
Liebe Leserinnen und Leser,
Deutschland steht vor einem riesigen demografischen Problem: Immer weniger junge, erwerbstätige Leute müssen die Rente für immer mehr Menschen im Ruhestand erwirtschaften. Derzeit müssen zwei Erwerbstätige zusammen einen Rentner versorgen.
Dass unser umlagefinanziertes Rentensystem in seiner jetzigen Form nicht mehr lange durchzuhalten ist, ist schon lange bekannt. Die alte Bundesregierung hatte mit der Aktienrente eine Lösung vorgeschlagen, die sogar schon halb umgesetzt war – und von der jetzt trotzdem keine Rede mehr ist.
Stattdessen setzt die Koalition aus Union und SPD auf ein neues Konzept namens „Aktivrente“. Um dieses gibt es jetzt aber Verwirrung. Mehr dazu im Thema des Tages. Wir haben dazu auch Fragen an Sie – siehe dazu unsere Umfrage weiter unten.
Außerdem im SPOTLIGHT: In einer neuen Folge unseres Formats „Gemeinsam aufgedeckt“ lesen Sie heute, weshalb ein Teil des neuen „Sondervermögens“, das ja eigentlich unter anderem für den Klimaschutz gedacht ist, am Ende in klimaschädlichen Projekten landen könnte.
Sie haben Hinweise für mögliche Recherchen? Dann schreiben Sie mir: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Unsere Rentner sollen „aktiv“ werden
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Faktencheck: Warum der WHO-Pandemievertrag die nationale Souveränität nicht einschränkt
CORRECTIV-Werkbank: „Stolzmonat“: Queer-Feindlichkeit in Memes getarnt
Die alte Bundesregierung hatte den Plan, mit der sogenannten Aktienrente unser Demografieproblem (zumindest teilweise) zu lösen. Wir von CORRECTIV hatten die Pläne dafür seit rund einem Jahr verfolgt:
Unsere Klimareporterin Elena Kolb fand heraus, dass die Investmentfirma BlackRock an der Aktienrendite wohl mitverdienen sollte. Und, dass die Milliarden wohl nicht gerade klimafreundlich angelegt würden.
Mitte Mai berichtete sie dann: Die neue Bundesregierung hat das Großprojekt, in das schon enorm viel Aufwand und Geld geflossen sind, still und heimlich wieder einkassiert. Hier können Sie den Text nachlesen (Klick aufs Bild):

Was nun stattdessen geplant ist:
Die neue Bundesregierung setzt auf die sogenannte „Aktivrente“. Diese soll es für rüstige Rentner attraktiver machen, auch nach dem Erreichen des offiziellen Rentenalters weiter zu arbeiten. Aber nur, heißt es offiziell, wenn diese das auch wollen – hier die Erklärung der CDU zum Thema.
Union und SPD kündigten bisher an, dass sich arbeitende Rentner künftig pro Monat 2.000 Euro steuerfrei zur Rente hinzuverdienen können. Im Koalitionsvertrag steht dazu (Seite 20 im Dokument): „Arbeiten im Alter machen wir mit einer Aktivrente attraktiv.“
Aber: Jetzt gibt es Verwirrung darüber.
Was war genau los?
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Hendrik Hoppenstedt, sagte gestern in einem Interview beim Fernsehsender Phoenix: Die „Aktivrente“ werde die Rentenkasse entlasten. Warum genau, fragte die Moderatorin nach? Die Antwort:
„Weil erstmal die Rentenzahlung nicht einsetzt. Ich kriege dann ja keine Rente, wenn ich weiter verdiene.“
Hendrik Hoppenstedt
Parlamentarischer Geschäftsführer Unions-Bundestagsfraktion
Hoppla!, sagte daraufhin die Moderatorin sinngemäß – wieso wird es denn dann attraktiver, weiter zu arbeiten?
Seither kocht in Sozialen Netzwerken die Wut hoch: Hat die neue Regierung uns veräppelt? Hier ist der ganze Vorgang noch mal zusammengefasst bei derwesten.de.
Wir haben die CDU gefragt:
Was stimmt denn nun, bekommt man künftig Rente, wenn man nach Eintritt ins Rentenalter noch arbeitet – oder nicht?
Ein Sprecher der Partei antwortete uns:
„Alle Details werden im Gesetzgebungsverfahren festgelegt, dem wir nicht vorgreifen wollen. Bitte haben Sie daher Verständnis, dass wir uns im Moment nicht weiter dazu äußern.“
CDU-Sprecher
Wir haben außerdem nachgefragt: Was erwartet die CDU, wie viele Rentnerinnen und Rentner auf das neue Angebot mit der „Aktivrente“ eingehen werden – und wie stark, in Eurobeträgen, die Summe ist, die dadurch eingespart werden soll? Das beantwortete der Sprecher nicht.
Und jetzt sind wieder Sie dran:
Wir wollen von Ihnen wissen, ob Sie selbst planen, im Rentenalter noch zu arbeiten. Wenn ja: weil Sie es MÖCHTEN oder weil Sie es MÜSSEN? Und: Beeinflussen die aktuellen Pläne der Bundesregierung Ihre Pläne? Sagen Sie es uns.
Zur Teilnahme geht es hier oder per Klick aufs Bild:

