Teaser Bild des CORRECTIV Spotlight Newsletters
Autor Bild Anette Dowideit

Liebe Leserinnen und Leser, 

seitdem am Freitag bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz die AfD jetzt als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft, haben uns Hunderte Fragen von Ihnen erreicht: Welche Konsequenzen hat das für die Partei, was geschieht als Nächstes?

Unsere AfD-Verbotsverfahren-Reporterin Marie Bröckling ist auf die Suche gegangen – gemeinsam mit unserer neuen SPOTLIGHT-Reporterin Samira Joy Frauwallner. Im Thema des Tages beantworten wir die Fragen, die Sie am häufigsten gestellt haben.

Wir von CORRECTIV haben heute auch noch ein größeres Paket zu diesem Thema geschnürt: 

  • Reporterin Frauwallner hat die Fernsehsender gefragt, ob sie jetzt einen anderen Umgang mit AfD-Politikern als Talkshow-Gästen planen. Das Ergebnis lesen Sie hier
  • Von Marie Bröckling gibt es außerdem eine neue Analyse: Was spricht rein theoretisch für und was gegen ein AfD-Verbot?
  • Und unsere Reporter Marcus Bensmann und Jean Peters beschreiben in diesem Text, dass nach dem neuen Gutachten ein Richtungsstreit in der AfD entbrannt ist: Während die einen meinen, die Partei solle sich noch stärker auf ihre völkische Ideologie konzentrieren, warnen die anderen: Man müsse sich nun besser in Zurückhaltung üben.
AfD-Chef Tino Chrupalla im vergangenen Jahr bei Markus Lanz. Quelle: picture alliance / teutopress

Nun noch mal zu Friedrich Merz: Seit gestern Abend haben mich über 100 E-Mails von Ihnen erreicht, vielen Dank für Ihre Meinung! 

Ich habe alle gelesen: Der weit überwiegende Teil von Ihnen findet es gut, dass Merz im ersten Wahlgang einen Denkzettel bekommen hat – dann aber, im Sinne einer stabilen Bürokratie, doch zum Bundeskanzler gewählt wurde. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend – und schreiben Sie mir wie immer gern: anette.dowideit@correctiv.org.

Thema des Tages: Antworten auf Ihre Fragen zur AfD

Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste

Denkanstoß: „Migrationswende?“ Nur unter Vorbehalt

Faktencheck: Robert F. Kennedy Jr. gewann keinen Corona-Prozess am Obersten Gerichtshof

Gute Sache(n): Erklärt: Diskriminierende Stadtarchitektur • Immer mehr barrierefreie Taxis • Doppeltes Lottchen im Bundestag

CORRECTIV-Werkbank: Indien und Pakistan im Konflikt

Grafik des Tages: NS-Relativierer: Schlussstrichforderungen und irreführende Informationen verbreiten sich massenhaft

Was passiert jetzt mit Beamten, die Mitglied bei der AfD sind – also Lehrer, Richter und Polizisten?
Dürfen sie vielleicht bald nicht mehr im Staatsdienst tätig sein?


Nein. Es gibt keine pauschale Regelung für alle AfD-Mitglieder. Die Sicherheitsbehörden prüfen ohnehin schon jeden Beamten bei seinem Eintritt in den Beamtenstatus darauf ab, ob sie oder er einen extremistischen Hintergrund hat. Das machen sie weiterhin und entscheiden im Einzelfall, ob jemand bedenkliche verfassungsfeindliche Motive hat oder nicht.

Was würde mit den Abgeordneten der AfD passieren, falls die Partei verboten werden würde? Müssten sie den Bundestag bzw. Landtag verlassen?
Ja. Die AfD-Abgeordneten müssten in diesem Fall wohl ihre Mandate abgeben. Genauer lässt sich das in diesem Dokument des Bundestags nachlesen.

Juristisch umstritten ist allerdings die Frage, ob man bei jedem Abgeordneten einzeln prüfen müsste, ob er oder sie sich verfassungswidrig verhalten habe.

Würde bei einem AfD-Verbot nicht einfach eine neue Partei mit gleichem Inhalt und anderem Namen gegründet werden?
Nein. 

Diesen Fall hat der Gesetzgeber schon mitgedacht: Eine Ersatzpartei, die die Bestrebungen der AfD „an deren Stelle weiter verfolgt oder fortführt“ würde ebenfalls verboten. Das steht in diesem Paragrafen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz. 

