Liebe Leserinnen und Leser,
der Andrang vor dem Gerichtsgebäude im französischen Avignon war heute Morgen riesig. Hunderte wollten miterleben, wie im Prozess gegen Dominique Pelicot, der seine damalige Ehefrau seit 2011 immer wieder mit Drogen bewusstlos machte und sie mehr als 80 Männern zur Vergewaltigung anbot, das Urteil fällt.
Gisèle Pelicot, das Opfer, hat es geschafft, zur Ikone der Hoffnung zu werden und sich aus der Opferrolle zu befreien. Im Thema des Tages blicken wir aus diesem Anlass auf die Frage, wie es um den Schutz von Frauen steht, auch bei uns in Deutschland.
In eigener Sache: Im Januar geht unsere Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“ auf Deutschland-Tournee. Unser Reporter Jean Peters ist in mehreren Städten auf Bühnen unterwegs und berichtet auf unterhaltsame Weise über Details. Hier geht’s zu den Tickets.
Danke Ihnen für die vielen E-Mails zur Frage, welche Fragen wir an die Kandidatinnen und Kandidaten im Bundestagswahlkampf stellen könnten. Wir werten sie jetzt aus und halten Sie auf dem Laufenden.
Thema des Tages: Der Fall Pelicot
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Was Theologin Margot Käßmann über das „Recht auf das Weihnachtsfest“ sagte
CORRECTIV-Werkbank: Ein Minister als Einfallstor für russische Interessen?
Grafik des Tages: Minderheitsregierungen auf Landesebene: Hier gab es sie bereits
Gisèle Pelicot ist 72 – ein Alter, in dem es den meisten sehr schwer fallen dürfte, noch mal einen neuen Aufbruch im Leben zu starten. Deshalb erscheint es fast schon wie ein Wunder, was Pelicot daraus gemacht hat, dass ihr unvorstellbar Schlimmes zugestoßen ist. Welche Würde sie ausstrahlt, wie sie zum Symbol für Frauenrechte wurde und dafür, wie man auch in höherem Alter sein Leben in die Hand nehmen und gestalten kann.
Was das Gericht entschieden hat:
Ihr Ex-Mann Dominique Pelicot, der sie jahrelang unter Drogen setzte und sie Männern zur Vergewaltigung anbot, wurde heute vor Gericht in allen ihm vorgeworfenen Punkten für schuldig befunden. Mitangeklagt waren 50 Männer, die Gisèle Pelicot vergewaltigt hatten, und auch hier wurde ein Teil bereits schuldig gesprochen.
Für Dominique Pelicot hatte die Staatsanwaltschaft die Höchststrafe gefordert, 20 Jahre Haft. Das Gericht entschied heute: Ja, 20 Jahre Haft sind angemessen.
Ein absoluter Einzelfall?
Das Rechercheteam von STRG_F hat gerade eine bestürzende Recherche veröffentlicht (hier als YouTube-Video). Sie zeigt, dass es riesige, verdeckte Netzwerke gibt, in denen sich – auch deutsche – Männer darüber austauschen, Frauen zur Vergewaltigung anzubieten. Hier ist die Recherche als Text zusammengefasst.
Und wer hilft den Frauen?
Wir von CORRECTIV haben vor rund eineinhalb Jahren die Lage in den Frauenhäusern im Land zusammengetragen – also den Einrichtungen, in denen Frauen eigentlich Schutz suchen können sollen. Unsere Recherche zeigte, wie enorm schwer es ist, einen Platz in einem Frauenhaus zu bekommen.
Besserer Schutz des Bundesverfassungsgerichtes
Um das oberste Gericht vor Extremisten zu schützen, hat der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit eine Verfassungsänderung beschlossen. Politische Blockaden bei der Richterernennung und politische Einflussnahme in die Rechtsangelegenheiten sollen so verhindert werden.
faz.net
Steigende Krankenkassenbeiträge
Nicht so frohe Botschaft: Vor Weihnachten bekommen viele Menschen Post ihrer Krankenversicherung, die über erhöhte Beiträge ab Januar informieren. TK-Chef Jens Baas macht dafür auch Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn verantwortlich.
mopo.de
Lokales: Spionageverdacht bei der Marine in Kiel
An einem Marine-Stützpunkt in Kiel wurde ein Chinese festgenommen, der unerlaubt Fotos gemacht hat. Jetzt ermittelt die Polizei wegen Spionageverdachts, wie der WDR recherchiert hat.
tagesschau.de
Investigatives: FDP-Lobbyverein verheimlichte Spenden
CORRECTIV-Recherchen enthüllen: Die FDP-Denkfabrik Prometheus nahm Geld von einem Netzwerk aus den USA an, das klima-skeptische Organisationen weltweit unterstützt. Auch der Austritt aus dem Lobbyregister von Prometheus wirft Fragen auf.
