
Jetzt, ein Jahr nach dem Treffen von Potsdam, flammt das Interesse daran nochmal auf. Viele blicken darauf, was die Recherche ausgelöst hat, welche politischen Folgen sie hatte oder wie wir auf die Recherche selbst zurückschauen. Und manche, auch seriöse Medien scheinen jetzt noch einmal zu versuchen, Fehler in der Recherche zu finden.
Zur Erinnerung: Über drei Millionen Menschen gingen auf die Straße, nachdem unsere Veröffentlichung erschienen war. So große Demonstrationen gab es noch nie in der Geschichte unseres Landes. Über vier Millionen Menschen haben die Recherche auf unserer Seite gelesen. Es gab Untersuchungen, die fragten, was so viele Menschen auf die Straßen trieb. Ein Ergebnis: „Mit der Veröffentlichung der in der Sache keineswegs überraschenden Correctiv-Recherche war ein konkrekter Anlass gegeben, mit dem sich Sorge und Empörung Bahn brechen konnten“.
Die Studien haben gezeigt, dass die vielen Demonstrierenden vor allem deshalb auf die Straße gingen, weil sie schon länger ein Unbehagen über die Radikalität rechtsaußen hatten. Der Bericht hat mit der Bestätigung der bereits bestehenden Informationen über die Vertreibungs-Pläne, über die auch AfD-Politiker aktiv diskutierten, ein Momentum ausgelöst.
Es gibt kaum journalistische Texte, die so durchleuchtet wurden wie unserer in den Monaten danach. Juristen haben sich darüber gebeugt, weil ein Rechtsaußen-Anwalt und Teilnehmer des Treffens es genau wissen wollte. Allerdings griff er gar nicht erst die entscheidenden Zitate an, sondern nur ein paar Nebensächlichkeiten. Das Ergebnis: Die Recherche steht weiterhin wie am Anfang. Wir haben einen nebensächlichen Halbsatz kürzen müssen. Das war’s.
Aber was er schaffte, war Zweifel zu säen, irgendwas sei mit der Correctiv-Veröffentlichung nicht in Ordnung. Das verfing hier und da und löst immer wieder seltsame Fragen auch an uns aus, bei denen wir gern auf unsere Antworten hinweisen, die wir seit Monaten hier dokumentieren.
Nach einem Jahr können wir festhalten: Die rechtsradikalen Thesen zur Remigration haben nichts an Schärfe verloren. Unsere Recherche steht im Kern unverändert auf unserer Webseite. Alice Weidel hat den Rauswurf ihres engsten Mitarbeiters, der auch bei dem Treffen war, nicht zurückgenommen. Martin Sellner geht weiterhin mit seinen krassen Thesen, die gegen Millionen von Menschen gerichtet sind, auf Werbetour. Andere Medien haben seitdem weitere Aspekte aufgedeckt (hier, hier oder hier).
Wir bleiben dran, gerade in dieser Zeit. Wenn Sie dazu Fragen haben, schreiben Sie mir gern.
Ihnen wünsche ich ein erholsames Wochenende und eine spannende Lektüre unserer Empfehlungen der Woche. Übrigens waren wir mega-erfreut darüber, dass über 1.000 Leserinnen und Leser auf unsere Spotlight-Umfrage letzten Samstag zu X und Elon Musk geantwortet haben. Mein Kollege Finn Schöneck fasst unten im Spotlight die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Ihr Interesse zeigt uns, dass wir auch an dem Thema dranbleiben sollten.
Mit besten Grüßen,
Justus von Daniels
Widerstand im Nazi-Dorf
Ein Ehepaar als letzte Bastion gegen die Übernahme der Nazis. Klingt wie Fiktion, ist aber in Jamel in Mecklenburg-Vorpommern seit zwanzig Jahren Realität. Das winzige Dorf ist Stück für Stück von Größen aus der örtlichen rechtsextremen Szene besiedelt worden. Die Lohmeyers lassen sich aber nicht vertreiben und veranstalten jedes Jahr ein Festival, auf dem große Künstler auftreten und viele Menschen ihre Solidarität mit dem Ehepaar bekunden.