Neue Studie: Erhöhte Sterblichkeit durch Hitze
Eine neue Studie des Umweltbundesamtes und des Robert-Koch-Instituts zeigt, dass in den Sommern 2023 und 2024 jeweils etwa 3.000 Menschen hitzebedingt gestorben sind. Besonders betroffen sind südliche Städte in Deutschland, da dort sogenannte Wärmeinseln die Hitze noch verstärken. Auf die Gefahren will der heutige Hitzeaktionstag aufmerksam machen.
mdr.de
Südkorea: Wahlsieg für linksgerichteten Kandidaten
Südkorea hat den 61-jährigen Spitzenkandidaten der linksgerichteten Demokratischen Partei zum neuen Staatsoberhaupt gewählt. Sein rechtsgerichteter Amtsvorgänger war nach seinem gescheiterten Versuch im Dezember 2024, das Kriegsrecht zu verhängen, seines Amtes enthoben worden. Eine wichtige Aufgabe des neuen Präsidenten dürfte darin bestehen, die Demokratie des Landes wieder zu stabilisieren.
handelsblatt.de
Lokal: Vorwürfe gegen Pfarrer treffen auf vehemente Verteidiger
Die einen demonstrieren für ihren Pfarrer, andere werden offenbar bedroht: Seit Monaten spaltet in Hauzenberg der Streit um den bisherigen Pfarrer den Ort. Der Bayerische Rundfunk hat die Kontroverse um ihn erneut untersucht. Im Mittelpunkt stehen Alkohol, die Nähe von Priestern zu Jugendlichen und der Umgang mit Kritikern. CORRECTIV berichtete im März über einen internen Bericht aus dem Bistum Passau. Seitdem bestreiten der Pfarrer und sein Anwalt alle Vorwürfe.
br.de / correctiv.org
Recherche: Umweltrisiken durch problematische Pflanzenschutzmittel
Durch umstrittene EU-Ausnahmegenehmigungen sind immer mehr Pflanzenschutzmittel im Umlauf, deren Risikobewertung veraltet ist. Umweltverbände kritisieren, dass die Genehmigungen auch für Wirkstoffe genutzt werden, deren schädliche Wirkung für Mensch und Umwelt längst erwiesen sei.
tagesschau.de

