Liebe Leserinnen und Leser,
nochmal zu Friedrich Merz – dem Mann, der die größten Chancen hat, unser neuer Bundeskanzler zu werden. Am Wochenende hat der CDU-Chef wieder für Schlagzeilen gesorgt, und zwar mit seinem Plan für einen „Asyl-Stopp“. Wir ordnen im Thema des Tages ein, was es damit auf sich hat. Auf unsere Interviewbitte hat er sich übrigens noch immer nicht geregt – obwohl Zehntausende von Ihnen die CDU und Merz in Sozialen Netzwerken angefunkt haben. Wir arbeiten weiter daran.
Außerdem im SPOTLIGHT: In der Grafik des Tages zeigen wir, wie viele Menschen am Wochenende gegen Rechtsaußen demonstriert haben. Und in der Werkbank geht es um den heutigen 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz.
Ich hoffe, Sie sind heute gut in die Woche gestartet. Schicken Sie gern wieder Ihre Vorschläge für die „Leserfrage der Woche“ an: robin.albers@correctiv.org.
Thema des Tages: So verwirrt uns Merz gerade
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Bundestagswahl-Spezial: Der Salon5-Wahlprogramm-Check: Teil 1
Faktencheck: Warum die obere Ecke der Stimmzettel abgeschnitten ist
CORRECTIV-Werkbank: Kein Vergeben, kein Vergessen
Grafik des Tages: Zehntausende auf den Straßen gegen Rechtsextremismus
Friedrich Merz sorgt momentan für Verwirrung. Wir ordnen ein:
Schritt 1: Der Asyl-Plan
Erst, Ende vergangener Woche, stellte Merz seinen „Fünf-Punkte-Plan“ vor: Als Kanzler wolle er als allererstes unsere Asylpolitik drastisch verschärfen – unter anderem, indem absolut niemand mehr ins Land kommen soll, der keine gültigen Einreisepapiere hat. Wie er das mit unserer Verfassung vereinbaren will, die politisch Verfolgten ein Recht auf individuelle Asylprüfung garantiert, verriet er nicht.
Schritt 2: Die bröckelnde Brandmauer
Merz sagte: „Abschiebungen und Rückführungen müssen ab sofort täglich stattfinden.“ Und ihm sei es „völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht“. Hier ist sein zehnminütiges Statement im Original zu sehen. Der entscheidende Satz fällt bei Minute 7:30. Dabei hatte Merz doch kürzlich erst beteuert, seine politische Zukunft davon abhängig zu machen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gebe.
Die neuen Äußerungen warfen natürlich die Frage auf, ob die Brandmauer nun doch einstürzt. Ob also politische Zusammenarbeit mit der AfD für die Union künftig denkbar sei. Befeuert wurde die Sorge dadurch, dass CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Freitag in einem Interview sagte: „Das Nazi-Bashing gegen die (AfD) und das Brandmauer-Gerede müssen aufhören.“
Schritt 3: Die Entschließungsanträge
Am Wochenende hat Merz nun aber eine weitere unerwartete Wendung vollzogen. Er kündigte an, die CDU-Fraktion wolle diese Woche zwei sogenannte Entschließungsanträge in den Bundestag einbringen. Thema: Merz’ rigide Asylpolitik, die er eigentlich erst nach der Wahl durchziehen wollte.
Schritt 4: Der politische Kniff
Das Ganze ist ein Wahlkampfmanöver. Denn Entschließungsantrag bedeutet: Hier wird kein konkretes neues Gesetz diskutiert, sondern der Bundestag bringt einfach mal generell seine Auffassung zu bestimmten politischen Themen zum Ausdruck. Rechtlich bindend ist daran aber gar nichts, es geht einfach um ein Stimmungsbild im Parlament. Soll heißen: Stimmt der Bundestag diesen Anträgen zu, bedeutet das noch lange nicht, dass ab nächster Woche die Grenzen dicht sind und kräftig abgeschoben wird.
Zum politischen Kniff wird das Manöver dadurch: Im Text für die Entschließungsanträge steht eine Passage, die die AfD für praktisch unwählbar erklärt. Sie „gefährde Stabilität, Sicherheit und Wohlstand“ in unserem Land. Merz und seine Partei wollen die AfD in eine Falle locken: Stimmen sie zu, erklären sie sich selbst für gefährlich. Stimmen sie nicht zu, kann Merz sagen: Ätsch, wir haben euch Zusammenarbeit angeboten, um die Asylpolitik zu verschärfen – ihr wolltet nicht.
Also was jetzt, wo steht Merz?