correctiv.org
Im Netz kursiert ein Zitat von Margot Käßmann, der ehemaligen Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche. Es gebe kein Recht auf das Weihnachtsfest, habe sie gesagt. Käßmanns Antwort aus 2020 auf eine Frage zum ersten Weihnachten unter Corona-Bedingungen wird allerdings verkürzt wiedergegeben.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Verursachte Deutschland eine Strompreisexplosion in Schweden? Während einer Dunkelflaute letzte Woche – dem Ausbleiben von Wind und Sonne – hätte die deutsche Energienachfrage für gestiegene Preise gesorgt. Das beklagte eine schwedische Ministerin und viele deutsche Medien machten die Energiewende verantwortlich. Doch die Wahrheit ist komplizierter – dabei spielen auch die schwedische Atomkraft und der deutsche Strommarkt eine Rolle.
focus.de
So geht’s auch
Apropos Energiewende: In Bayern können Solarparks entlang von Autobahn- und Bahnhauptstrecken nun genehmigungsfrei gebaut werden. Damit soll der Freistaat nach Willen seines Wirtschaftsministers Hubert Aiwanger Nummer eins beim Solarausbau bleiben – und greift dafür auf die Initiative zur Entbürokratisierung von Bundesminister Robert Habeck zurück.
br.de
Fundstück
Diese Woche gab es eine klirrend kalte Sensationsmeldung: Der wohl größte Eisberg der Welt ist auf Wanderschaft. Für Fans der Saarlandvergleiche: Die Fläche des Eisklotzes mit dem eingängigen Namen „A23a” ist über 1,5-mal größer als das Bundesland. Was es mit dem Riesen auf sich hat:
zdf.de
Luxemburgs Außenminister Xavier Bettel lehnte vor kurzem einen NATO-Beitritt der Ukraine dezidiert ab und rechtfertigte dies mit der Sorge vor Eskalation. Auch unser Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz hatte zuvor bereits einen Beitrittswunsch Selenskys zurückgewiesen.
Bettels Russlandnähe allerdings spielt offenbar auf einem anderen Level: 2023 deckten unsere (und taz-)Recherchen auf, dass Russia Today trotz EU-Sanktionen Inhalte über die Luxemburger Firma GCore verbreitete. Die Betreiber der Firma schickten Selfies von Bettels Sommerfest, vorm Parlament beschwichtigte der damalige Medienminister Bettel, es sei nun alles geklärt.
2021 war Bettel – damals noch Premierminister – Gast auf der Hochzeit des russischen Großfürsten Romanow: gemeinsam mit dem rechtsextremen Kreml-Verbündeten Alexander Dugin. Und auch mit Konstantin Malofejew, Finanzier der europäischen Anti-Abtreibungslobby, der dort sogar Trauzeuge war. Im Parlament sagte Bettel vor wenigen Wochen, er sei so traurig über die aktuelle „Russophobie“ – ein Kampfbegriff putinscher Propaganda. „Die Beziehungen mit Russland sind am Boden. Wenn man weiß, wie weit die zuvor fortgeschritten waren – kulturell, wirtschaftlich, diplomatisch.“
Gleichzeitig nutzen sanktionierte Oligarchen Luxemburg zur juristischen Gegenwehr. Ende 2022 waren bereits 61 Klagen am Europäischen Gerichtshof gegen EU-Sanktionen eingereicht worden, darunter von Roman Abramowitsch, Ex-Besitzer des englischen Fußballclubs FC Chelsea. Und Michail Fridman, der 15 Milliarden Euro Schadenersatz von Luxemburg fordert, schafft juristisch in Luxemburg einen weltweiten Präzedenzfall – und Bettel ist als Außenminister zuständig.
Da frage ich mich, ob russische Interessen über Luxemburg in die EU gespielt werden, während Bettels politische Entscheidungen die europäische Solidarität gezielt zu schwächen scheinen.
Was denken Sie: ist er ignorant, ist er im Herzen ein großer Russlandfreund, ein großer Stratege oder ist er gar gekauft? Ich freue mich über Ihre Hinweise – am liebsten aus dem Luxemburger Außenministerium selbst! jean.peters@correctiv.org
Schwierige Mehrheitsverhältnisse in der Landespolitik: Die neu gebildeten Landesregierungen in Sachsen (CDU, SPD) und Thüringen (CDU, BSW, SPD) sind als Minderheitsregierungen auf Stimmen der Opposition angewiesen. Das ist zwar hierzulande unüblich, kommt aber immer mal wieder vor. So verfügte in Thüringen schon die Vorgängerregierung unter Bodo Ramelow (Linke) über keine eigene Mehrheit. Besonders lang hielt der SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner durch: 1994 bis 2002 stand er an der Spitze von SPD-geführten Minderheitsregierungen. Mehr dazu: wikipedia.org
An der heutigen Ausgabe hat mitgewirkt: Sebastian Haupt
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