
Liebe Leserinnen und Leser,
der Verfassungsschutz teilte vor ein paar Tagen mit, er stufe die AfD als Gesamtpartei als „gesichert rechtsextremistisch“ ein. Warum die Behörde aber genau zu dieser Einschätzung kam, ließ sich bislang nicht für jedermann und -frau nachvollziehen – weil das Gutachten offiziell unter Verschluss blieb.
Gestern allerdings tauchte es dann im Netz auf. Warum wurde es jetzt verfügbar und welche Folgen hat das? Darum geht es im Thema des Tages. In der „Werkbank“ reißt unser Reporter Marcus Bensmann schon einmal kurz an, was denn nun im Gutachten steht. Und Reporter Jean Peters ordnet ein, was es mit der Diskussion um die „geheimen Meta-Daten“ zum Gutachten auf sich hat.
Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Tag und ich freue mich, wenn Sie mir schreiben, welche Themen Sie gerade umtreiben: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Gutachten ist raus
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Drei Stimmen von derselben Person? Kein Wahlbetrug bei Kanzlerwahl
CORRECTIV-Werkbank: Das AfD-Gutachten ist öffentlich – wir ordnen ein
Grafik des Tages: Regierungserklärung: Was Kanzler Merz nicht gesagt hat
Das Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz über die AfD tauchte gestern zuerst beim rechtskonservativen Medium Cicero auf – dort liegt es allerdings hinter einer Bezahlschranke. Dann stand es beim noch rechteren Online-Medium Nius, ist aber auch auf dem Mastodon-Account des Journalisten Mario Sixtus herunterzuladen.
Warum hatte es der Verfassungsschutz nicht einfach selbst zuvor veröffentlicht?
Offizielle Begründung: Die Veröffentlichung sei wegen sensibler Daten nicht möglich, die im Gutachten enthalten seien.
Das erscheint allerdings nicht ganz schlüssig, wenn man die rund 1.100 Seiten durchgeht. Denn es steht nichts Geheimes darin. Das Gutachten ist im Wesentlichen eine Sammlung von Zitaten von AfD-Politikerinnen und -Politikern. Und in den vielen Fußnoten steht, dass diese Zitate auf Facebook-Seiten, in offen zugänglichen Telegram-Gruppen oder zum Beispiel bei Youtube gesammelt wurden.

Ein anderer Grund für die Geheimhaltung dürfte sein, dass der Verfassungsschutz befürchtete, sich bei einer Veröffentlichung rechtlich angreifbar zu machen. Und zwar deshalb, weil so viele Namen von AfD’lern und Mitgliedern rechtsextremer Gruppierungen darin stehen – was bedeutet, all diese Leute könnten theoretisch einzeln rechtlich gegen die Behörde vorgehen.
Zudem: Hätte das Bundesamt für Verfassungsschutz selbst das Gutachten veröffentlicht, hätte es damit einen Präzedenzfall geschaffen – und künftig wäre die allgemeine Erwartung, dass solche Schriftstücke stets veröffentlicht werden müssen. Auch von den Landesämtern für Verfassungsschutz.
Warum haben jetzt rechtsgerichtete Medien das Gutachten bekommen und veröffentlicht?
Wer diesen Medien den Schriftsatz überlassen hat, ist nicht bekannt. Er kursierte aber auch bereits seit Freitag in der AfD, die eine gewisse ideologische Nähe zu Nius und Cicero hat.
Klar ist dagegen: Auch andere Medien, unter anderem der Spiegel, hatten das Gutachten bereits vorliegen. Sie hatten es aber nicht veröffentlicht. Das wiederum hängt offenbar damit zusammen, dass sie sichergehen wollten, nicht die Quellen zu verraten, die es ihnen zugespielt hatten. Denn in solche Dokumente sind oft versteckte Hinweise eingebaut: Tippfehler oder Ähnliches – die erkennen lassen, welches Exemplar weitergegeben wurde.
Was ändert es, dass das Gutachten jetzt öffentlich ist?
Wir haben heute einen Verfassungsrechtler gefragt: Spielt dies für die weitere Entwicklung eine Rolle? Etwa dafür, ob es jetzt ein Verbotsverfahren gibt?
Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Würzburg, sagt, mit der Veröffentlichung sei „die notwendige Transparenz für eine öffentliche Diskussion einer grundlegenden Frage des demokratischen Verfassungsstaates geschaffen: wie dieser mit seinen möglichen Gegnern umgeht“.
