
Wenn es nicht so gravierend wäre, könnte es Stoff für eine wirklich gute Hollywood-Komödie sein: Der mächtige amerikanische Präsident nimmt sich den Staatschef eines kleinen Landes in Osteuropa zum Vorbild.
Seine Leute fahren von Washington aus zu Konferenzen an die Donau, saugen die Strategien auf, die in einem Land mit gerade mal 10 Millionen Einwohnern umgesetzt werden.
Vor zehn Jahren beschrieb ein ungarischer Experte den Regierungsstil von Viktor Orbán als „permanente Unberechenbarkeit“. Aha, das kommt uns doch gerade bekannt vor.
In seiner zweiten Amtszeit ab 2010 begann der ungarische Ministerpräsident übrigens damit, eine Clique von Gefolgsleuten im Staat zu installieren und dafür zu sorgen, dass Korruption legalisiert wurde. Sie bereichern sich seitdem ganz offen an staatlichen Geldern. Vor einigen Wochen hat eine Doku des ungarischen Investigativportals Direkt36 in Ungarn für Furore gesorgt, die eindrücklich zeigt, wie sich Orbáns Leute den Staat unter den Nagel reißen. Vor den Augen der Öffentlichkeit.
Die US-Republikaner fahren tatsächlich seit Jahren nach Budapest und lassen sich dort inspirieren. Ich selbst habe eine Zeitlang aus Budapest berichtet und konnte quasi live mitverfolgen, wie Orbán Stück für Stück den Umbau vorantrieb, indem er jede Woche eine weitere Aktion ankündigte, eben „permanent unberechenbar“.
Die amerikanische Publizistin Anne Applebaum beschreibt in der aktuellen Ausgabe des Atlantic in einem kurzweiligen Essay, wie nah Trump gerade an seinem Orbán-Vorbild ist.
Der Welt wäre wahrscheinlich geholfen, wenn wir in ein paar Jahren zurückblicken könnten und Hollywood im Stil von „Wag the Dog“ eine sehr gute Komödie über das drehen würde, was passiert ist. Weil die Folgen nicht so hart waren, wie es derzeit einige zurecht befürchten.
Wir haben für Sie diese Woche wieder sehr lesenswerte Empfehlungen zusammengetragen, die den Blick schärfen. Ihnen wünsche ich ein sonniges, erholsames (und koalitionsvertragsfreies) Wochenende!
Ihr
104 Femizide in Deutschland
Nach Zeit-Recherchen wurden in Deutschland im Jahr 2024 mindestens 104 Frauen von Partnern oder Ex-Partnern getötet – fast jeden dritten Tag ein Femizid. Diese eindringliche Recherche dokumentiert die Geschichten jedes dieser Verbrechen.
Und dann malt er ein Herz mit ihrem Blut ans Fenster (zeit.de, €)
Wie Demokratien zugrunde gehen
Der Politologe Jan-Werner Müller warnt vor einem gefährlichen Machtvakuum in den USA: Donald Trump handle „völlig befreit“ von Recht und Gesetz und öffne so libertären Utopisten aus dem Silicon Valley Tür und Tor. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung erklärt der Politik-Professor aus Princeton, wie Eliten den Abbau demokratischer Strukturen vorantreiben. Er sagt, Demokratien scheitern nicht durch das Volk, sondern durch die Eliten.
„Demokratien gehen nicht am Volk zugrunde, sondern an Eliten“ (sueddeutsche.de)
Ein Streit mit Folgen
Die Wissenschaftsjournalistin Sanaz Saleh-Ebrahimi veröffentlichte im November in der Zeit eine Recherche über Sucralose, einen Zuckerersatz, der beim Erhitzen möglicherweise in krebserregende Teilchen zerfällt. Das Unternehmen „More Nutrition“ vertreibt Produkte mit diesem Stoff, die sich zum Backen eignen sollen. Nach der Veröffentlichung attackierte der Unternehmensgründer und Fitnessinfluencer Christian Wolf die Journalistin. Reporter ohne Grenzen schreibt, er verbreitete Falschinformationen über sie und stellte ihre Glaubwürdigkeit als Journalistin infrage. In einem Video auf der Plattform LinkedIn berichtet Saleh-Ebrahimi von den Rechtsstreitigkeiten mit Wolf. Ihre Recherche bleibt weiterhin stehen, die Sie hier lesen können:
Wird der No-Zucker-Hype zum Gesundheitsrisiko? (zeit.de)
Textbausteine für den Koalitionsvertrag
Interne Dokumente zeigen: Während der Koalitionsverhandlungen versuchten Lobbyisten, den Vertrag der neuen Regierungskoalition direkt zu beeinflussen – teils erfolgreich. Ein Rüstungskonzern schickte fertige Textbausteine zum Einfügen, ein Interessenvertreter bat darum, Unterlagen „versehentlich“ im Kopierer liegenzulassen, berichtet das Portal Abgeordnetenwatch. Die Recherche zeigt, wie Wirtschaftsvertreter entscheidende Formulierungen beeinflussten und politische Prozesse mitgestalteten.
Einfluss hinter verschlossenen Türen (abgeordnetenwatch.de)
Deutschland in der Zeitenwende
Anne Will sucht in dieser ARD-Doku nach Antworten in einem Europa, das zunehmend verunsichert wirkt. Drei Jahre nach Russlands Angriff auf die Ukraine und angesichts einer möglichen Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus fragt sie: Wie groß ist die Kriegsangst in Deutschland? In Litauen besucht sie Bundeswehr-Kasernen, spricht mit jungen Rekruten, Pazifisten und einem Bunker-Bauer. So zeichnet sie zusammen mit der Journalistin Julia Friedrichs ein eindringliches Bild der sicherheitspolitischen Stimmung. Auch Boris Pistorius kommt zu Wort und spricht über Ängste, Vorsorge und die Hoffnung auf Frieden.
Angst vor Krieg: Die Deutschen in der Zeitenwende (ardmediathek.de, Video)

CO2-Lager: Gefahr durch geplante Pipeline im Rheinland
Die neue Koalition will Treibhausgase im Meeresboden lagern. Doch nach Recherchen von WDR und CORRECTIV bestehen erhebliche Risiken bei dem größten deutschen CCS-Vorzeigeprojekt zwischen Köln und der Nordsee: Es könnten gefährliche Gase aus der zukünftigen Pipeline entweichen.
correctiv.org
Staatssekretär Kellner empfiehlt Enteignung russischer Anteile
Russland und die USA verhandeln über Deutschlands Energieinfrastruktur. Der scheidende Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, Michael Kellner, schlägt Alarm: Er warnt vor einer Spaltung Europas und empfiehlt der kommenden Regierung die Verstaatlichung der russischen Anteile an der Ölraffinerie in Schwedt.
correctiv.org
Vom Volk, Vertreibung und etwas Schnee
Maximilian Krah distanziert sich erneut vom völkischen Konzept, der Streit innerhalb der AfD um extreme Positionen eskaliert weiter. Anlass sind Fotos und Vorwürfe seines ehemaligen Mitarbeiters.
correctiv.org
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Jonathan Sachse und Finn Schöneck.
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