Liebe Leserinnen und Leser,
CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat eine Äußerung getätigt, deren Schwere erst auf den zweiten Blick sichtbar wird: Straffällig gewordenen Deutschen, die auch eine zweite Staatsbürgerschaft besitzen, soll die deutsche Staatsbürgerschaft künftig aberkannt werden dürfen. Warum dahinter viel mehr steht – heute Thema des Tages.
Außerdem im SPOTLIGHT: In der Grafik zeigen wir, wie viele politisch motivierte rechtsextremistische Straftaten es im vergangenen Jahr gab. Und im „Tag auf einen Blick“ geht es unter anderem um die künftige Regierung Österreichs – an der, entgegen aller Beteuerungen im Wahlkampf, wohl die rechtspopulistische FPÖ beteiligt sein wird.
Danke für die vielen E-Mails, die Sie mir übers Wochenende geschrieben haben, weit über 50 Stück. Ich hatte Sie gefragt, wie Sie Elon Musks Einmischung in die deutsche Politik beurteilen. Fast alle von Ihnen schreiben, das sei eine übergriffige Unverschämtheit. Drei Leser sahen es anders: Die in Deutschland durch das Grundgesetz garantierte Meinungsfreiheit müsse auch für Investoren aus dem Ausland gelten. Wobei: Musk hat ja mit dem Kurznachrichtendienst X schon eine eigene stimmgewaltige Plattform. Warum ein etablierter Zeitungsverlag seine Meinung noch einmal ausführlich nachbeten muss, ist eine andere Frage.
Thema des Tages: Deutsch sein nur noch auf Bewährung?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
CORRECTIV-Werkbank: Wie der Slowakische Präsident die europäische Sicherheit untergräbt
Grafik des Tages: Neuer Höchststand rechtsextremer Straftaten
Friedrich Merz sorgt seit dem Wochenende für Diskussionen in Politik, Medien und sozialen Netzwerken. Er sagte in einem Interview in der Welt am Sonntag: Es müsse möglich werden, straffällig gewordenen deutschen Staatsbürgern diese Staatsbürgerschaft zu entziehen. Sie also ausbürgern, wenn sie noch einen Pass aus einem zweiten Land besitzen.
Warum der Vorschlag drastisch ist:
Straffällig gewordene Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft sollen keine Deutschen mehr sein dürfen – das klingt erst einmal nachvollziehbar, zumal Merz die Aussage im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt tätigte.
Aber zwei Punkte dazu:
Zum einen können auch Menschen, die in Deutschland geboren wurden oder deutsche Eltern haben, eine doppelte Staatsbürgerschaft haben. Eines meiner Kinder zum Beispiel hat eine doppelte Staatsbürgerschaft, weil ich in einem anderen Land lebte, als es auf die Welt kam.
Zum anderen: Was genau bedeutet denn dann in der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung von Gesetzen „straffällig geworden“? Geht es nur um schwere Gewalttaten? Oder zum Beispiel, mal auf die Spitze getrieben, auch um Menschen, die wiederholt im Supermarkt geklaut haben oder zu oft im Bus ohne Ticket erwischt wurden?
Was Merz Forderung mit dem „Geheimtreffen“ zu tun hat:
Auch hochrangige AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarke Unternehmer haben vor fast genau einem Jahr in Potsdam darüber gesprochen: Wie könnte man das Grundgesetz so ändern, das unliebsame Menschen (dort ging es auch um straffällig gewordene, aber auch um nicht „assimilierte“ Menschen) ausgebürgert werden könnten?
Die deutsch-iranische Journalistin Gilda Sahebi sagt deshalb zur Merz-Forderung: Der Kanzlerkandidat der CDU schließe damit komplett die Reihen zur AfD.
Warum das Ganze ein Dammbruch wäre:
Im Grundgesetz steht: „Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden.“ Und zwar aus gutem Grund: Würde unsere Verfassung so ändern, dass man Menschen die Staatsbürgerschaft entziehen könnte – dann würde es zwar wohl „nur“ mit gefährlichen Gewalttätern anfangen.
Aber: Bei einer solchen Grundgesetzänderung wäre der Schritt, auch viele andere ausbürgern zu können, nur noch ein kleiner. Ein aktueller Kommentar der Zeit fasst es so zusammen: Ginge der Merz-Vorschlag durch, wären Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft in unserem Land für immer nur „Deutsche auf Bewährung“.
Österreich: Regiert künftig doch die rechte FPÖ?