Denn, sagt Schwarz, einem Gemeinwesen tue es nicht gut, wenn auf der Grundlage von bloßen Mutmaßungen politische Debatten geführt würden, „weil man damit Opfernarrative bedient und sich angreifbar macht.“
Von der Leyen muss SMS an Pfizer-Chef herausgeben
Das EU-Gericht gibt der Klage der New York Times gegen die EU-Kommissionspräsidentin statt. Gegenstand ist eine Textnachricht an den Chef des Pharmakonzerns Pfizer, in der es um einen Impfstoff-Deal gehen soll. Die Nachricht hat von der Leyen unter Verschluss gehalten.
zdf.de
Ermittler fassen mutmaßliche Kreml-Saboteure
Zugriffe in Konstanz, Köln und in der Schweiz: Die Bundesanwaltschaft ließ drei Männer wegen mutmaßlicher Sabotage-Tätigkeiten festnehmen. Die Verdächtigen sollen Anschläge geplant haben, die den vergangenen Vorfällen mit deutschen Frachtflugzeugen ähneln.
spiegel.de
München: Zu krank für das Gefängnis
Alfons Schuhbeck, der frühere Star-Koch, ist wieder auf freiem Fuß. Wegen Steuerhinterziehung sitzt er eigentlich noch bis 2026 in Haft. Aufgrund des aktuellen gesundheitlichen Zustandes des 76-Jährigen wurde seine offizielle Haft nun unterbrochen.
merkur.de
Recherche: Internes Papier warnt vor neuem Fallschirm
Durch einen internen Bericht, der NDR, WDR und der SZ vorliegt, werden technische Probleme bei einem neuen Fallschirm der Bundeswehr offenbart. Das System des Fallschirms, das gegenwärtig bereits im Einsatz ist, soll Gefahren für die Fallschirmspringer mit sich bringen.
tagesschau.de

Faktencheck

Weil eine Person bei der Kanzlerwahl am 6. Mai drei Stimmen in die Urne warf, vermuten einige Wahlbetrug. Dabei ist die Erklärung ganz simpel.
correctiv.org
Endlich verständlich
Die Kurdische Arbeiterpartei PKK hat ihre Auflösung verkündet. Doch ist damit ein dauerhafter Frieden in der Türkei wirklich greifbar? Das klärt in diesem Video der türkische Exiljournalist und Chefredakteur von #Özgürüz Can Dündar.
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So geht’s auch
Vielerorts gibt es das Problem: Die Kinder sollen schwimmen lernen, in der Kommune ist aber längst das letzte Schwimmbad geschlossen. Im oberfränkischen Kasendorf liefert ein Containerschwimmbad nun eine Alternative, finanziert von Unternehmen vor Ort.
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Fundstück
Lokaljournalismus ist antiquiert, verstaubt, Kaninchenzuchtverein-Berichterstattung – so das Klischee. Was ist da noch dran? Um das zu klären, hat das Podcast-Team von Druckausgleich vergangenes Wochenende unsere CORRECTIV.Lokal-Konferenz besucht. Sie trafen auf zahlreiche Engagierte, die beweisen: Berichterstattung vor Ort geht direkt um unsere Demokratie, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Lösen struktureller Probleme vor Ort.
journalist.de
Nun ist es öffentlich: Cicero veröffentlichte das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Darin erklärt das BfV die AfD zu einer „gesichert extremistischen Bewegung“. Zuvor hatten Spiegel, FragDenStaat und Bild bereits daraus zitiert. Das BfV stützt die Einschätzung vor allem auf die völkische Ideologie in der Partei – konkret auf den „ethnisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff“. CORRECTIV zeigte die Gefahren der völkischen Ideologie in Recherchen wie „Geheimplan“ und „Volk der Rechtsradikalen“.
Das BfV bezieht sich darin auch auf das Oberverwaltungsgericht Münster. Dieses hatte im Mai 2024 die Beschwerde der AfD abgewiesen, nicht als Verdachtsfall eingestuft zu werden. Die Richter definierten in ihrem Urteil, was verfassungswidrig ist: die Verbindung eines „ethnisch-kulturellen Volksbegriffs“ mit einer „politischen Zielsetzung“, die „die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen in Frage stellt“.
Eine „große Anzahl gegen Migranten gerichteter Äußerungen“ lasse vermuten, dass Teile der AfD bei entsprechenden Mehrheiten „Maßnahmen ergreifen“ würden, die auch „deutsche Staatsbürger mit Migrationsgeschichte diskriminieren“, schrieben die Richter in Münster.