Würde die Partei verboten, müsste es dann Neuwahlen geben?
Nein. Es gibt unseres Wissens kein Gesetz, das dies vorsieht. Die AfD-Mandate würden also ersatzlos verloren gehen, wie in diesem offiziellen Bundestags-Dokument nachzulesen ist.

Spionagesoftware-Entwickler muss eine große Strafe an Meta zahlen 
Die israelische Firma NSO hat zahlreiche WhatsApp-Nutzer ausspioniert. Die Software war dazu imstande, unbemerkt auf Kameras, Mikrofone oder Textnachrichten zuzugreifen. Der Entwickler der Spionagesoftware muss nun 168 Millionen Dollar Strafe an Meta zahlen, dem Konzern hinter WhatsApp. 
zeit.de

Essen: Taxifahrer protestieren gegen Uber 
Der Preiskampf von Taxifahren in Essen hat seinen Höhepunkt erreicht. 120 Taxifahrer protestierten heute mit Hilfe einer Straßenblockade in der Essener Innenstadt. Sie fordern von der Stadt Essen einen Mindestfahrpreis für Fahrdienstleiter wie Uber festzulegen. 
wdr.de / radioessen.de

CORRECTIV-Recherche: Nach Spionage-Vorwürfen werden härtere Ausschlusskriterien bei China-Kooperationen gefordert 
Führende Innenpolitiker und Experten bemängeln einen sorglosen Umgang mit chinesischen Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Nach einer CORRECTIV-Recherche zu Auffälligkeiten an der TU München fordern sie härtere Ausschlusskriterien und Zugangsbeschränkungen für chinesische Studenten und Gastprofessoren. 
correctiv.org


Jetzt ist Merz Kanzler. Und schon am ersten Tag sollte es losgehen: Mehr Grenzkontrollen, mehr Zurückweisungen, die AfD „wegregieren“. Wegen der turbulenten Wahl im Bundestag war auch die Bundespolizei kurz verwirrt. Aber jetzt werden sie kommen, die Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze.

Man muss vergessen machen, was im Januar im Bundestag passierte: Als Merz mit seinen Zurückweisungs-Gesetzesplänen krachend scheiterte. Im Stich gelassen auch von seinen eigenen Abgeordneten. In den Ohren den höhnischen Applaus der AfD.

Die pauschalen Zurückweisungen waren zuerst eine Idee der AfD, die mit dem Vorschlag im Juni 2024 voranpreschte. Im Oktober hatte die CDU/CSU die Forderung übernommen. In dem Fall hieß „die AfD wegregieren“ offenbar: Ihre Forderungen zu übernehmen.  

Prestigeprojekt verstößt gegen EU-Recht
CDU-Kanzler und CSU-Innenminister haben jetzt erst einmal freie Hand. Sie wollen starke Zeichen setzen. Bevor die Gerichte sie stoppen. Das Prestigeprojekt der Union, die Zurückweisungen von Asylsuchenden, hat nämlich ein Problem: Es ist EU-rechtswidrig, so die Meinung der meisten Experten. Auch ein internes Gutachten des Bundeskanzleramts kam zu diesem Schluss. 

Asylsuchende ohne Prüfung an den Grenzen abzuweisen, verstößt unter anderem gegen die Dublin-Regeln. Dass die Dublin-Überstellungen in andere EU-Länder fast immer scheitern, reicht nicht, damit dadurch Zurückweisungen an deutschen Grenzen rechtmäßig wären. Auch wenn die Union das gerne hätte.

Deutschland muss zumindest prüfen, welcher andere Staat für einen Asylantrag zuständig ist. Schon das dauert mindestens einige Wochen. Sobald das klar ist, hat Deutschland sechs Monate Zeit für die „Abschiebung“. Wenn das nicht klappt, wie in den meisten Fällen, muss es das Asylverfahren übernehmen.

Merz bleibt nicht viel Zeit
Das eine ist die Rechtslage. Das andere ist die politische Machbarkeit. Auch hier sieht es schlecht aus. Der Koalitionspartner SPD ist gegen „generelle Zurückweisungen“. Und auch die Nachbarländer in Form von Polen, Österreich sind es, und auch Griechenland.

Allerdings öffnet sich jetzt ein Möglichkeitenfenster: Denn auch wenn das Projekt höchstwahrscheinlich rechtswidrig ist – bis die Gerichte das endgültig feststellen, bleibt laut Experten mindestens ein Jahr. So lange hat Merz, damit die Zahlen der Asylsuchenden genügend zurückgegangen sind. Danach kann er still und heimlich die Zurückweisungen wieder abräumen. So wie die Schuldenbremse.