Faktencheck

Zwei AfD-Politikerinnen warnen vor dem Pandemievertrag der WHO. Angeblich nehme er den Ländern die Souveränität – zum Beispiel, um selbst über Maßnahmen bei Pandemien zu entscheiden. Das ist falsch: Der Vertrag schließt aus, dass die WHO über nationales Recht verfügt. Über Maßnahmen im Fall einer Pandemie wie eine Impfpflicht oder Lockdowns bestimmen die Länder weiterhin selbst.
correctiv.org
Endlich verständlich
Der Pride Month ist ein Monat für Sichtbarkeit, Solidarität und Widerstand – und für die queere Community. Der Juni erinnert an die Stonewall-Aufstände von 1969. Wo in diesem Jahr CSDs stattfinden, hat unsere Jugendredaktion Salon5 hier zusammengetragen. Doch auch heute ist Pride nicht nur Party: Politische Gewalt gegen queere Personen nimmt wieder zu und rechte Gruppen versuchen, CSD-Teilnehmende einzuschüchtern. Mehr dazu erklärt Salon5 bei TikTok.
tiktok.com
So geht’s auch
Wenn Kinder am Wasser spielen, kann es schnell gefährlich werden. Ein kleines Erfinderteam hat deshalb in Eigenregie ein T-Shirt entwickelt, das Kinder im Ernstfall vor dem Ertrinken retten soll.
mdr.de
Fundstück
„Früher war es auch schon heiß“ … im Sommer dürften Sätze wie dieser wieder öfter fallen, etwa beim Grillen oder bei Familienfeiern. Was dagegen hilft? Hier gibt es Tipps, wie man Klima-Fakes wiederlegt:
correctiv.org / klimafakten.de
„Bibi Stolzberg, die Stolzmaus und der Abschiebefant“, sagt Lena Kotré, „werden in ein paar Jahren in jedem Kinderzimmer bekannt sein.“ Die AfD-Abgeordnete aus Brandenburg spricht über abgewandelte Kinderfiguren, provokante Memes, die aus rechtsextremen Troll-Kreisen stammen. Sie sind Teil des sogenannten „Stolzmonats“, einer rechten Gegenkampagne zum „Pride Month“ für die LGBTQ+-Rechte und -Community.
Beim 2023 initiierten „Stolzmonat“ fluten rechte Trolle und politische Aktivisten zum Beginn des „Pride Month“ am 1. Juni Soziale Netzwerke mit zehntausenden Beiträgen, um den „Pride Month“ unsichtbar zu machen. Die Taktik: überlagern, umdeuten, provozieren und hetzen. Schwarz-Rot-Gold statt Regenbogen. Die AfD erkannte schnell die aktivistische Kraft und sprang auf den queer-feindlichen Zug mit auf.
Zwei Jahre später trafen sich nun zum ersten Mal laut Polizei 85 Aktivisten, um im Koblenzer Stadtteil Stolzenfels den Auftakt der Kampagne zu feiern – aus rechten Memes wird ein vermeintliches Volksfest. Dem stellten sich 180 Personen entgegen.
Was als Internet-Kampagne begann, trug wohl auch zu realen Bedrohungen bei, etwa bei den systematischen Attacken auf CSDs im vergangenen Jahr. Dass es beim „Stolzmonat“ nicht um ein bisschen Vaterlandsliebe geht, beschreibt der Verfassungsschutz so: „Unter dem Deckmantel des ‚Stolzmonats‘ wurde von der rechtsextremistischen Szene mit Aktionen sowohl im digitalen als auch realweltlichen Raum gegen die LGBTQ+- Community gehetzt.“ Getrieben wurde die Hass-Kampagne etwa von der sogenannten Identitären Bewegung, einer rechtsextremen Kleinstgruppe. Zu den Initiatoren gehört der rechtsextreme Influencer „Shlomo Finkelstein“, über den CORRECTIV schon berichtete – und der jetzt vorzeitig aus der Haft wegen etwa Beleidigung von Religionsgesellschaften und Volksverhetzung entlassen wurde.
Der „Stolzmonat“ ist eine von vielen Facetten, wie Rechtsextreme in die Öffentlichkeit drängen, um den politischen Diskurs zu verschieben. Wichtig zu wissen: schwarz-rot-goldene Memes sind nur eine Fassade, dahinter steht eine queer-feindliche Kampagne.
Auch in den USA greifen sich rechts-autoritäre Kreise das Thema LGBTQ-Rechte heraus, wie eine aktuelle Recherche meiner Kollegin Gabriela Keller zeigt.

Deutschland erlebt – wie die meisten Länder der Welt – durch die Erderwärmung immer mehr Hitzetage. Etwa die Hälfte der 50 Hitzetage in den vergangenen zwölf Monaten geht laut neuer Studie auf den Klimawandel zurück.
Was ein „Hitzetag“ ist: Da Temperaturen regional sehr unterschiedlich sind (etwa in Norwegen, Italien oder Sambia), gilt bei diesen Berechnungen keine absolute Temperatur als Grundlage. Es hängt stattdessen vom jeweiligen Land ab. Dafür vergleichen Forschende den Tag mit den Temperaturen von 1991 bis 2020. Ist er heißer als 90 Prozent der Tage in diesem Zeitraum, gilt er als Hitzetag.
Und wie lässt sich nun sagen, welchen Anteil der Klimawandel hat? Um das zu bestimmen, berechnete das Team ein theoretisches Szenario ohne Erderwärmung – und verglich die tatsächlich beobachtete Zahl der extremen Hitzetage damit. (Wie bei allen Modellrechnungen gilt: Es gibt natürlich statistische Unsicherheitsbereiche.)
deutschlandfunk.de
Es geht um eine Zahl mit elf Nullen: Die Bundesregierung plant, in den kommenden Jahren 500 Milliarden Euro Sondervermögen zu investieren. Also unfassbar viel Geld. Damit werden extrem wichtige Weichen für die Zukunft gestellt. Und damit auch für unser Ziel, bis 2045 klimaneutral zu sein.
Bei CORRECTIV prüfen wir deshalb bei unserer „Gemeinsam aufgedeckt“-Recherche zum Sondervermögen ganz genau, ob die Regierung das Geld tatsächlich klimafreundlich verwendet.
Ein kürzlich geleaktes Papier aus dem Finanzministerium wirft diesbezüglich Fragen auf. Darin steht, dass mit dem Sondervermögen auch „Maßnahmen zur Energieversorgungssicherheit“ bezahlt werden können. Das schließt theoretisch auch klimaschädliche Gas-Infrastruktur ein – wie das Finanzministerium gegenüber CORRECTIV sagte.
Hier geht’s zur ganzen Recherche.
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt:Till Eckert, Samira Joy Frauwallner, Sebastian Haupt und Jule Scharun.
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