
Liebe Leserinnen und Leser,
ein Bild sagt manchmal mehr als tausend Worte, heißt es. Das mag übertrieben sein, aber im journalistischen Betrieb sind Bilder unverzichtbar. Auch in unserer aktuellen Recherche spielen Aufnahmen eine zentrale Rolle: Sie weisen nach, dass Erika Steinbach, Vorsitzende einer wichtigen politischen Stiftung, mit einer Person der rechtsextremen Szene verkehrt: nämlich mit Gernot Mörig, Organisator des Treffens in Potsdam, das wir von CORRECTIV im letzten Jahr aufgedeckt haben. Mörig war den Fotos zufolge auf Steinbachs eigenem Grundstück. Und die Stiftung, die Steinbach vertritt, ist die Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) – sie steht der AfD nahe.
Brisant ist das auch deshalb, weil die DES einen Antrag auf staatliche Finanzierung gestellt hat. Doch Steuergelder kann sie nur bekommen, wenn sie fest auf dem Boden der Verfassung steht. Daran gibt es bereits Zweifel, die durch die Aufnahmen der Gartenparty noch verschärft werden. Warum das relevant ist, ist heute unser Thema des Tages.
Außerdem im SPOTLIGHT: Welche Folgen könnte eine Eskalation des Konfliktes zwischen Israel und dem Iran auch für die Menschen hierzulande haben? Und: Auf Streaming-Plattformen wie Spotify erscheinen inzwischen viele sexistische Lieder, die mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) erstellt wurden – mit einer beträchtlichen Reichweite.
Ich vertrete heute meine Kollegin Anette Dowideit und freue mich über Ihre Meinungen an sebastian.haupt@correctiv.org.
Thema des Tages: (Kein) Steuergeld für Verfassungsfeinde
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
CORRECTIV-Werkbank: Ist das Kunst oder kann das weg? Sexistische KI-Musik auf Spotify
Grafik des Tages: CSD – Rolle rückwärts unter Julia Klöckner
Alle im Bundestag vertretenen Parteien haben eine ihnen nahestehende politische Stiftung – die Union etwa die Konrad-Adenauer-Stiftung, die SPD die Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese Stiftungen sollen die politische Bildung fördern und erhalten dafür staatliche Mittel. Weil die AfD zum dritten Mal in den Bundestag eingezogen ist, könnte auch ihre Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) Anspruch auf bis zu 70 Millionen Euro jährlich erheben. Stiftungschefin Erika Steinbach hat im April einen entsprechenden Antrag beim Bundesinnenministerium gestellt.
Doch es gibt eine Hürde: Stiftungen müssen „in der Gesamtschau“ für die freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten. Genau daran gibt es bei der DES erhebliche Zweifel.

Brisante Aufnahmen mit rechtsradikaler Schlüsselfigur
CORRECTIV liegen Aufnahmen vor, die den Rechtsradikalen Gernot Mörig auf einer Gartenparty bei Stiftungspräsidentin Erika Steinbach zeigen. Steinbach selbst hatte zu der Veranstaltung geladen.
Das ist brisant, denn Mörig spielt eine zentrale Rolle in der rechtsradikalen Szene. Er gilt als Vernetzer und Geldbeschaffer. Bundesweit bekannt wurde er durch die CORRECTIV-Recherche „Geheimplan gegen Deutschland“. Auf einem von ihm organisierten Treffen stand der Begriff „Remigration“ im Mittelpunkt – ein Konzept, das die Vertreibung von Millionen Menschen, auch deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund, vorsieht. Verfassungsschutz und Gerichte stufen dies als verfassungsfeindlich ein. (Mörig selbst bestreitet indes, eine völkische Ideologie zu vertreten.)
Warum dürfen solche Aufnahmen veröffentlicht werden?
Kurz gesagt: Es gibt ein überragendes öffentliches Interesse an der Vernetzung zwischen einer politisch relevanten Stiftung und Akteuren der rechtsradikalen Szene. So formuliert etwa SPD-Politiker Helge Lindh gegenüber CORRECTIV: „Wenn sich erwiesene Nazi-Kader mit der Vorsitzenden der Desiderius-Erasmus-Stiftung treffen, ist das nicht privat.“ Sollte Rechtsradikalen Einfluss auf die Ausrichtung der Stiftung nehmen, könnte das die staatliche Förderung infrage stellen.
Ist die Stiftung förderfähig?
Steinbach betont, die Stiftung stehe „voll und ganz aus Überzeugung“ auf dem Boden des Grundgesetzes. Doch das Treffen mit Mörig nährt Zweifel. Weitere Hinweise verstärken diese: Viele ihrer Vorstandsmitglieder werden im jüngsten Verfassungsschutz-Gutachten erwähnt, das die AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft. Mehrere Referenten der DES sind in den letzten Jahren im rechtsradikalen Milieu aufgefallen. Außerdem beobachtet der Verfassungsschutz zentrale Organisationen im Umfeld der Stiftung – oder hat sie bereits als rechtsextremistisch eingestuft, allen voran die AfD selbst.