Jamel – Lauter Widerstand (ardmediathek.de)
Wie die Nordstream-Sabotage gelingen konnte
Die Nordstream-Pipelines gehörten wohl zu den wichtigsten Gasrohren der Welt. Nordstream 1 versorgte Deutschland mit billigem Gas aus den russischen Gasvorkommen. Dann kam der russische Angriffskrieg – später im September 2022 folgte ein Anschlag auf die Pipelines. Spiegel-Recherchen zeigen detailliert, wer dafür verantwortlich ist und wie diese Operation überhaupt gelingen konnte.
Wie ein ukrainisches Geheimkommando Nord Stream sprengte (spiegel.de, €)
Die Inszenierung geht weiter
Letzten Freitag erschien in der Zeit die aufsehenerregende Recherche über Lindners geplanten Ausstieg aus der Koalition. Sie ist eine Rekonstruktion der politischen Inszenierung und Wählertäuschung seitens der FDP. Interessant sind einige Reaktionen: Politiker diskreditieren öffentlich die Recherche oder sprechen ihr den Nachrichtenwert ab. Diese Strategie kommt uns bekannt vor. Dazu äußert sich Zeit-Chefredakteur Giovanni Di Lorenzo in einem Kommentar – wir möchten Ihnen aus dieser Perspektive die lesenswerte Recherche auch eine Woche danach empfehlen.
Das liberale Drehbuch für den Regierungssturz (zeit.de, €)
Handydaten von Soldaten
Standortdaten von privaten Handys werden seit Jahren im Internet zum Kauf angeboten. netzpolitik.org zeigt, dass der Handel mit unseren Daten nicht nur den Datenschutz untergräbt, sondern auch ein Risiko für die nationale Sicherheit darstellen könnte: In einem kostenlosen Probedatensatz konnte das Team Tausende Geräte verfolgen, die regelmäßig auf Stützpunkten von US-Militär und der NATO ein- und ausgehen.
Wie Datenhändler NATO und US-Militär bloßstellen (netzpolitik.org)
777-Partners vor dem Zerfall
Geldwäsche bei Hertha-Investor? Der US-Beteiligungsfirma 777 gehört fast 80 Prozent des Haupstadtclubs Hertha Berlin. 75 Millionen Euro zahlte sie dafür – vereinbart waren 100 Millionen. Obwohl der Zweitligist die restlichen Millionen dringend bräuchte, rechnet er nicht mehr damit. Das Imperium 777, das in den vergangenen Jahren Anteile an sieben Fußballklubs erworben hat, implodiert seit Monaten. Jetzt stellt sich die US-Justiz die Frage, ob 777 mit dem Kauf von Fußballklubs sein eigentliches Geschäft verschleiern wollte: Geldwäsche. Laut dem norwegischen Investigativ-Portal Josimarfootball sind Mitarbeiter der Beteiligungsfirma und dessen Hauptkreditgeber vorgeladen worden. Eine Recherche im Fußballmagazin kicker:
Josimarfootball: Geldwäsche-Untersuchung bei 777 Partners (kicker.de)

CORRECTIV Inside
Erinnern Sie sich noch an die Zeit, als Twitter (heute X) noch ein cooler Ort war? Ich mich nicht. Das liegt daran, dass ich zu jung war, als man mit einem 140-Zeichen-Limit Einblick in die eigene Gedankenwelt gewähren konnte. In den letzten Twitter-Jahren kam ich auf die Plattform – doch musste schon da feststellen: Nach zwanzig Minuten scrollen und lesen qualmte mir der Schädel.
Dann kam Elon Musk, Twitter wurde zu X und mittlerweile reichen zwei Minuten für schlechte Laune. X hat sich genau zu dem üblen Ort entwickelt, den die schärfsten Kritiker bei der Musk-Übernahme prophezeit hatten. Letzte Woche haben wir Sie zu Ihrer Meinung zu X befragt – ein Leser hatte ein passendes Bild für meinen Eindruck parat: „Twitter ist von einem Szeneviertel zu einer zwielichtigen Gosse verkommen“.
