirt eines parasitischen Wurms in seinem Gehirn aufgefallen.
stern.de
Gute Nachrichten für 13 Millionen Nutzer
Die Union will dem Deutschlandticket nun doch zustimmen. Genauer gesagt ist ein Gesetz gemeint, das dessen Finanzierung sichert.
mdr.de
Investigativ
Durch den Krieg in der Ukraine emigrieren russische Kriminelle in die EU. Gegenüber CORRECTIV heißt es, hierzu lägen „gesicherte polizeiliche Erkenntnisse“ vor.
correctiv.org

Leserfrage der Woche

Eine Leserin fragt:
Warum wird die Plattform X (ehemals Twitter) in Europa nicht verboten, wenn dort so viele Falschmeldungen unterwegs sind?
Tatsächlich beschäftigt sich die EU-Kommission im Moment mit X. Das Verfahren könnte am Ende zu einer Sperrung der Plattform in der EU führen.
Geprüft wird, ob X gegen den Digital Services Act (DSA) verstößt. Der DSA ist eine Gesetzgebung der EU – Dienste mit nutzergenerierten Inhalten müssen sich intensiver mit den Inhalten auseinandersetzen, die nach geltendem Gesetz illegal sind. Das heißt konkret: Hasspostings, Fehlinformationen oder betrügerische Inhalte müssen künftig schneller von den Plattformen entfernt werden – und dafür muss es den Nutzern leichter gemacht werden, diese zu melden.
In einem vorläufigen Ergebnis kommt die EU-Kommission zu dem Schluss, dass X wegen mehrerer Punkte gegen den DSA verstößt – Falschbehauptungen spielen dabei jedoch eine untergeordnete Rolle: X verstoße mit dem umstrittenen blauen Haken, intransparenter Werbung und fehlendem Datenzugang für Forschende gegen den DSA. Derzeit laufe das Verfahren noch und es sei nicht absehbar, wann es abgeschlossen werde, schreibt uns eine Sprecherin der EU-Kommission auf Anfrage.
X-Eigentümer und „First Buddy“ Elon Musk schmeckte das vorläufige Ergebnis der DSA-Prüfung schon mal gar nicht – in staatsmännischer Manier beleidigte er EU-Kommissar Thierry Breton in einem Post auf X. Der nächste Vize-Präsident der USA, J.D. Vance, verknüpfte sogar kürzlich den Nato-Verbleib des Landes mit der Frage, ob die EU X regulieren würde.
Eine Sperrung der Plattform ist nach DSA generell möglich – die politische Dimension zeigt aber: Die EU-Kommission muss so einen Schritt genau abwägen. Aber auch eine Geldstrafe könnte Musk empfindlich treffen: Nach Aussagen des Kommissionssprechers Thomas Regnier könnte die EU-Komssion alle Unternehmen Musks in die Berechnungsgrundlage der Strafe einbeziehen: Laut Berechnungen der Nachrichtenagentur AFP käme man dann auf bis zu sechs Milliarden Euro Strafe.

Nachdem es in Amsterdam zu Krawallen zwischen israelischen und lokalen Fußballfans und antisemitischen Attacken kam, kursiert auch Bildmaterial in falschem Kontext. Dazu gehört auch ein Monate altes Video.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Der Wahlkampf hat begonnen! Am 23. Februar wird ein neuer Bundestag gewählt. Die Parteien machen sich bereit für das Rennen um die Sitze im neuen Parlament. Aber welche Partei hat gute, welche schlechte Chancen? Wer fliegt voraussichtlich aus dem Bundestag und wer kommt neu dazu? Unsere Jugendredaktion erklärt, wie die Parteien rund vier Monate vor der Wahl dastehen.
instagram.com
So geht’s auch
In Schweden ist es möglich sich in Teilzeit krankschreiben zu lassen. Der Krankenstand in Deutschland ist hoch – deshalb bringt Ärztepräsident Klaus Reinhardt dieses Modell ins Gespräch.
rnd.de
Fundstück
In Kalifornien hat ein Mann im Bärenkostüm sein Auto zerlegt, um seine Versicherung zu täuschen – das Ganze wurde von Überwachungskameras festgehalten. Bei Polizei-Ermittlungen wurde das Kostüm (inkl. Krallen) gefunden:
bbc.com (Englisch)
Als Wladimir Putin im September erklärte, dass Moskau Kamala Harris als Kandidatin für die US-Präsidentschaftswahl unterstütze, war sofort klar, dass dies Sarkasmus war. In Wahrheit wäre es für Moskau weit vorteilhafter, Donald Trump als nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten zu sehen. „Er spricht von Konservatismus, ist reich und erfolgreich. „Trump ist irgendwie wie wir“, fasste ein anonymer Informant von Meduza die Haltung der russischen Elite gegenüber Trump zusammen.
Es geht jedoch nicht nur um gemeinsame Werte oder ähnliche Stilrichtungen. So oft Putin auch wiederholt, dass ihm die westliche Anerkennung gleichgültig sei, bleibt das Ziel, an den Verhandlungstisch als ebenbürtiger Partner zurückzukehren, eines der zentralen Ziele der russischen Außenpolitik seit der Annexion der Krim.
Dieser Kreml-Traum scheint sich bereits zu erfüllen: Laut der Washington Post rief Trump am 11. November Putin an. Wenn der US-Präsident das Gespräch mit dem Präsidenten eines als Aggressor angesehenen Landes initiiert, kann die Strategie der internationalen Isolation endgültig als gescheitert betrachtet werden. Trump ist noch nicht einmal im Amt, und Putin hat bereits seine Position auf der internationalen Bühne gestärkt.
Mit Trumps Einzug in das Weiße Haus eröffnet sich für Putin ein neues Feld strategischer Möglichkeiten. Die Ziele des russischen Diktators beschränken sich keineswegs nur auf die Kontrolle eines Teils der Ukraine. Die vollständige Unterwerfung der Ukraine (und später möglicherweise Moldawiens und Georgiens) sowie die Errichtung eines europäischen Sicherheitssystems, das Russlands militärischen und politischen Einfluss institutionalisiert, bleiben zentrale Anliegen des russischen Regimes.
Bis zum 5. November bestand der Weg zur Erreichung dieser Ziele darin, die ukrainische Verteidigung langsam zu durchbrechen. In diesem schrecklichen Abnutzungskrieg hat Russland im vergangenen Jahr zwar Fortschritte erzielt, jedoch kam jeder Kilometer eroberter ukrainischer Boden zu einem hohen Preis. Trumps Ankündigung, den Krieg innerhalb von 24 Stunden oder spätestens in zweieinhalb Monaten zu beenden, gibt dem Kreml eine nicht unbegründete Hoffnung, dass der neue alte US-Präsident, in seiner impulsiven und selbstsicheren Art, es Putin ermöglichen könnte, wesentlich mehr und viel schneller zu erreichen, als er es sich bei einem Sieg der Demokraten hätte erträumen können.

So sähen die Mehrheitsverhältnisse aus, wäre die Bundestagswahl 2021 nach dem amerikanischen Wahlprinzip organisiert worden. Der Gewinner bekommt die Wahlleute des gesamten Bundeslandes zugesprochen. Diese fiktive Rechnung ist natürlich in der Praxis nicht anwendbar. Sie demonstriert aber einen zentralen Unterschied: Während das US-System darauf ausgelegt ist, stabile Regierungsmehrheiten zu organisieren, verfolgt das deutsche Wahlsystem besonders das Ziel, unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen zu repräsentieren.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Sebastian Haupt, Elena Schipfer, Finn Schöneck
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