Unsere Fragen an Merz:
Gemeinsam mit unserem AfD-Experten Marcus Bensmann, mit mehreren Migrationsexperten und mit Anregungen aus Ihren vielen E-Mails basteln wir gerade an einer Liste der allerwichtigsten Fragen an Merz. Also den Fragen, die zeigen sollen, ob er für jene wählbar ist, die die „Remigrations“-Politik der AfD ablehnen.
Sollte Merz weiter keine Zeit für ein Interview bei uns haben, wollen wir ihm diese Fragen schicken und um schnelle schriftliche Antwort bitten. Oder schauen, wo wir ihn zufällig antreffen.
Kolumbiens Präsident knickt nach Trump-Drohungen ein
Zwei US-Flugzeuge sollten am Sonntag illegal eingewanderte Kolumbianer in ihrem Heimatland absetzen. Doch Kolumbiens Staatschef Gustavo Petro sagte nein – denn für ihn verdienten Einwanderer Würde, sie seien keine Kriminellen. Als US-Präsident Donald Trump allerdings mit Strafzöllen und weiteren Konsequenzen drohte, wendete sich das Blatt.
spiegel.de
Nahost: Tausende Palästinenser kehren nach Nord-Gaza zurück
Sie haben gesungen, geweint und gebetet, als sie von Israel am frühen Morgen wieder zurück in ihre verwüstete Heimat gelassen wurden. Ihre Rückkehr ist Teil der Waffenruhe zwischen der israelischen Regierung und den Hamas. Die islamistische Terrororganisation ließ derweil verlauten, auch eine andere Macht in Gaza akzeptieren zu können.
rnd.de (Liveticker)
Lokal: Nach AfD-Liveschalte in Halle: Polen und Israel kritisieren Elon Musk
Der Tesla-Chef plädierte beim AfD-Wahlkampfauftakt in Halle dafür, die „vergangene Schuld“ – die Nazi-Verbrechen – hinter sich zu lassen. Es sei eine „Beleidigung für die die Opfer“ erklärte der Vorsitzende der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Für Polens Ministerpräsident klangen Musks Aussagen „vertraut und bedrohlich“.
tagesspiegel.de
Investigativ: Datenleck zeigt, dass viele Deutsche ihren Partner heimlich überwachen
Eigentlich ist „mSpy“ für besorgte Eltern gedacht. Sie können unbemerkt Dinge wie Anrufe, E-Mails, Chats, Standortdaten, Tastenanschläge und sogar Mikrofon sowie Kamera auf dem Handy ihres Kindes nachverfolgen. Doch viele Erwachsene nutzen die Spionage-App auch, um ihren Partner oder ihre Partnerin unbemerkt auszuspionieren, wie netzpolitik.org mit dem SWR herausgefunden hat. In Deutschland ist das illegal.
netzpolitik.org
Bundestagswahl-Spezial
Zu den klassischen Elementen eines Wahlkampfes gehören nicht nur die Sonntagsfrage (die aktuelle sehen Sie in der Grafik), sondern auch Wahlprogramme. Die sind oft lang und nicht besonders leicht verständlich. Unsere Jugendredaktion Salon5 hat sich deshalb alle Parteiprogramme angesehen. Was die SPD in Sachen Bildung, Wirtschaft, Migration und Diskriminierung ändern will, erfahren Sie hier – die anderen Parteien folgen im Laufe der Woche.
instagram.com
Kaum geht es einer Wahl entgegen, erheben sich online Stimmen, die die Sicherheit der Wahl in Zweifel ziehen. Ein beliebtes Ziel: die Briefwahl. Doch anders als immer wieder behauptet, sind Stimmzettel auch dann gültig, wenn die obere rechte Ecke gelocht oder abgeschnitten ist.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Letzte Woche haben wir hier bereits auf unsere Recherche hingewiesen, die Deutschlands Versagen dokumentiert, psychisch erkrankte Geflüchtete ausreichend psychologisch zu betreuen. Wie sich das konkret vor Ort auswirkt, erklärt hier im Deutschlandfunk eine Integrationsbeauftragte aus NRW.
deutschlandfunk.de
So geht’s auch
Geflüchtete Mütter nehmen in Deutschland seltener an Sprachkursen teil als Männer – vor allem, weil Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder fehlen. Der Verein Müttersprache in Mannheim will das ändern.
veto-mag.de
Fundstück
Erwin Schwab geht einem besonderen Hobby nach: Er beobachtet den Himmel und sucht dort nach Kleinplaneten. 114 hat er bereits entdeckt. Welchen wichtigen Beitrag Hobby-Astronomen wie er für die Wissenschaft leisten, erläutert Science Notes in diesem Portrait.