Eigentlich wollten ÖVP, SPÖ und NEOS eine Regierung unter der rechtspopulistischen FPÖ, dem eigentlichen Wahlsieger, verhindern. Einigen konnten sich die Parteien jedoch nicht. Deshalb hat Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen nun FPÖ-Chef Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt.
derstandard.at
Weiteres Todesopfer nach Weihnachtsmarkt-Anschlag in Magdeburg
Zwei Wochen nach dem Anschlag auf einem Magdeburger Weihnachtsmarkt gab es nun das sechste Todesopfer: Eine 52-jährige Frau erlag ihren Verletzungen im Krankenhaus. Zudem teilte die Polizei in Magdeburg mit, dass es weiterhin Angriffe auf Menschen mit Migrationsgeschichte gibt.
mdr.de
Saarland: Hinter Windrad-Widerstand steckt eigentlich Leugnung von Klimawandel
Bürgerproteste im Saarland stellen sich gegen neue Windkraftanlagen. Weil sie sich um Vögel und Bäume sorgen. Angeblich. Doch tatsächlich steckt ein gut vernetztes Lobby-Netzwerk dahinter, das die Energiewende blockieren und Fehlinformationen über den Klimawandel verbreiten will. Und es hat bereits die saarländische Politik beeinflusst.
saarbrueckerhefte.de
Nach dem Kapitol-Sturm in Washington: Undercover bei rechten Milizen
Vor vier Jahren stürmte ein von Donald Trump aufgestachelter MAGA-Mob das Kapitol, um Joe Bidens Ernennung zum US-Präsidenten zu verhindern (FAQ dazu bei Zeit.de). Entsetzt über die Szenen vom 6. Januar 2021 infiltrierte ein Survival-Experte zwei Jahre lang rechtsextreme Milizen. Ein Reporter ProPublica hat mit ihm gesprochen.
ProPublica.org (auf Englisch)
Im Netz kursiert das Bild eines Artikels, wonach eine Frau den CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz beleidigt haben soll. Angeblich wurde sie dafür zu einer Geldstrafe von 170.000 Euro verurteilt. Der Artikel ist eine Fälschung.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Eine neue konservative Bewegung ist in den USA sehr erfolgreich. Ihr Kennzeichen ist keine moralische Grundhaltung, sondern ein Dagegen-Gefühl. Was den sogenannten Barhocker-Konservatismus so erfolgreich macht und warum das auch für die politische Kultur in Deutschland relevant ist, erklärt ntv.
n-tv.de
So geht’s auch
Was bleibt einmal von mir? Diese Frage beschäftigt viele Menschen auf ihrer letzten Etappe. Sterbebegleiterin Sabrina Görlitz schreibt die Lebensgeschichten sterbender Menschen auf und hält so die persönliche Geschichte für die Nachwelt und die Angehörigen fest.
dw.com
Fundstück
Gegründet als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten, demnächst womöglich Kanzlerpartei in Österreich: Die wechselvolle Geschichte der Rechtsaußen-Partei FPÖ zeichnet Der Standard als Zeitstrahl nach.
derstandard.at
Einige Tage vor Weihnachten fühlte ich mich als Bürgerin der Slowakischen Republik desillusioniert und beschämt: Premierminister Robert Fico traf Ende Dezember Wladimir Putin. Das allein wühlte mich auf, selbst als Politikwissenschaftlerin, die bemüht ist, rational und objektiv zu bleiben.
Kurz danach drohte Fico dann noch, die Stromexporte in die Ukraine einzustellen, falls Kiew einen entscheidenden Gastransitvertrag mit Russland nicht erneuere. Dieses Abkommen erleichterte den Fluss von russischem Gas durch die Ukraine nach Mitteleuropa. Präsident Wolodymyr Selenskyj kritisiert Ficos pro-russische Haltung stark und beschuldigte das slowakische Staatsoberhaupt, Putins Kriegsanstrengungen zu unterstützen und die Einheit Europas inmitten der anhaltenden russischen Aggression zu gefährden. Fico behauptet wiederum, dass die Energiesicherheit und wirtschaftlichen Interessen der Slowakei bedroht seien, weil die Ukraine sich weigert, den Gastransitvertrag zu verlängern.
Die Situation wirft ernsthafte Fragen zur Außenpolitik der Slowakei unter Fico auf – insbesondere hinsichtlich ihres Engagements für die Solidarität innerhalb der EU. Ficos Engagement mit Putin, unterstützt von europäischen Spitzenpolitikern wie Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, hat eine Büchse der Pandora geöffnet, denn es rationalisiert das Verhalten des Kriegstreibers. Diskussionen in Deutschland über eine mögliche Reise von Kanzler Scholz passen ins Bild; Scholz wies diese allerdings als bloße Spekulation zurück.
Von Fico erwarten viele eine Erklärung. Er glänzt jedoch mit Abwesenheit in seinem Land: Politische und wirtschaftliche Entwicklungen kommentiert er aus einem Luxushotel in Hanoi. Seine Drohungen gegen die Betroffenen der russischen Aggression machen das nur noch schlimmer.
Die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten lag 2024 mit knapp 34.000 Delikten auf einem neuen Rekordhoch: Im Vergleich zum Vorjahr gab es einen Anstieg um über 17 Prozent. Und das, obwohl für den Dezember noch keine Daten vorliegen. Am häufigsten sind Propagandadelikte, Volksverhetzung und Sachbeschädigung. Doch auch die Zahl der Gewalttaten ist hoch: Im statistischen Mittel verzeichneten die Behörden drei Gewalttaten pro Tag.
faz.net
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Robin Albers, Till Eckert und Sebastian Haupt.
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