Darum ist das wichtig
Die finanzielle Förderung von politischen Stiftungen soll die Demokratie stärken – nicht schwächen. Staatsgelder dürfen daher nicht an jene fließen, die verfassungsfeindlich agieren. Dass das auch indirekt geschehen kann, lässt sich am Beispiel der AfD beobachten: Die Partei beschäftigt zahlreiche Mitglieder der rechtsextremen Szene; unter anderem im Bundestag, die somit über Partei- und Fraktionsgelder finanziert werden.
Wer noch auf der Gartenparty war und wie Fachleute die Lage einschätzen, lesen Sie im ganzen Artikel, den Marcus Bensmann, Marie Bröckling und Jean Peters für Sie geschrieben haben: correctiv.org. Einen Überblick in Bewegtbild gibt es hier.
Neuer Wirbel um die Wortwahl „Drecksarbeit“ von Friedrich Merz
Bundeskanzler Friedrich Merz sagte in einem Interview über Israels Vorgehen gegen den Iran: „Das ist die Drecksarbeit, die Israel macht – für uns alle.“ Die Journalistin Gilda Sahebi analysiert jetzt im Deutschlandfunk, was diese vielfach kritisierte Formulierung bedeutet und welche politischen und gesellschaftlichen Folgen sie haben könnte.
mediasres / zdfheute.de
Wird US-Polizei-Software Palantir in Deutschland zweckentfremdet?
Die Analyse-Software Palantir könnte weit über den ursprünglich geplanten Einsatzrahmen hinaus genutzt werden. WDR, NDR und SZ haben einen neuen Einblick in die Nutzung erhalten.
tagesschau.de
Steigende Ölpreise durch Israel-Iran-Konflikt
Angesichts der militärischen Spannungen zwischen Israel und dem Iran wächst auch die Befürchtung, dass der Konflikt langfristige Folgen für die Weltwirtschaft haben könnte. Zum Beispiel in Bezug auf die Ölpreise, wie hier ein Blick auf Norddeutschland zeigt.
ndr.de / zdf.de
Führender AfD-Politiker aus eigenem Lager angefeindet
Der Spiegel berichtete gestern, warum Maximilian Krah „aus dem eigenen Lager angefeindet wird“. CORRECTIV-Recherchen zeigten zuerst, wie sich Krah etwa vom völkischen Konzept distanzierte und der Streit innerhalb der Partei um extreme Positionen weiter eskalierte. Im Mai berichteten wir, wie der skandalträchtige Bundestagsabgeordnete aus Sachsen zwar die Einstufung der Partei durch den Verfassungsschutz kritisierte, aber seinerseits die völkische Ausrichtung der AfD als Problem bewertete.
spiegel.de / CORRECTIV-Recherche (Januar) / CORRECTIV-Recherche (April) / CORRECTIV-Recherche (Mai)

Faktencheck

Die Namen von Millionen Toten sollen in den Wählerverzeichnissen gestanden haben, behauptet der bei der rumänischen Präsidentschaftswahl unterlegene George Simion. Tausende Beweise will er haben. Die liefert er jedoch nicht und auch die Wahlbehörde in Rumänien hat von seiner angeblichen Mitteilung dazu an die Behörde nie gehört.
correctiv.org
Endlich verständlich
Auch in Deutschland blicken viele Menschen mit Sorge auf den Konflikt zwischen Israel und dem Iran. Welche Folgen hätte eine weitere Eskalation für die Menschen vor Ort – aber auch hierzulande? Auf mögliche ökonomische Auswirkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher blicken t-online und die Tagesschau.
t-online.de / tagesschau.de
So geht’s auch
Blutspenden retten Leben. Immer wieder kommt es aber zu Engpässen. Der WDR listet auf, wie Menschen in anderen Ländern mit Belohnungen animiert werden. Die Palette reicht von Steuervergünstigungen bis zu Sauna-Aufgüssen.
wdr.de
Fundstück
An der Frage einer US-Beteiligung im Konflikt zwischen Israel und dem Iran entzündet sich ein Kampf in Trumps MAGA-Lager. Auf der einen Seite stehen republikanische Hardliner, die das Regime des Iran gern militärisch stürzen würden. Auf der anderen diejenigen, die Amerika aus aller außenpolitischen Verantwortung und erst recht aus den Kriegen heraushalten möchten. Sichtbar wurde das im offenen Streit zwischen Ex-Fox-News-Moderator Tucker Carlson und dem republikanischen Senator Ted Cruz.
