Liebe Leserinnen und Leser,
spätestens seit gestern ist die „Brandmauer“ in aller Munde. Der Bundestag hat mit einer Mehrheit vor allem aus CDU-, FDP- und AfD-Abgeordneten einem Antrag der Union zu Grenzschließungen zugestimmt. Darum geht es im Thema des Tages – und um die Frage, wie es jetzt politisch weitergeht.
Unter anderem mit dem Antrag für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren. Der nämlich wird gerade, während der SPOTLIGHT in ihrem Postfach landet, erstmals in unserem Parlament besprochen.
Was sonst noch wichtig ist: Wir zeigen in einer heute veröffentlichten Recherche, wie die Union gerade mit dem ungarischen Nationalisten Viktor Orbán anbandelt.
Wenn Sie Hinweise für Recherchen haben, schreiben Sie mir: anette.dowideit@correctiv.org.
Thema des Tages: Was ist denn jetzt mit der Brandmauer?
Der Tag auf einen Blick: Das Wichtigste
Bundestagswahl-Spezial: Die CDU im Wahlprogramm-Check von Salon5
Faktencheck: Drohte Thierry Breton damit, Bundestagswahl zu annullieren?
Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass derzeit so ziemlich alle, die politisch denken, über diese eine Frage diskutieren: Ist gestern im Bundestag die Brandmauer gefallen – weil CDU-Chef Friedrich Merz mit Stimmen der AfD einen Antrag zu schärferer Asylpolitik durchgebracht hat? Hier erklärt unsere Jugendredaktion noch einmal ganz einfach, was genau gestern passiert ist.
Man kann zu dieser Frage nämlich unterschiedlicher Ansicht sein. Eine Zusammenfassung:
Was ist nochmal die „Brandmauer“?
Allgemein ist der Begriff in der Politik so definiert: eine klare und unüberwindbare Abgrenzung zwischen demokratischen Parteien und extremistischen/radikalen Kräften.
Was aber heißt das konkret, wann ist man noch „abgegrenzt“? Kann es sich bei der Abstimmungsmehrheit gestern mit der AfD um eine Ausnahme gehandelt haben, die sich nicht wiederholen wird?
Was für den Einsturz der Brandmauer spricht:
Die allgemeine politische Definition (hier etwa von den Stuttgarter Nachrichten verständlich erklärt) besagt: keine gemeinsamen Anträge oder Gesetzesinitiativen im Parlament.
Ich möchte Ihnen hierzu einen kurzen Videoausschnitt von Marietta Slomka im gestrigen Heute Journal empfehlen. Sie argumentiert: Der größte Zivilisationsbruch der Geschichte, die Nazi-Verbrechen, sei damals nicht plötzlich und unaufhaltsam über die fragile Demokratie der Weimarer Republik hereingebrochen. Über Jahre hinweg habe sich das aufgebaut: mithilfe von Steigbügelhaltern und Mitläufern, die es möglich machten, dass die Faschisten mit demokratischen Mitteln an die Macht kamen. Mehr dazu auch im „Fundstück“ des Tages.
Übrigens: Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel ist derart besorgt, dass sie Merz heute öffentlich kritisierte. Das ist ein krasser Schritt, sich so offen gegen den Kanzlerkandidaten der eigenen Partei zu wenden.
Was dafür spricht, dass die Mauer noch steht:
Auch hierzu ein kluger Gedanke eines Kollegen: Beim Spiegel schreibt heute Kommentator Mathieu von Rohr, die Mauer sei nicht gefallen, sie habe nur Risse bekommen – denn erst, wenn CDU und AfD eine gemeinsame Regierung bilden würden (was übrigens nicht unmöglich erscheint, siehe Österreich), dann wäre die Brandmauer weg.
Zur Beruhigung lässt sich auch sagen: Unsere demokratischen Strukturen sind nicht so zerbrechlich wie die der Weimarer Republik, sie sind „resilienter“, wie man heute sagt. Wenn Sie sich dazu ganz genau informieren möchten, empfehle ich Ihnen diesen Beitrag des Politikwissenschaftlers Wolfgang Merkel.
So oder so: Am Ende jubelte die AfD-Fraktion, Merz schaute bedröppelt zu Boden und erklärte, er „bedauere“, dass durch seine Initiative der erste gemeinsame Beschluss demokratischer Parteien mit einer in Teilen rechtsextremen Partei in der Geschichte der Bundesrepublik gefasst wurde.