Das Gutachten des BfV liefert nun eine Fülle von Belegen, die Menschen mit Migrationsgeschichte als kollektive Bedrohung darstellen und deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund als „Passdeutsche“ diffamieren.
Dabei beschränkt sich das Gutachten nicht auf bekannte Figuren wie Maximilian Krah oder Björn Höcke, sondern zitiert eine Vielzahl von Funktionären und Mandatsträgern aus der gesamten Partei. Es zeigt zudem, wie der ideologische Kopf der sogenannten „Identitären Bewegung“, Martin Sellner, mit seinem „Konzept der Remigration“ in der AfD Widerhall findet.
Das Gutachten bezieht noch die Bundestagswahl in den Beobachtungszeitraum ein und kommt zu dem Schluss, dass „gemäßigte Kräfte in der AfD“ die „verfassungsfeindliche Prägung“ der Partei nicht mehr umkehren könnten.
Ausgerechnet der AfD-Bundestagsabgeordnete Maximilian Krah entfachte am Tag nach der Veröffentlichung des Gutachtens auf X eine Debatte über die völkische Ideologie in der AfD und forderte eine Abkehr davon, wie CORRECTIV berichtete.
Noch 2023 hatte Krah ein völkisches Manifest veröffentlicht und galt als Vordenker der „Remigration“. Der AfD-Politiker aus Sachsen wird im Gutachten breit zitiert.
Krah, der selbst wegen Spionagevorwürfen gegen einen früheren Mitarbeiter ins Visier der Ermittler geraten ist, vertritt auf X bislang eine Einzelpositionen. Es ist auffallend, dass andere AfD-Politiker sich bei der Debatte auf X dagegen als Anhänger der völkischen Ideologie outen.
„Wofür braucht es dann noch eine alternative Partei?“, fragt ein Teilnehmer auf X. Für diesen gehört die völkische Ideologie offenbar zum Kern der AfD. Zu genau diesem Schluss kommt auch das BfV.
In den Metadaten des von Cicero veröffentlichten Dokuments stand, der Autor sei ein gewisser Sven K. – sucht man nach ihm, fällt auf, dass ein Mitarbeiter der Bundesdruckerei denselben Namen hat – die Empörung in den sozialen Medien über einen angeblich lapidaren Umgang mit Quellenschutz war groß.
Der Autor von Cicero sagt auf Anfrage von CORRECTIV, er habe diesen Namen dort selber reingeschrieben, um die Quelle zu schützen. Er könne ausschließen, dass das Dokument aus der Bundesdruckerei komme. Als der Anwalt des Mitarbeiters sich einschaltete, schrieb er gar von einem misslichen Zufall, er könne dies eidesstattlich versichern. Auch die Bundesdruckerei selbst schreibt, es handle sich um eine Verwechslung.
Ein ehemaliger Mitarbeiter der Bundesdruckerei sagte gegenüber CORRECTIV, dass öfters Vorlagen verwendet würden, in denen noch der Name eines Kollegen stand. Auch in der Version von Nius, das ebenfalls das Dokument veröffentlichte, stand ein Detail: das genaue Modell eines Kopierers. Ob dieser ein Hinweis auf eine andere Quelle ist oder aus der Nius-Redaktion stammt, konnte CORRECTIV nicht überprüfen.
Zum Quellenschutz gehört üblicherweise, Metadaten zu löschen oder falsche Fährten zu legen. Ein besonders prominenter Fall, in dem das misslungen war, ist der von John McAfee, den Gründer der gleichnamigen Antiviren-Software. Im Jahr 2012 wurde er in Guatemala festgenommen, nachdem Vice versehentlich ein Foto veröffentlichte, das GPS-Metadaten enthielt und seinen Aufenthaltsort preisgab.

Freiheit, Sicherheit und Wohlstand – diese drei Themen standen im Fokus der ersten Regierungserklärung von Friedrich Merz. Und das mit einem klaren Bekenntnis zu Europa – und mit dem Aufruf, sich gegen die russische Aggression gemeinsam zu verteidigen. Beim Thema Wirtschaft setzt Merz erwartbar auf mehr Markt und weniger Staat.
Auffällig ist aber auch, was kaum in der Rede vorkam: Der Klimawandel bekam in der fast einstündigen Rede nicht mehr als ein paar Sätze ab. In einem Frühling der Rekorddürre weckt das Zweifel: Wird die Regierung unter Kanzler Merz genug tun, um uns davor zu schützen? Fraglich.
n-tv.de
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.
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