spiegel.de
Mit KI wird längst gespielt, bevor wir gesellschaftlich geklärt haben, wie wir mit ihr leben wollen, müssen und sollen. Während sich die deutsche Politik gerade in den AI Act einarbeitet, sorgt auf Spotify ein KI-Phänomen für Diskussion: Maschinell generierte Schlagersongs von Profilen wie „Liselotte Beinebreit“ oder „KI4You“ verbreiten teils sexistische, vulgäre Inhalte. Darin singen künstliche Frauenstimmen etwa über weibliche Körper, Penetration und grenzüberschreitende Szenarien. Kein Randphänomen: Einige dieser Accounts erreichen über 50.000 monatliche Hörer. Die Musikerin und Autorin Silvi Carlsson kritisierte das jüngst in einem viral gegangenen Video. In den Kommentaren: zahlreiche Fragen nach Legalität, Verantwortung – und Kunstfreiheit.
Dazu ist wichtig: Kunst darf und soll anecken, Humor übertreiben. Beides kann Missstände sichtbar machen, Tabus brechen, sogar politische Debatten anstoßen. Ob und wie Inhalte zum Spaß gehört werden, entscheidet jeder selbst. Kritisch wird es aber, wenn Misogynie und Gewalt ohne Kontext reproduziert werden – scheinbar verantwortungsbefreit von „der KI“.
Doch das ist ein Trugschluss, meint Reinhard Karger im Gespräch mit CORRECTIV. Er ist Sprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Verantwortung trage „immer der Mensch“ – auch wenn Text und Stimme automatisiert erzeugt wurden. Plattformen wie Spotify seien verpflichtet, auf Beschwerden zu reagieren und Inhalte zu prüfen oder zu entfernen. Das besagt übrigens auch der neue „Digital Services Act“ (DSA) der EU – demnach sind Anbieter verpflichtet, transparenter mit problematischen Fällen umzugehen und schneller zu reagieren. (Apropos Reaktion: Spotify gab auf unsere umfassende Anfrage zu alledem leider kein Statement ab. Das Unternehmen verwies schlicht auf diverse eigene Plattformregeln.)
Ein zentrales Problem in der KI-Debatte, schloss Karger, sei, dass über KI gesprochen werde, als sei sie ein Wesen. „Es ist nicht die KI – sondern das KI-System“, so Karger. Er rät zu einer technischen Sprache. Nur wenn wir diesen Unterschied sprachlich mitdenken, bleibe sichtbar, wer wirklich handelt: nicht Maschinen – sondern Menschen.
Was denken Sie: Brauchen wir digitale Redaktionen, die KI-Inhalte vor Veröffentlichung noch einmal prüfen – oder ist das Zensur? Schreiben Sie gerne an samira.joy.frauwallner@correctiv.org.

„Nein“ zur Regenbogenflagge auf dem Reichstagsgebäude – das hatte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner bereits verkündet. Vor wenigen Tagen zog die Bundestagsverwaltung nach: Das queere Regenbogen-Netzwerk der Bundestagsverwaltung darf nicht offiziell an der Parade teilnehmen – nur als Privatpersonen. Die bereits erfolgte Anmeldung als Fußgruppe musste das Netzwerk zurücknehmen. Entschieden hat das der Verwaltungsdirektor, ein CDU-Mitglied, berufen von Klöckner. Doch bei Parteifreunden stößt das auf Kritik.
Die Bundestagsverwaltung begründet das Verbot mit dem Neutralitätsgebot. Ein Sprecher schreibt auf CORRECTIV-Anfrage: „Die erkennbare Teilnahme an politischen Kundgebungen wie dem Berliner CSD“ sei damit nicht vereinbar, „bei denen insbesondere auch bestimmte Forderungen an die Politik gestellt werden.“ Doch das ist neu. Noch unter SPD-Politikerin Bärbel Bas, Klöckners Vorgängerin, sah die Verwaltung hierin kein Problem. Und auch das CDU-geführte Familienministerium, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und die Berliner Bezirksämter nehmen in diesem Jahr wieder am CSD teil. Warum die kein Problem darin sehen, die Bundestagsverwaltung aber schon? Per Mail antwortet die Bundestagsverwaltung, dass sie sich „grundsätzlich nicht zu anderen Verfassungsorganen oder Behörden“ äußere.
Viele bewerten den Vorgang so: Ausgerechnet in Zeiten, in denen Übergriffe von Rechtsextremen auf queere Veranstaltungen und CSD-Paraden zunehmen, verweigern Julia Klöckner und ihre Verwaltung eine sichtbare Unterstützung. Das Signal ist eine kulturelle Rolle rückwärts – immerhin bekleidet Klöckner das zweithöchste Amt im Staat.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Till Eckert und Samira Joy Frauwallner.
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