Merz’ Bedauern, man kann es nicht anders sagen, ist Heuchelei. Denn er hatte es ja genau darauf angelegt, die Stimmen der AfD zu bekommen – und so an der Rest-Regierung vorbei seine Hardliner-Politik durchzudrücken.
Wie es weitergeht:
Gerade jetzt, am frühen Donnerstagabend, diskutiert der Bundestag wieder heftig. und zwar über die Frage, ob ein AfD-Verbotsverfahren stattfinden soll. Unsere Verbotsverfahren-Reporterin Marie Bröckling ist natürlich vor Ort, außerdem unser Videoreporter Lennard Birmanns.
Marie Bröckling hat mir gerade schon mal berichtet, was im Bundestag los ist: Es deutet sich an, dass nach dem Tabubruch von Merz gestern noch weitere Abgeordnete den Verbotsantrag unterstützen wollen. Auf unserem Instagram-Account halten wir Sie heute und morgen auf dem Laufenden.
Und in der Asylpolitik?
Morgen will Merz dann sein „Zustrombegrenzungsgesetz“ in den Bundestag einbringen. Dann wird sich zeigen, wer mitstimmt. Die SPD schon mal nicht, machte Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz klar. Anlässlich dieser Gesetzesinitiative von Merz: Sie erinnern sich sicher an die 10 Fragen, die wir ihm geschickt hatten. Wir wollen wissen, wie sich seine Migrationspolitik konkret von jener der AfD abgrenzt. Morgen läuft die Antwortfrist ab. Ich finde, klare Antworten wären jetzt wichtiger denn je.
CORRECTIV: Zu Gast beim Date Orbán-naher Denkfabriken und der CSU
Organisationen mit Nähe zu Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán suchen in Europa Verbündete für ihre rechtskonservative Agenda. Bei einer ihrer Konferenzen in Berlin waren neben Trump-Fans auch Politiker der CDU und CSU dabei – und unsere Reporter. Hier können Sie lesen, was bei dem Treffen besprochen wurde:
correctiv.org
Nahost: Israel setzt Freilassung Gefangener aus
Neben einer israelischen Soldatin und fünf Thailändern hat die Hamas auch zwei Deutsch-Israelis dem Roten Kreuz übergeben. Dabei kam es zu chaotischen Szenen. Die 110 palästinensischen Gefangenen, die die israelische Regierung als Teil des Waffenruheabkommens selbst übergeben wollte, kommen deshalb „bis auf Weiteres“ nicht frei.
zeit.de
Lokal: Niedersächsische Jäger demonstrieren gegen Gesetzesreform
Bis zu 20.000 Jägerinnen und Jäger aus ganz Deutschland haben sich am Vormittag auf dem Schützenplatz in Hannover versammelt, um gegen eine geplante Novelle des Jagdgesetzes zu protestieren. Vor allem der Tierschutz soll sich dadurch verbessern.
ndr.de
Investigativ: Rechtsterroristen planen Konzert in Budapest
Anfang Februar sollen mehr als zehn Bands aus Europa bei einem zweitägigen Festival auf der Bühne stehen, das vom rechtsextremen Netzwerk „Blood & Honour“ in Ungarn organisiert wird. Bellingcat hat die Hintergründe recherchiert.
bellingcat.com
Übrigens: Mitglieder von „Blood & Honour“ waren auch bei einem Treffen von AfD-Funktionären und Neonazis Mitte Dezember in der Schweiz dabei. Genauso wie ein CORRECTIV-Reporter – mehr dazu hier.
Bundestagswahl-Spezial
Die CDU verspricht in ihrem Wahlprogramm, Deutschland wieder nach vorn zu bringen. Dafür will sie die Wirtschaft stärken und setzt dabei stark auf Leistung. Das beginnt schon im Schulunterricht – sei es in Mathematik oder im Sport.
Unsere Jugendredaktion Salon5 hat Jugendliche gefragt, was ihnen bei der Bundestagswahl am wichtigsten ist und die Programme der Parteien danach gecheckt. Auf Instagram finden Sie die Ergebnisse zu den Christdemokraten:
instagram.com
Der ehemalige EU-Kommissar Thierry Breton soll in einem Interview damit gedroht haben, die Bundestagswahl in Deutschland zu annullieren, etwa um einen möglichen AfD-Sieg für ungültig zu erklären. Doch das könnte er gar nicht. Breton sprach über die Anwendung des DSA, ein Gesetz über digitale Dienste, in dessen Rahmen die EU kürzlich ein Verfahren gegen TikTok einleitete.