sciencenotes.de
Endlich verständlich
Nach dem tödlichen Messerangriff in Aschaffenburg, bei dem ein 28-jähriger Afghane – ein abgewiesener Asylbewerber – ein zweijähriges Kind und einen Mann tötete, ist die Debatte wieder aufgebrandet: Wie kann es sein, dass psychisch kranke Schutzsuchende nicht besser betreut werden? Und wie, dass die Öffentlichkeit nicht besser vor ihnen geschützt wird? CORRECTIV hat diese Fragen in einer aufwändigen Recherche untersucht. Sie zeigt: Deutschland versagt seit Jahren in diesem Punkt.
correctiv.org
So geht’s auch
Geht es auch ohne Elon Musks Plattform X? Dieser Versuch läuft seit ein paar Tagen auf der Internet-Diskussionsplattform Reddit. Dort haben sich mehr als 50 Communities, also Diskussionsgruppen mit insgesamt mehreren Millionen Mitgliedern, zusammengeschlossen – und beschlossen, keine Links von X mehr zu teilen. So wollen sie der Plattform Reichweite entziehen.
spiegel.de
Fundstück
Journalisten, die in vollen Zügen laut über ihre Arbeit erzählen? Normalerweise keine so kluge Idee – in diesem Fall offenbar schon. Einer unserer CORRECTIV-Kollegen (wir nennen mal keinen Namen) hat diesen jungen Mann offenbar ziemlich beeindruckt, wie dieser auf TikTok erzählt:
tiktok.com
Die sieben Jugendlichen schweigen, als sie die Brennöfen begutachten. Bis einer schließlich diese unangenehme Stille durchbricht und fragt: „Die waren schon tot, als die da reinkamen, oder?“ „Ja“, erwidert ein anderer aus der Gruppe. „Zum Glück!“
Erleichtert geht es für die schätzungsweise 16-Jährigen in den nächsten Raum. Die Decke ist maximal zwei Meter hoch, die großgewachsenen Jungs bücken sich zur Sicherheit etwas. Wieder Stille. Sie stehen in einer Gaskammer. Das muss natürlich erst einmal verarbeitet werden. Mehr als ein zaghaftes „Krass“ oder „Alter“ bekommt keiner von ihnen über die Lippen. Bis schließlich einer sieht, dass an den Wänden Namen eingeritzt wurden. Die Empörung der Jungs ist offenbar groß, denn einer von ihnen sagt dazu: „Das geht gar nicht, Alter!“, und die anderen nicken zustimmend zu.
Die Gruppe verlässt die Gaskammer durch eine schwere Stahltür, die nur von der anderen Seite zugeschraubt werden kann. Über ihr ein Schild, das die Jugendlichen erneut erstaunt. „Die wurden hier mit Brausebad verarscht – das geht gar nicht, Alter!“, kommentiert einer von ihnen das Täuschungsmanöver der Nazis.
Ich konnte diese Szene vor etwas mehr als einem Jahr beobachten, als ich für eine Reportage die KZ-Gedenkstätte in Dachau (etwa 30 Kilometer nördlich von München entfernt) besuchte. Warum ich sie mit Ihnen teile? Weil das, was die Jungs dort erleben und sehen konnten, unfassbar wichtig ist. Gerade heute, am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus – mindestens 11 Millionen Menschen ermordete das Nazi-Regime, davon allein 6 Millionen Jüdinnen und Juden.
Anlass ist die Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz am 27. Januar 1945. Piotr Cywiński, Museumsdirektor der heutigen Gedenkstätte in Polen, sagte kürzlich in einem lesenswerten Interview im Spiegel, dass die Menschheit sich in diesen 80 Jahren nicht so sehr verändert hat. Denn die Gefahren seien heute die gleichen wie damals – nur in etwas anderer Form. Ich stimme ihm zu. Daher ist es wichtig, sich daran zu erinnern, wo Hass und Hetze hinführen können. Nicht nur heute.
Also machen Sie es wie die sieben Jungs in Dachau und besuchen Sie eine Gedenkstätte. Mehr dazu erfahren Sie unter anderem beim Gedenkstättenforum der Stiftung Topographie des Terrors.
In Dutzenden Orten des Landes fanden am vergangenen Wochenende Demonstrationen gegen Rechtsextremismus statt, teils mit mehreren Zehntausend Teilnehmenden – beispielsweise in Köln (40.000), Berlin (35.000), Halle und Ravensburg (je 10.000). Bereits in den Wochen zuvor gingen zahlreiche Menschen gegen den Rechtsruck und Vertreibungsphantasien auf die Straßen.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Robin Albers, Till Eckert und Sebastian Haupt.
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