Rund 1.000 von Ihnen haben mitgemacht: Viele von Ihnen sind X gegenüber kritisch eingestellt – vielleicht nutzen deshalb nur knapp 15 Prozent der Teilnehmer die Plattform. Es ist davon auszugehen, dass dieser Anteil wahrscheinlich sinken wird, denn für 89 Prozent von ihnen ist Musk mit seiner Online-Präsenz und neuerdings auch in höchsten Kreisen der US-Politik ein Grund, die Plattform zu meiden oder nicht mehr zu nutzen.
Vielen Dank für die Teilnahme an unserer anonymen Umfrage von letzter Woche. Wir haben uns sehr über die rund 1000 Antworten, mit über 400 individuellen Kommentaren, gefreut. Eine Auswahl der Kommentare sammeln wir unter diesem Text.
Was ist denn mit den Alternativen wie Blue Sky, Mastodon oder Threads? Nun ja, vielleicht ist die Hoffnung auf ein neues Twitter vergeblich, wie der Social Media Watchblog schreibt. Twitter, wie ich es nur aus Erzählungen kenne, war wohl auch ein Kind seiner Zeit, in der es noch eine offen progressive Internetkultur gab. Seitdem hat sich in den westlichen Gesellschaften einiges verändert: Hass, Häme und Spott sind längst über die Grenzen der Plattform salonfähiger geworden. X bietet endgültig die idealen Rahmenbedingungen, dass sich all das sammelt und verbreitet.
Da überrascht es doch, dass trotz der vorranschreitenden Verrohung auf X einige Parteien und Politiker wieder auf X zurückkehren – etwa Robert Habeck oder die SPD. Ein großer Teil der Umfrageteilnehmer (75 Prozent) sieht diesen Schritt kritisch: „Ich fände es richtig, wenn sich alle, die noch einen Funken Vernunft haben, von X verabschieden und zu einer anderen Plattform wechseln würden“, schreibt ein Leser.
Hier finden Sie eine Auswahl einiger Kommentare aus unserer Umfrage zu Musk und X:
„Die EU sollte das Verfahren gegen X und Musk beschleunigen und sich nicht einschüchtern lassen von seinen Drohgebärden. Ich fürchte aber, dass sie nicht die Stärke dafür hat und wie viele andere vor der puren Aggression, die wir in den nächsten Monaten erleben, einknicken wird.“
„Habe Twitter verlassen, als klar wurde, dass Musk übernimmt. Seine Machtfülle, insbesondere auch über Starlink und X ist für jede freiheitsliebende Gesellschaft gefährlich. Medienmogule haben sowieso schon viel zu viel Einfluss.“
„Es ist ein Dilemma – auf der einen Seite sollte man Twitter unter Elon Musk nicht unterstützen, auf der anderen ist die Frage, ob man diesen Sumpf aus Falschinformationen sich selbst überlassen sollte. Ich habe darauf (noch) keine Antwort.“
„X ist eine Dreckschleuder. Es gibt dort aber auch konstruktive Inhalte. Und: Lösen wir das Problem, wenn wir die Plattform den Hassschleudern, Verschwörungs-Irren, Hetzern und anderen Spinnern überlassen? Eher nicht. Deshalb bleibe ich vorerst dort.“
„Ich bin sehr froh, dass X mich gesperrt hat. Warum sie es aber nicht schaffen, dass mein Account gelöscht werden kann, ist peinlich. Es gibt viele Alternativen, wir brauchen aber eine Alternative, die nicht kommerziell ist, aber Fake News, Rassismus und Sexismus blockt.“
„Ich finde, unsere Politiker sollten die Plattform sofort verlassen. Es ist sowieso eine unsägliche Art jeden Gedanken zu posten. Was soll das? Das bringt die Dinge nicht voran und die Aufregungen nach jedem Post kosten Energie und bündeln die Aufmerksamkeit auf banale Äußerungen.“
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Johannes Gille, Sven Niederhäuser und Elena Schipfer.
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