CORRECTIV.Faktencheck
Endlich verständlich
Kann die AfD verboten werden? Vielleicht! Über ein mögliches Prüfverfahren wird heute zumindest im Bundestag gesprochen. Aber eine Partei kann man nicht einfach so verbieten. Die Bundesregierung, der Bundesrat oder der Bundestag können ein Verbot beantragen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet dann, ob die Partei eine Gefahr für Deutschland und die Demokratie ist. Warum das jetzt die AfD betrifft und welche Parteien schon verboten wurden, erfahren Sie in dem Instagram-Post unserer Jugendredaktion Salon5:
instagram.com
So geht’s auch
Sie sind sich noch nicht sicher, wen Sie wählen wollen? Dann könnte der Real-O-Mat von FragDenStaat etwas für Sie sein: Anders als der Wahl-O-Mat schaut der nicht auf Wahlversprechen, sondern gleicht das Abstimmungsverhalten der Parteien zu aktuellen politischen Themen mit ihrer Position ab.
real-o-mat.de
Fundstück
Am 30. Januar 1933, also heute vor 92 Jahren, hat Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Dieser Entscheidung gingen wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Krisen voraus, die das demokratische System der Weimarer Republik destabilisierten.
bpb.de
Wer an einen Bach denkt, stellt sich vielleicht plätscherndes Wasser vor, Libellen und spielende Kinder. Doch am Potsdamer Hirtengraben sieht die Realität anders aus: brackiges Wasser dümpelt vor sich hin, Müll verstopft das Bett, Fische gibt es längst nicht mehr.
Am Dienstag traf ich Anwohner, die Bürgerinitiative Kirchsteigfeld und Lars Schmäh vom Umweltamt Potsdam direkt am Ufer. Gemeinsam diskutierten wir die Zukunft des Grabens: Könnte Wasser aus der geplanten Kläranlage in Stahnsdorf den Bach wiederbeleben? Wären Bachpatenschaften eine Lösung?
Anlass des Treffens war die ARD-Mitmachaktion #unsereFlüsse, bei der Bürgerinnen und Bürger ihre Bäche melden konnten. Der Anwohner Friedrich, der seit 15 Jahren am Graben lebt, hatte ihn eingereicht. Er beobachtet den Bach seit Jahren. ARD-Projektleiterin Melanie Stucke bestätigte den schlechten Eindruck: Die Wasserprobe erhielt von den begleitenden Forschern die Note fünf – der schlechteste Lebensraum für Tiere.
Doch es gibt Hoffnung. Zwei seltene Arten von der Roten Liste trotzen den widrigen Bedingungen: die Graue Ackerschnecke und der Haussperling. Es lohnt sich also, für den Hirtengraben zu kämpfen. Vielleicht fließt er eines Tages wieder. Nicht nur in Erinnerungen, sondern auch in der Realität. Sie möchten wissen, wie es Ihrem Bach geht? Schauen Sie auf der Karte der ARD nach.
Die CORRECTIV-Reporterinnen Annika Joeres und Gabriela Keller haben recherchiert: Wie stark haben marktliberale, zur Polemik neigende Thinktanks und industrienahe Strategen das Wahlprogramm der Unionsparteien geprägt? Antwort: ziemlich stark. Das ist wenig überraschend, denn die Partei hat mehr als fünf Millionen Euro Spenden im Wahlkampf von Unternehmen und Verbänden der Chemie- und Metallindustrie erhalten.
Friedrich Merz hat zudem jahrelang Millionen als Mitglied ihrer Aufsichts- und Beiräte sowie Top-Lobbyist mit Aufträgen für Großkonzerne verdient. Vor allem die Zeit bei Mayer Brown prägt die Vita des CDU-Chefs. Die Kanzlei hat enge Verbindungen zum Chemiekonzern BASF.
Dadurch könnte Merz vor Interessenkonflikten stehe. Als Bundeskanzler wird er in Brüssel darüber mitentscheiden, welche Giftstoffe zugelassen oder verboten werden – Giftstoffe, die auch von seinem ehemaligen Arbeitgeber BASF produziert werden. Eine Übersicht über das Lobby-Netzwerk des christdemokratischen Kanzlerkandidaten sehen Sie in der Grafik – die ganze Recherche finden Sie hier:
correctiv.org
Führende Politiker sehen Merz nach der CORRECTIV-Recherche als „personalisierten Drehtüreffekt“ und befürchten, dass die zahlreichen Posten und Mandate ihn angreifbar machen. Was sie noch gesagt haben, können Sie hier lesen:
correctiv.org
An der heutigen Ausgabe haben mitgewirkt: Robin Albers, Till Eckert
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