Und die Zeit spielt für ihn. Die Zahl der Asylanträge sinken seit anderthalb Jahren. Zeitgleich mit den Zurückweisungen der Ampel-Regierung haben auch die Westbalkanstaaten, besonders Serbien und Italien, ihren Grenzschutz verschärft. Und was die Zahlen weiter drückt, ist der Sturz des Assad-Regimes in Syrien im Dezember.

Robert F. Kennedy Jr.
(Foto: Jose Luis Magana / Associated Press / Picture Alliance)

So geht’s auch
In Berlin wächst die Zahl barrierefreier Taxis. Schon fast 150 sogenannter Inklusionstaxis für Menschen mit Behinderungen fahren durch die Hauptstadt. 
rbb24.de 

Fundstück
Es hätte der verwirrendste Wahlkampf aller Zeiten werden können – wären statt der Spitzenkandidaten von Union und SPD Armin Laschet (CDU) und Boris Pistorius (SPD) in den Ring gestiegen. Die optische Ähnlichkeit beider Politiker amüsierte auch am gestrigen Tag viele Internetnutzer, die eine Szene von beiden im Gespräch im Bundestag teilten. „Armin Laschet im Selbstgespräch“, war etwa eine der Bemerkungen. Doch was im Netz für Scherze gut ist, stellt selbst Sicherheitsbehörden vor Herausforderungen. Denn auch diese verwechseln die beiden gelegentlich:  
tagesspiegel.de

Noch so ein vermeintliches Selbstgespräch: Laschet (links) und Pistorius im vergangenen Herbst im Bundestag. Quelle: picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Auslöser der aktuellen Eskalation war ein Terroranschlag am 22. April im indisch kontrollierten Teil Kaschmirs: Auf einer Bergwiese bei Pahalgam wurden 26 Menschen getötet – überwiegend hinduistische Touristen. Indien macht Pakistan für den Angriff verantwortlich, was die pakistanische Regierung jedoch zurückweist.

Als jemand, der aus Bangladesch stammt, beobachte ich diesen Konflikt nicht nur als Journalistin, sondern auch mit persönlicher Verbindung. Unsere Generation – und die Generationen davor seit 1947 – wissen: Eine Eskalation in Kaschmir oder zwischen Indien und Pakistan endet meist blutig und fordert zahlreiche zivile Opfer.

Kaschmir ist eine zwischen Indien und Pakistan umstrittene Region im Himalaya, die seit der Teilung Britisch-Indiens 1947 immer wieder Anlass für Kriege war. Beide Länder beanspruchen das Gebiet vollständig, kontrollieren jedoch jeweils nur einen Teil.

Indien und Pakistan haben bereits zwei große Kriege um Kaschmir geführt – insgesamt vier Kriege – jeder davon hat tiefe Wunden hinterlassen.

Pakistan berichtet, dass bei den indischen Angriffen mindestens 26 Menschen getötet wurden, darunter ein dreijähriges Mädchen, sowie mindestens 46 weitere verletzt. Auch auf indischer Seite wurden acht Tote gemeldet.

Gerade jetzt, wo westliche Länder – darunter Deutschland – versuchen, Indien als strategischen Partner im Wettbewerb mit China zu positionieren, droht diese Instabilität das geopolitische Gleichgewicht zu erschüttern: China oder Russland könnten versuchen, sich als Vermittler zu inszenieren. Oder schlicht davon profitieren, dass der Fokus des Westens erneut woanders liegt.

Doch viele rechte Kräfte fordern inzwischen weit mehr, sie versuchen, die NS-Diktatur zu verharmlosen. Die parlamentarische Speerspitze bildet hier die AfD-Führung (Stichworte „Vogelschiss in der Geschichte“), die dabei auch auf Falschinformationen setzt – wie etwa Alice Weidel mit ihrer Behauptung, Hitler sei Kommunist gewesen (unser CORRECTIV.Faktencheck dazu hier). Doch auch die sozialen Netzwerke sind voll von NS-relativierender Desinformation. Und die richtet sich etwa in Form von Memes besonders an junge Menschen, wie eine lesenswerte Studie der Bildungsstätte Anne Frank zeigt.
bs-anne-frank.de 

An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.